die Einwände des Sidoners ab. »Erkenne, dass Nechos Ideen dem Willen der Götter gleich sind und von ihrer Kraft getragen werden. Die Zeit begann, als die Götter in den Himmel stiegen. Atum stand auf Benben, dem Urhügel in On und erschuf aus seinem Samen die Welt. Die Großen Häuser sind Orte, an denen sich Götter und Menschen begegnen. Mit unseren Taten halten wir das Gleichgewicht dieser Welt im ewigen Kampf zwischen Nun, dem Chaos, und Ma’at, der Ordnung. Das ist auch dein Auftrag. Du fährst im Dienste Ma’ats, du bist ein wichtiger Teil unserer kemetischen Welt geworden. Glaube das, Admiral. Wir Diener der Götter sind Wissende. Wir wurden gelehrt unter dem Großen Haus, wo heiliges Wasser Gott Osiris umfließt. Dort steht geschrieben, was schon die Ahnen wussten. Dreimal drei Tage empfingen wir die Kraft der Unzerstörbaren, die uns über die göttlichen Himmelsschächte zuströmte. Ich weiß, dass ich unsterblich bin, denn das Leben ist ein Kreis. Schließt er sich, öffnet sich eine neue Welt.«
Kerifer-Neiths Stimme zitterte. Er griff nach dem Sidoner und drückte die Finger in dessen Schultern.
»Es darf nichts verloren gehen. Sprich von unseren Großen Häusern nicht als Gräbern. Sie sind Kemet selbst. Sie sichern das Universum, sie geben die Kraft, dass sich Körper, Seele und Wille vereinigen. Seit ungezählten Königsherrschaften warnen ihre Priester vor Sandbrüchen und anderen Zeichen Nuns. Einst lag er frei, der Bewahrer, der Chufus Gesicht trägt. Wer heute Kemets Geschichte lesen will, muss tief graben.«
»Zors Wissen wurde in die Berge getragen. Ursprünglich sollte es am Salzmeer vor den Assyrern versteckt werden, doch wohin hunderte Händler um Asphalt kommen, ist kein guter Platz für Schriften. Auch hörte ich schon aus anderem Munde von Nun und Ma’at, da war ich Kind im Ostviertel …«
»Vergiss deine Welt, Sidoner. Unsere heiligen Orte wurden von den Göttern gebaut, als die Menschen in Kemets Anfang lebten. Chufu war der Erste, der durch den Nordkorridor zu den Unzerstörbaren aufstieg und diesen Weg für alle Kemeten seiner Zeit ging. Das Wissen darüber soll unter den Füßen des Großen Bewahrers liegen, die hoch der Sand deckt. Ich will diese Schriften finden, das ist meine Expedition. Sie findet im Kopf statt. Meine Taten sind Ideen, mein Abenteuer ist das Denken. Ich möchte in der anderen Welt mit den Göttern leben.«
Kerifer Neith ballte die linke Faust und hielt sie zu den Nordsternen. »Ich erzähle das, um dir zu zeigen, dass deine Fahrt nicht die Fahrt von Krämern ist. Es geht nicht darum, Zedern von Gebal nach Quart-hadascht zu schaffen. Sie ist etwas Größeres als euer von Osiris verfluchtes Ashkalon, das ihr Pheneschs neu errichtet habt. Sie ist größer als Chufus Gesandtschaft in Libyens Zentrum, die nur dazu diente, Mapet für Türpfosten zu besorgen. Necho belebt alle Taten der alten Könige. Er gewährt Ped-Osiris dich zu treffen, doch dessen Geschichte wirst du von dem Wanderer selbst hören. Dieser Mann interessiert mich nicht. Er ist ein Irrer. Necho erweckt das alte Kemet. Sein Handeln stärkt Ma’at, die Ordnung. Du bist uns wichtig, Ped-Osiris werden die Götter verfluchen.«
Der Priester blickte auf den Phenesch, der ihm in dieser Stunde vertraut geworden war und für den er auch in Gedanken kaum noch dieses Wort verwandte. Du hast Feinde, Admiral, sie sehen in dir den Fremden, der Unruhe in das Land trägt, indem er es verändert. Wenn du Libyen umsegelst, werden sie erfahren, wie klein ihre Welt ist. Doch diese Worte sprach Kerifer-Neith nicht aus.
»Lass uns ruhen. Morgen erwartet uns Ptah-hotep. Das wird schlimmer, als der Ritt zu deinem Kanal.«
»Schlimmer? Ist Ptah nicht nur ein Zwergengott?«
»Du wirst dir vielleicht irgendwann wünschen, mit Zwergen auf dem Schiff zu fahren. Zwerge sind geschickte Handwerker. Schlaf jetzt. Deine Zeit in Menfe währt nicht ewig. Die Siedlung erwartet ihren Helden. Dein Abschied wird still sein, noch spricht niemand von der Eroberung des Kreises. Neferheres und mich wirst du vor allem am Lazurwasser treffen. Noch eine Dekade, dann herrscht der Hammer über die Zunge.«
5
Neugeboren im ewigen Kreis stand Gott Re als Skarabäus Chepre über den Östlichen Bergen und regierte auch an diesem Tag das kemetische Land und seinen heiligen Hapi.
