Wilfried Schneider

Das Mitternachtsschiff


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Pfützen die Stände. Die Tuchhändler verkaufen nur noch ein Viertel der Umhänge, die Fleischer preisen dürre Hennen an. Das Elend geht als Gerippe durch die Gassen. Vorbei sind die Jahre, da Bast als fette Kuh im Delta graste. Es wird kein Tor nach Süden geben, durch das die Feinde dringen.«

      Kerifer-Neith schickte einen Begleiter zum Verwaltungsgebäude. »Niemand beseitigt den Dreck der Köter. Warum auch in einer Stadt, die Katzen verehrt wie …«

      »Herr, bitte sei still. Der Hafenmeister kommt.«

      Kerifer Neith schob den Lotsen beiseite, der ihn warnen wollte. »Ich weiß, dass Setup ein Spitzel Ptah-hoteps ist. Aber der da kommt, ist nicht der Hafenmeister. Wer bist du? Wo ist der Hafenmeister?« Der Mann nuschelte seinen Namen. Der Priester forderte ihn auf, verständlich für alle zu reden.

      »Setup ist zum Nomarchen Pedu-bastis gerufen, Hoher Herr. Sie besprechen sehr wichtige Dinge. Eure Tiere stehen bereit, die Verpflegung ist gepackt. Setup ist untröstlich, nicht selbst …« Erneut stolperte die Zunge, zwei lockere Zähne hinderten den Gehilfen des Hafenmeisters in seiner Rede.

      »Hol die Tiere!« befahl Kerifer-neith. »Hast du seine Sandalen gesehen, Seefahrer?«, fragte der Priester, als der Mann zwischen den Häusern verschwunden war. »Die Verwaltung kann das Kupfer nicht messen für neues Leder. Nechos Vater band Ueset und Menfe wieder aneinander. Nach seiner Rückkehr aus Assyrien gebot er, auf den Hauptmärkten den Münzhandel einzuführen, als Zeichen der neuen großen Zeit. Nun geht Kemet auf dünnen Sohlen. Seit die Hände nicht graben, steht für Bast der Hapi still. Nomarch von Bast, das Amt trug einst goldene Feigen. Jetzt schlagen Ptah-hoteps Befehle den Takt.«

      »Nieder! Hrrst! Hrrst!« Die Treiber verbeugten sich vor ihren Tieren, die sich gehorsam hinknieten.

      »Keine Pferde?«, fragte Abdi-ashirta verwundert. Der Priester hob die Hände. »Der Göttergleiche erstrebt die Macht der Urahnen. Die Bewohner der Himmelshäuser kannten keine Pferde. Ich glaube aber, dass sie auch diese Tiere nicht kannten. Was schert es dich. Steig auf! Ein Kamel schaukelt kaum stärker als dein Schiff. Wir reiten den Ostweg, der zur Werft am Lazurwasser führt. Diese Straße wird dir bald vertraut sein.«

      Abdi-ashirta stieg zwischen die Höcker. Kerifer-Neith lauerte vergeblich auf eine Blöße des ihm anvertrauten Pheneschs. Die Unterweisungen durch Zors Stadtwächter erwiesen ihren Nutzen, nach kurzer Zeit war der Seefahrer schon auf dem Damm zur Insel geritten. Kerifer-Neith zog die Augenbrauen hoch und schwieg noch, als sie schon auf die Straße nach Per-Sepa einbogen.

      Sie ritten durch Randgassen, deren Häuser nicht alle offene Luken hatten. Klumpen von Lehm störten den Weg, oft waren aufgeweichte Dächer nicht geräumt. Die Vorsiedlung endete, vor einem letzten Gasthaus pries ihnen der Wirt sein Bier.

      »Treibe dein Tier, Phenesch! Die Häuser stehen nur noch wie Zähne in alten Gebissen. Gleich sind wir im Grasland.«

      Der Leib Ayteps, des Führers, hing gebeugt zwischen den Höckern.

      »Welche Arbeit!« spottete der Priester. »Schläft er, der Held? Hatte ich durch meinen Boten nicht einen Wachsamen gefordert?«

      »Aytep ist wachsam, Herr. Prüfe meinen Sinn durch ein Gespräch. Gewiss bin ich ein Stiller, denn wer auf seine Zunge achtet, schläft nachts ohne Feind.«

      »Welch ein Geist wohnt in deinem Herzen! Beginn den Tag mit Frohsinn und lass nie ab davon. So fordert es ein Wandlied im Schlafgemach des Göttergleichen.« Kerifer Neith drängte sein Tier an die Seite des Sidoners. »Höre! Du hast auf dem Schiff gebettelt, von Neferheres zu erzählen. Ich male dir ihr Bild. Das Herz der Edlen ist eine Schatzkammer, die zu viele Worte plündern.«

      »Deine Bilder sind schön wie die Frau, die sie beschreiben, doch fehlt mir die Ruhe, sie aufzunehmen. Wann sehe ich das Werk, das Zor auch heute noch als Zukunft preist?«

