Ulrich W. Gaertner

Trilogie des Mordens


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war schon im Großraumtaxi losgegangen. Dem Fahrer hat das nichts ausgemacht; der kannte das schon. In der Wohnung im dritten Stock ging es dann richtig zur Sache. Die Klamotten flogen quer durch die Zimmer, und der Penny-Sekt aus dem Kühlschrank floss in Strömen. Die beiden Bordsteinschwalben hatten längst gecheckt, mit wem sie es zu tun haben. Sie wechselten von einem zum anderen, bis die beiden WG – Bewohner nicht mehr auf die Beine kamen und er auf seiner Babsi eingeschlafen war.

      Verdammt, hoffentlich hatten die beiden Nutten kein Aids. Die letzten Nummern waren ohne Gummi, weil auch die Bräute mächtig abgefüllt waren.

      „Alex“, grölt er. „Kommst du auch mal wieder ans Tageslicht, alte Socke?“

      Grunzende Geräusche, ein Poltern. Dann ein erneuter Furz und ein schwerfälliges Tappen. Im offenen Türrahmen steht schwankend, nur mit seinem T-Shirt bekleidet und unten völlig frei, sein Kumpel.

      „He, was is’ Alter? Haste noch zu saufen oder was?“

      Mit stierem und immer noch trunkenem Blick versucht Alex, in den Tag zurückzufinden.

      „Wo iss’n Manuela, die geile Taube?“

      Dabei greift er sich an das Geschlechtsteil und bemerkt sein schlaffes Glied. Er betrachtet es nachdenklich und schüttelt verständnislos den Kopf.

      „Mich so im Stich zu lassen, Johannes, schäme dich.“

      „Mann, das kann doch keiner mit ansehen. Zieh dir endlich deine Unterhose an. Die Party ist vorbei, Kumpel.“ Freds Stimme zeigt Wirkung.

      „Nur, wenn du mir was zu saufen gibst. Ich fühle mich ausgetrocknet wie ein Stockfisch.“

      Der Angesprochene wirft ihm lässig die halbvolle Flasche Wasser zu. Grinsend sieht er, wie sich sein Kumpel das kühle Nass in die Gurgel schüttet. Danach versucht er schwerfällig eine Kehrtwendung wie bei der Bundeswehr. Das bringt ihn aber nur heftig zum Stolpern.

      „Verdammter Scheißteppich, das.“ Mit blankem Gesäß schwankt Alex zurück in sein Zimmer.

      „Verdammt, wo ist mein Slip? Den hatte ich doch gestern noch“, hört ihn Fred fluchen. Und wenig später ist das gewohnte Schnarchen zu hören.

      Das wäre wohl für mich auch das Beste, so lange zu pennen, bis die Birne richtig klar ist. Er zieht sich mit den Füßen den zweiten Sessel heran und macht es sich bequem. Der Kopfschmerz hat nachgelassen. Nachher koch’ ich mir einen doppelten Espresso, der wird das wieder richten. Erneut schlagen seine Gedanken unkontrolliert den Bogen zum Abend und zur Nacht zuvor. Bildfetzen tauchen in seinem benebelten Bewusstsein auf. Die Fahrt mit dem Zug zu zweit, mit dem kleineren, aber älterem Mann, den er zuvor auf dem Hamburger Hauptbahnhof kennengelernt hatte. Schon auf den ersten Blick hatte er erkannt, dass Giovanni Gay war. Genau der Typ Mann, auf den Alex und er sich eingestimmt hatten, nachdem sie mehr als zwei Monate arbeitslos gewesen waren und die letzten Reserven verbraucht hatten. In einer Stehkneipe in der Steinstraße hatten sie das Treiben der Drogennutten und der Schwulen genau beobachtet, die für eine schnelle Nummer immer gut waren.

      Aber das war nicht das, was sie wollten. Im Gay-Klub auf St. Pauli hatten erfahren, dass die große Bahnhofshalle ein Treffpunkt für zahlungskräftige Schwuchteln und ihre Freier war. Es gab nur ein Problem dabei. Fred und Alex waren nicht schwul und auch nicht bi. Für sie stand die Kohle im Vordergrund, die von den Tunten zu holen war.

      „Schwulenklatschen“ heißt das bei Insidern: Der Freier geht zum Schein auf das Angebot eines erwartungsvollen Gay ein und fährt mit ihm in eine Steige. Zur Enttäuschung des Schwulen kommt es aber nicht zu dem erwünschten sexuellen Kontakt, sondern zu Gewalthandlungen mit erheblichen Körperverletzungen und dem nachfolgenden Ausrauben der Überraschten. So war es bisher immer mit Erfolg für die beiden Männer gelaufen. Die erbeutete Kohle hatte für Miete und Lebensunterhalt gereicht, zumal das Risiko, erwischt zu werden, sehr gering war, da die „gerupften“ Schwulen nie zu den Bullen gingen.

      Alex hatte anfangs noch Bedenken, doch Fred ist von einem anderen Schlag. Er empfand für Schwule keine besondere Sympathie. Er nutzte deren meist körperliche Unterlegenheit und das immer noch geächtete Triebleben aus, Menschen die am Rande der Gesellschaft leben. Mittlerweile hatten sich beide auf die sprudelnde Einnahmequelle eingestellt und sich von der Kohle nach und nach ordentliche Kleidung beschafft. Damit spielten sie in einer Liga, in der Schwulen anspruchsvoller sind und sich nicht auf dem Straßenstrich oder Pissoirs anbieten.