Der Lotse wies die Barke in die Strömung, bald entzogen die Johannisbrotbäume des Nordviertels Nechos Palast den Blicken. Grün glitt das Ufer vorbei, selten noch hoben die Häuser von Vorwerken ihre Dächer über reifenden Emmer. Gesang wehte dem Boot entgegen, Mädchen wurden zur Probe für das Hebsed-Fest in den Ptah-Tempel gebracht. Der Fluss nahm sich das Lied, im Flügelschlag eines Reihers verklang die geübte Lobpreisung des erneuerten Königs.
»Neferheres, die Wochen in deinem Haus schenkten mir Ruhe. Wie das Wasser dem Ziel zuströmt! Nichts hält es auf, und ich will ihm gleichen.«
Abdi-ashirta rückte den Hocker näher an die Frau und griff nach ihrer Hand. Er roch das Bienenwachs ihrer Perücke und den betörenden Seerosenduft des Salbkegels. Die Kemetin erhob sich und wischte Insekten von ihrem Kleid.
»Mein Gelb unter dem Blau ist die falsche Farbe.« Sie lächelte. »Udja-horesnet aus Unter-inti wird nicht nur das Landgut gefallen, sondern auch die Frau?«
»Neferheres, du bist schön. Schön wie …« Der Mann zögerte und schwieg. Er kannte die Worte nicht, die zu solchen Frauen gehörten.
»Dein Mund ist eine Knospe, deine Haare sind Köder für meine Augen, dein Ruheplatz verwirrt mich. Dein Salblöffel ist gleich einer Ente geformt. Wo du auch gehst, spielt ein Äffchen mit dir. So spricht ein Mann, der weiß, dass eine Frau ihn liebt.«
»Ein Äffchen?«
»Ente und Äffchen sind Zeichen, dass die Frau den Mann will.«
»Reden die Symbole zu mir?«
»Sieh, das Königsschiff!« Neferheres wies über das Wasser. Ihre Finger sprachen eine Gebärde der Demut. »Es trägt Sarkophage nach Menfe. Wo die Gesichter liegen werden, sind Augen gemalt wie zu den Großzeiten des Reiches. Und das Holz ist mit Nub überzogen! In einem fernen Jahr wird man auch uns so umhüllt nach Abdju fahren und der anderen Welt übergeben.«
Lautlos glitt das Gefährt vorbei, die heilige Fracht ließ selbst die groben Mäuler der Ruderer stumm.
»Auch ich betrete eure andere Welt? Ja, meine Schöne. Ich will dein Mann sein, wenn Ma’at mein Herz an ihrer Feder misst. Die Tugend der Gerechten nehmen die Götter lieber an als das Nub eines Frevlers. Mein Leben mit dir wird die Tugend des Gerechten spiegeln. Ich brauche nicht Ift-ars Reichtum, mit dir möchte ich auch außerhalb seiner Zäune leben. Das Boot des Geizigen sitzt im Schlamm, wenn das Schiff des Stillen mit gutem Wind voran kommt.«
»Wie du sprichst! Wie du sprichst! Aus dir dringen die Sätze eines Schreibers. Wo ist die Feder hinter deinem Ohr?« Neferheres schüttelte das Haar von den Schultern, erschrocken von diesem Anspruch, gemeinsam mit ihr in die andere Welt zu gehen. Sie legte sich die Finger auf den Leib und zog den Schal darüber. In alten Zeichen schrieb sie ihre Liebe zu Sothur, dem Gardisten Nechos, unsichtbar in ihr Herz. »Mein Geliebter«, formten tonlos ihre Lippen, »der Weg dieses Sidoners hat Tore in die falsche Welt. Auf Ift-ar werde ich dich allein empfangen. So spricht man am Hofe Pharaos, meines geheimen Vaters.«
Abdi-ashirta erkannte ihr Spiel nicht. Die Barke hatte sich zum Ufer gedreht. Er zeigte auf die heran gleitenden Gebäude. »Unser Ziel? Hier wirst du mit mir leben?«
»Hier werde ich wohnen«, antwortete Neferheres. Die Kemetin wandte das Gesicht zum Ufer und schloss die Lider. Die Tränen des Augenblicks sollten die geschminkten Wangen nicht verwischen. Der Sidoner hatte den anderen Sinn ihrer Worte in der fremden Sprache nicht erfasst.
»Der Herr ist Udja-horesnet aus dem Gau Unter-inti. Er verbrachte die meisten seiner Jahre in fernen Ländern, wohin er bald zurück kehrt. Ich gewann seine Liebe und werde in vier Jahren an seiner Seite auf Ift-ar leben.«
»So wird es sein, ehrenwerte Herrin. Die Götter mögen dir ein ewiges Leben schenken.« Der Verwalter beugte die Knie. Sie standen auf dem Dach seines Hauses und sahen auf die Rollen, die in seinen erregten Händen zitterten. Abdi-ashirta blickte über die Felder am Fluss. In der Hitze des Mittags lagen