Ulrich W. Gaertner

Trilogie des Mordens


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      „Nein, darauf haben wir zunächst verzichtet. Ich gehe davon aus, dass wir die bei der Leiche oder dem Gepäck finden. Wir wollten aber nichts verändern, bis …

      „Mit anderen Worten: Ich soll kommen!“

      „Das ist unsere Bitte. Torsten und ich nehmen schon den äußeren Tatortbefund auf.“

      „Das ist sehr vernünftig. Benachrichtigt schon mal den Erkennungsdienst. Den werden wir brauchen. Ach, noch was: War der Notarzt schon an der Leiche?“

      „Nein; wir wollten erst mal …“

      „Schon gut, dann gebt dem Erkennungsdienst Kenntnis.“

      „Okay Bernhard, das veranlasse ich sofort. Du findest uns über die Kollegen von der Bahn … Äh, ich meine natürlich Bundespolizei. Die erwarten dich in ihrem Büro.“

      „Bis gleich, Jürgen.“

      Kluge beendet das Gespräch und betritt sein Arbeitszimmer. Im Schrank hängt immer eine komplette Garnitur, für den Fall, dass er plötzlich in den Dienst gerufen wird. Flink schlüpft er in die Hose, dann kurz ins Bad, fertig angezogen und runter in die Küche.

      Schnell einen Pulverkaffee zubereitet, in der Zwischenzeit die Schuhe angezogen, ach ja und seinen Rauhaardackel Felix in den Garten gelassen. Als er hastig den heißen Kaffee trinkt, hört er Felix an der Terrassentür kratzen und gleichzeitig seine müde Frau die breite Steintreppe hinunter kommen.

      „Ach, mein Lieber, musst du schon wieder zu einer Leiche? Die mögen dich wohl? Wie schröcklich, nöch?“

      Ninette-Elaine, seine manchmal geplagte Ehefrau elsässischer Herkunft, schüttelt sich ein bisschen geziert. Kluge nimmt seine Frau zärtlich in die Arme und küsst sie sanft.

      „Ich war so leise, und nun bist du doch wach geworden, mein Lieb.“

      „Gräm’ dich nicht, ich bleib’ ja hier und kann weiter schlafen.“

      Ihre dunklen Augen strahlen.

      „Aber nun musst du mich endlich los- und deinen Jagdhund wieder hereinlassen, bevor er sämtliche Nachbarn weckt.“

      In der Tat, so hört es sich an. Kluge hat das immer lauter werdende Knurren überhört. Gerade noch rechtzeitig öffnet er die Tür zur Terrasse. Flink wie ein Wiesel ist der kleine Hund im Warmen und springt um seine Rudelführer herum, als hätten sie ihn aus größter Not befreit. Beide blicken sich an und lachen.

      „Felix, du hast es wirklich am besten, weil du jetzt mit Frauchen kuscheln kannst. Sehr wahrscheinlich in meinem Bett, ob wohl es dir mehrfach untersagt wurde.“

      Der kluge Hund blickt seinen Herrn aufmerksam an, als wollte er sagen, Nun verschwinde endlich. Dann hat Kluge die Tasse leergetrunken und ergreift zur Einsatztasche. Kurz nach halb zwei. Auf geht’s.

      „Schlaf noch gut. Notfalls erreichst du mich auf dem Bahnhof in Lüneburg.“

      Elaines Blick ist fragend.

      „Nein, nein, ich verlasse dich nicht, auch nicht mit dem ICE.“

      Die beiden Eheleute, deren Kinder bereits aus dem Haus sind, geben sich einen Abschiedskuss, der schon dienstlich knapp ausfällt. Dann klappt die Haustür. Die Hausbeleuchtung erlischt. Wenig später brummt das Auto ab in Richtung Bahnhof Lüneburg. Kluge ahnt nichts Gutes von dem gerade beginnenden Tag.

      In der gepflegten Doppelhaushälfte im ruhigen Viertel am Werrapark, unweit des Flusses gleichen Namens, gehen zur annähernd gleichen Zeit die Lichter an. Karin Lindholm, eine hübsche Vierzigerin und Büroleiterin in der ehrwürdigen Kanzlei Schubert & Schubert am Markt der kleinen Stadt Hann. Münden, in der die Touristen die Statue des Dr. Eisenbart bestaunen, greift zum wiederholten Mal zu ihrem Wecker. Zwei Uhr durch; Hans-Georg ist nicht nach Haus gekommen. Ein unbekanntes Angstgefühl macht sich breit. Bei ihrem letzten Telefonat nach 21.00 Uhr hat er glücklich und erleichtert geklungen. Es hat alles geklappt in der Besprechung. „Ich habe den Auftrag an Land gezogen. Nun werden wir unsere Schulden los, mein Herz.“ Sie hatte große Erleichterung verspürt, so wie sie jetzt unerklärliche Angst hat. Quatsch, denkt sie. Alles nur Einbildung. Der ICE aus Berlin hat nur Verspätung. Das kommt häufig vor. Doch dann wird ihr plötzlich heiß; ihr Herz fängt an zu rasen. Es ist etwas Schlimmes passiert mit Hans, sie fühlt es. Nun hält sie nichts mehr im Bett. Mit ein paar Schritten ist sie im Badezimmer, dreht den Wasserhahn weit auf und lässt sich kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Das verschafft ihre deutliche Erleichterung. Mit einem Handtuch trocknet sie sich flüchtig ab und schleicht leise die Treppe hinab. Nicht leise genug. Die Tür von Timms Zimmer öffnet sich.