      Vorgestern Abend war es scheiße gelaufen.

      Alex hatte keine Lust und hing vorm Fernseher rum. Also hatte er sich allein von einem Taxi zum Hauptbahnhof fahren lassen. Dort war lange Zeit tote Hose. Nur ein paar Penner und abgetakelte Nutten hingen dort rum. Sie peilten nach den Bullen, die auf einmal nur noch als Doppelstreife unterwegs waren. Am Kiosk hatte jemand erzählt, dass der Grund dafür ein Tränengasanschlag auf einen ICE war. Als er dann eine halbe Stunde vor Mitternacht die Segel streichen wollte, sah er ein Taxi vorfahren, dem ein gut gekleideter kleiner, dunkelhaariger Mann, offensichtlich Italiener, entstiegen war. Der angetrunkene Typ mittleren Alters war zur Abfahrtstafel gegangen und hatte sie intensiv studiert. Fred checkte schnell, dass der Typ anschließend zu einem Coffee-Shop schlenderte und sich dort etwas bestellte. Das war der richtige Zeitpunkt für die Kontaktaufnahme. Im Glas einer spiegelnden Scheibe hatte er seine blonden Haare gerichtet und sich dann direkt neben den kleineren Mann gestellt. Das war der Beginn. Zwanzig Minuten später hatten sie in einem Zugabteil des leeren Nachtzuges in Richtung Hannover gesessen.

      Die Fahrt mit Streicheln und heißen Blicken von Giovanni hatte nicht lange gedauert und sie hatten für den Rest der Nacht einen Betrag von fünfhundert Mark ausgehandelt. Die anschließende Fahrt mit dem Taxi vom Bahnhof zu einer Reihenhaussiedlung hatte sie zu einem gepflegt wirkenden Mittelreihenhaus gebracht. Auch das Innere hatte diesen Eindruck wiedergegeben. Giovanni hatte mehrere starke Grappas serviert und war schnell im Bad verschwunden gewesen.

      Treffer, hatte er, Fred zu dem Zeitpunkt gedacht. Der Typ hat Knete ohne Ende. Auch oder vielleicht gerade, weil er Italiener ist. Eigentlich waren Ausländer nicht sein Ding. Das hatte ihm seine konservative Familie eingeimpft. Aber drauf geschissen, Geld stinkt nicht. Und dann war Giovanni in einem schwarzen Lacklederbody, penetrant nach schwülstigem Parfüm riechend zurückgekommen. Voller Erregung hatte er Fred in das große, französische Bett unter dem riesigen Deckenspiegel gezerrt. Wohl oder übel hatte der das Spiel mitgemacht und sich bis auf den roten Seidenslip ausgezogen. Dann musste er sich auf Giovannis Wunsch zu den Klängen einer CD mit Opernarien hin – und her wälzen und Fickbewegungen machen, bis der kleine Italiener einen Steifen bekam. Na gut, was soll’s. In zehn Minuten ist es vorbei, ich habe die Kohle und verschwinde, hatte er gedacht. Er hatte sich auf den Bauch gelegt, seinen Slip heruntergezogen, und Giovanni hatte versuchte, seinen mickerigen Ständer in seinem Arsch unterzubringen. Das war aber nicht gelungen, und zum Schluss hatte er die erträumte Nummer laut fluchend aufgegeben.

      „Blas mir sofort einen, du blondes deutsches Schwein oder du kriegst keine einzige Mark von mir“, hatte er völlig besoffen geschrien. Fred hatte das Gefühl, einen Schlag auf den Kopf bekommen zu haben.

      „Du verfickter Makkaroni, das war so nicht abgemacht“, hatte er wütend geschimpft.

      Was dann passierte, war im Nebel seines alkoholisierten Bewusstseins untergegangen. Plötzlich hatte Giovanni schreiend und blutüberströmt vor ihm gestanden und ihn mit seinem Messer bedroht. Mühelos konnte er an dem Verletzten vorbei laufen. Im Hausflur hatte er noch dessen schwarze Handgelenktasche an sich gerissen. Hastig hatte er sich im Laufen angezogen und war gerannt so schnell er konnte. Nur weg von dem blutigen Finale. Ziellos irgendwohin, in den Schatten der Nacht hinein. Die gurgelnde Stimme des Italieners hatte ihn nicht losgelassen. Die weitere Flucht war wie in Trance verlaufen. Unter einer trüben Laterne, in der Nähe von Lagerhäusern hatte er die Herrentasche untersucht. Fast zweitausend Mark. Eilig riss er das Geld heraus und schleuderte das leere Behältnis in den Straßengraben. Schließlich war er an den Stadtrand gelangt und las auf einem buntem Übersichtsplan den Namen der Stadt, – Winsen/Luhe. Betont gelassen konnte er an einem Taxi-Stand in der Nähe einer Kneipe ein Fahrzeug anheuern. Fahrtziel Hamburg – Reeperbahn.