      »Schweig noch einmal die Zahl der Tritte, die dein Tier bis hierher getreten hat, dann küsse kniend, was die Götter verfluchten. Doch jetzt höre mein Lied von Neferheres. Es ist selten gut, die Wahrheit im Maul zu tragen, deshalb singt mein Lied von Kum-ran. Und steckt am Abend unser blöder Führer seine Zunge in das Ohr des Herrn, wird sie Unsinn schwätzen. Was kümmert dich der Kanal in deiner Zukunft! Täglich steigt Re über das Ostgebirge, täglich zieht den Hapi seine Bestimmung in das Innere Meer, seit Tausenden Jahren binden sich die Himmelshäuser an die Unzerstörbaren.«

      Kerifer-Neits Umhang rutschte von den Schultern, ungeduldig zog er das Leopardenfell zurecht. »Kum-Ran liegt an einem See, den nie ein Fisch bewohnte. Sein Wasser schmeckt wie die Lauge zum Pökeln. Der dortige Herr befahl: Zieht eine Wasserstraße zum Inneren Meer! Das aber erhob sich über die Ebene von Kum-Ran. Phenesch, warum hörst du nicht zu? Soll ich Melkart bitten, dich durch die Ohren zu stechen? Meine Geschichte ist deine Gegenwart.«

      »Vom salzigen See hörte ich schon früher Geschichten. Sprich zu mir von Menfe. Der Spitzel versteht uns nicht. Wird alles sein, wie der Erhabene es sagt?«

      »Ja. Wenn du erreichst, was er träumt, ist sein Wort ewig.«

      »Auch Neferheres Wort?«

      »Phenesch! Du zweifelst an der Tochter eines Nomarchen? Gar an dem Göttergleichen, der deinem Leben einen nicht messbaren Sinn gibt?«

      »Nimm mir diese Angst. Der Spitzel hört uns nicht.«

      »Ein Spitzel hat Ohren wie Schüsseln, seine Zunge ist ein Rüssel.«

      »Bitte, Herr!«

      Kerifer Neith seufzte. »Neferheres Mutter wurde in Bast geboren, die Stadt, die Katzen liebt. Sie war vierzehn, da nahm sie ein Steuerbeamter des Hofes zur Frau. Drei Dekaden nach der Hochzeit begleitete sie ihren Gatten zum Obersten Kämmerer nach Menfe. Sie ruhte auf einer Bank in den Südlichen Arkaden, da wurde Necho, Sohn des Pharao, vorübergetragen. Nach zehn Tagen – Schemu, der Erntesommer, hatte noch nicht begonnen – ließ er sie rufen. Der Beamte erhielt ein Säckchen mit den neuen Kupfermünzen und fühlte sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm ein Angehöriger der göttlichen Familie erwies, hoch geehrt. Am fünften der Extratage wurde Neferheres geboren. Rechne, aber frage nicht! Frage nie! Der Steuerbeamte wurde Nomarch. Nomarch von Menfe! Sein Amt stopft Mäuler, die fragen.«

      Sie waren einen Bogen um Bast geritten, stiegen jetzt ab und freuten sich, das Gras an den Füßen zu spüren. Der Priester wies über den Fluss zur Altstadt, an deren Wasserseite sich aufgereihte Häuser zum Katzenfriedhof hinzogen.

      »Schau zum Horizont! In dem lichten Grün hebt sich Osorkons Festhalle über die Haine. Ihre Wände ließ Necho neu bemalen. Das war der Beginn seines Traums. Am Tag der Arbeitseröffnung gab es gar Dattelwein für die Armen. Der Tempel Pepis daneben ist zerfallen, wie andere Paläste auch. Glanzvoll überstrahlt das Haus der Bastet die dunkle Zeit. Sie verband sich mit Sechmet und wurde zur fernen Göttin.«

      »Ferne Göttin?«

      »Sie treibt ihr Unwesen in Nubien und bringt als Auge Res Verderben über Kemets Feinde. Hoffentlich begegnest du ihr auf deiner Reise nicht.«

      »Wie ist Neferheres?« unterbrach Abdi-ashirta ungeduldig die Rede des Priesters.

      »Sie ist die gehorsame Tochter der Macht. Die Macht ist ein hohes Gut. Übt Neferheres sie aus, wird sie von einem lieblichen Gewand bedeckt.«

      »Sie liebt einen Mann. Die Zofe sprach von ihm, von Sothur, Nechos Offizier.«

      »Sie liebt die Macht. Doch ihre Waffe ist die Blume, nicht das Messer. Der Wille des Herrschers geht im Schritt ihrer Wünsche. Der Glanz Ift-ars wird die Erinnerung an den Gardisten töten.«

      »Wird die Erinnerung töten«, wiederholte Abdi-ashirta. »Seeleute kennen nur ein flüchtiges Glück. Zur Frau reifen die Mädchen an der Seite anderer.«

      Die Straße zum Lazurwasser führte durch einen Palmwald. Soldaten marschierten nach Per-Sepa. Ihnen folgte ein Rasierter, dessen Finger in die Saiten einer Harfe griffen. Sein Pferd tänzelte vom Weg ab in Richtung der Kamele. Fluchend fassten die Soldaten nach dem Tier. Die Augen des Reiters waren tot.

      »Es