      „Was is’n los Mama? Ist Papa schon da?“ Timm reibt sich in der Tür stehend die Augen. Sie zuckt erschrocken zusammen.

      „Es ist alles in Ordnung. Der ICE hat Verspätung. Deshalb ist Papa nicht mehr von Göttingen wegkommen. Er hat mich gerade angerufen“, lügt sie tapfer und streicht ihrem Sohn liebevoll über die Haare.

      „Geh nur wieder schlafen, mein Großer.“

      Damit schiebt sie ihn sanft in sein Zimmer zurück.

      „Ist wirklich alles in Ordnung?“

      „Alles in Ordnung. Und nun schlaf gut, mein Schatz.“

      Als sie den Lichtschalter betätigt und die Tür leise hinter sich zugezogen hat, kann sie sich kaum noch beherrschen. Wie ferngesteuert gelangt sie hinunter ins Wohnzimmer. Tränen rinnen unkontrolliert über ihre Wangen. Als sie sich wieder gefasst hat, greift sie zum Telefon. Wenig später meldet sich die freundliche Stimme einer Frau von der Auskunft.

      „Geben Sie mir die Nummer des Bahnhofes in Göttingen, nein, besser verbinden Sie mich bitte gleich.“

      Der Ruf geht raus, Karin Lindholm zählt die Frei töne mit. Beim neunten Mal ist die Verbindung da.

      „Deutsche Bahn in Göttingen. Mit wem darf ich Sie verbinden?“

      „Bitte geben Sie mir den diensthabenden Stationsvorsteher, es ist dringend.“

      Eine Weile tut sich gar nichts. Dann Geräusche und eine weitere Frauenstimme.

      „Bahnhof Göttingen, Leitstelle Christina Schäfer. Was kann ich für Sie tun?“

      „Karin Lindholm, Kanzlei Schu…, äh ich meine aus Hann. Münden. Frau Schäfer, können Sie mir sagen, ob der Intercity 403, Abfahrt 22.01 Uhr in Berlin Hauptbahnhof, pünktlich um 02.10 Uhr in Göttingen angekommen ist?“ Nach der Frage bleibt es still. Nur ein kurzes Räuspern.

      „Frau Schäfer, haben Sie mich verstanden oder soll ich die Frage wiederholen?“

      Lindholms Stimme hat an Schärfe zugenommen, so wie manchmal in der Kanzlei, wenn vergessliche Klienten nach neuen Terminen fragen. Gespannt wartet sie, hört aber nur ein mechanisches Summen und dann zwei Stimmen. Das andere ist eine Männerstimme. Dann nur noch das Summen. Die Leitung ist unterbrochen.

      „Frau Schäfer, bitte antworten Sie. Es ist dringend. Es geht um meinen Mann.“

      Doch in der Leitung bleibt es stumm. Karin Lindholm zittert die Hand. Da stimmt was nicht. Nochmal dieselbe Nummer. Besetzt. Nochmal. Endlich der Frei ruf.

      Und dann die Automatenstimme: „Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Wir sind von 08.00 Uhr bis 22.00 Uhr für Sie da. Außerhalb dieser Zeit haben Sie die Möglichkeit, uns Ihre Wünsche auf Band zu sprechen. Wir bedienen Sie dann in der Reihenfolge Ihrer Anrufe“, erklärt eine weibliche Stimme.

      „Hat sich was mit Reihenfolge.“ Wütend knallt Lindholm den Hörer auf. Dann ist das Handy dran. Mit Druck auf die Speichertaste geht der Ruf an ihren Mann, den Abteilungsleiter des großen Pharmaunternehmens, der spezielle Kunden persönlich betreut. Mit dem beruflichen Aufstieg hat sich das Leben ihrer kleinen Familie verändert. Es ist wieder Geld geflossen. Die Darlehen bei verschiedenen Banken konnten zum Teil abbezahlt werden. Und dann die überraschende Nachricht gestern Abend über den großen Auftrag. „Wir