Wilfried Schneider

Das Mitternachtsschiff


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der König von Sidon und der Küste. Ein Begleiter wickelte dem Weißhaarigen ein Purpurgewand um die Schultern und stützte den dünnen Leib. Der Regent starrte auf die Rose von Zor und gab dem Hafenmeister ohne ein Wort das Zeichen, unverzüglich die Glocke zur Weiterfahrt zu läuten.

      »Bei Melkart! Ist das der Abschied durch den Gekrönten?« Der Admiral stampfte auf die Planken. »Dafür saßen die Männer so viele Stunden in den Bänken?«

      »Nun wird er Boten nach Kemet schicken, die den Hof unterrichten, dass er es war, der dich auf den Weg gebracht hat. Und er trägt sogar die Wahrheit im Maul«, schimpfte der Schiffsführer und befahl, den Bug auf das Meer zu drehen.

      Über die Tage waren die Segel von Sidoniens Wind gefüllt. Elisar, der Befehlshaber, suchte die Nähe des Admirals. »Du hast uns gelehrt, die Farben des Wassers zu lesen. Wir haben deine Papyri Wort für Wort im Kopf gespeichert«, sagte er voller Ehrerbietung.

      »Die Farben des Meeres, die Form der Wellen, das Salz des Wassers und dessen Temperatur, der treibende Seetang, der Weg der Wolken und die Gestirne des Himmels weisen dem Sidoner den Weg« zitierte Abdi-ashirta den Beginn seiner ersten Niederschrift.

      »Ich habe Sidoniens Küste noch nie verlassen.« So sprachen sie am Morgen des dritten Tages, da war die Lotosblüte schon näher als Zor. »Das ist meine erste große Fahrt ,und ich fahre einen Admiral! Du bist einer aus Zor und siehst doch nicht aus wie wir. Deine Augen blicken über meinen Kopf hinweg, deine Nase ist wenig gebogen, und das Braun deiner Augen ist heller als das Braun derer, die ich kenne.«

      Abdi-ashirta lachte: »Danach habe ich meinen Großvater auch gefragt, als wir einmal Tafeln in die Berge trugen. Vor fünfmal dreißig Dekaden an Jahren, so berichtete er mir, blieb der Himmel für viele Tage dunkel, als der Vulkan Santorin die Burg und die Stadt im Ring auf den Meeresgrund zog. Meine Mutter glich jenen Frauen, die von uralten Schriften beschrieben wurden, denn die Menschen Santorins kamen in das kanaanäische Land, lehrten Sidon die Seefahrt und Kemet den Bau seiner großen Gräber, die wohl keine sind. Die Wurzeln meiner Mutter und so auch meine, liegen am Rande jenes alten Inneren Meeres, das damals nicht bis Zor reichte. Die Kenntnis davon haben die Völker vergessen. So ähnlich war die Antwort meines Großvaters, und er sagte, dass vielleicht die Tafeln in den Bergen davon reden. Weißt du jetzt, wer ich bin?«

      »Nein.«

      »Ich weiß es auch nicht. Auch Samranu glaubte die Geschichte wohl nicht. Ich habe die lustigen Falten um seinen Mund gesehen.«

      Gott Melkart wollte die Rose von Zor in seinem Reich nicht länger dulden, er trieb sie in hoher Fahrt zur Lotosblüte.

      Die Ruderer waren vorwiegend Freie, die im Lohn des Rates standen und ihre Arbeit willig taten, sie konnten nach dieser Fahrt in ihrer Stadt einige Dekaden davon leben.

      »Willst du sie mitnehmen auf deine Reise?«, fragte Elisar.

      »Vielleicht nehme ich dich mit, Schiffsführer. Aber du wirst Kemet nicht sehen. Am Ausgang des Großen Mittleren Arms wartet ein Flussboot Pharaos. Es wird zu einer dunklen Stunde in Menfe anlegen. Die Hafenbeamten werden mich nicht treffen, nicht die Herren im Palast, und auch der Pöbel begafft mich nicht. Eine verhängte Sänfte trägt mich zur Herberge. Dort muss ich warten, lange Tage. Hier endet mein Wissen.«

      »Du gehst auf Fahrt und kennst das Ziel nicht! Ich wünsche dir, dass du es erreichst.«

      »Das wünsche ich dir auch!« Abdi-ashirta zeigte auf den dunklen Streifen am Horizont. »Du bist eine Stunde zu weit im Westen angekommen. Setz die Ruderer ein, wir drehen gegen den Wind!«

      »Das war der Admiral von Zor!«

      »Ja, Schiffsführer! Jetzt beginnt meine Zeitrechnung!«

       II

       Und bringe mir eine neue Welt!

      Necho, Pharao Kemets

      »Abdi-ashirta!« Der Wirt schlug gegen die Türbretter. »Abdiashirta von Zor! Ein Priester des Großen Hauses kommt zu dir! Er selbst! Er läuft neben der Sänfte! Soldaten sind bei ihm! Welcher Ruhm für meine Herberge! Oh ihr Götter! Man wird mich an die Mauer hängen! Meine Gäste schmähten dich, weil du ein Phenesch bist! Vergib mir und dem Haus!«

      »Still, Amasis! Ich fühlte mich wohl bei dir.« Der Sidoner verließ sein Zimmer und stieg in den Schankraum hinab. Wie gewöhnlich hockte Kap-tah, der Kesselflicker, auf der Eckbank.

      »Phenesch!« Seine zittrige Hand stieß gegen den Becher, rot tröpfelte der Wein auf den gestampften Lehm. Abdi-ashirta beachtete den Alten nicht. Er richtete seinen Gürtel und trat auf die Straße.

      Amasis wischte mit dem Arm über den Tisch. Der einsame Gast stierte auf die nasse Haut. »Ein Seemann aus Zor wird als Edler behandelt? Ein Phenesch! Was für Zeiten!«

      »Sieh nur!« Amasis zeigte zum Fenstergeviert. »Wie die Gardisten grüßen! Die Hände vor den Knien! Als wäre er ihr Befehlshaber!« Der Rücken eines Soldaten verdeckte die Öffnung. »Was für Zeiten!« Der Wirt schlurfte in die Vorratskammer nach neuem Wein.

      Abdi-ashirta verbeugte sich vor dem Priester. »Euer Kommen ist meine Ehre. Die Untätigkeit machte die Tage lang.«

      Zwischen zwei Türpfosten erschien ein Gesicht. »Was gibt es in unserer Straße? Oh, Osiris!« Die Peitsche eines Gardisten trieb den Neugierigen hinter die Mauer. Der Soldat folgte ihm in den Wohnraum und warf ihn über das Herdfeuer.

      Der Priester lächelte. »Es erwartet dich eine angenehme Umgebung. Ich bin Kerifer-Neith. Wie du hörst, trage ich im Namen die Göttin, der ich diene. ›Er komme zu Neith.‹ Sprich mich nicht so an, es ist nicht Sitte.« Er zeigte auf bröckelnde Hütten, die den Regen fürchteten. Unter den hastenden Füßen der Bewohner sank der Staub in den Gassen nur selten zu Boden.

      »Du tauschst das graue Viertel gegen das grüne Land. Dieser Wechsel lässt dich nach Besserem streben. Nun musst du lernen, einem Gott zu begegnen.«

      »Du kommst mit Soldaten?« fragte Abdi-ashirta.

      »Syrer. Pharao Psammetichs Beute. Der Pöbel ist in Aufruhr. Kemets Feinde säen Gift in die Herzen. Unser Land wollen sie drehen wie ein Boot. Wer keinen Ochsen hat, schreit nach einer Herde, wer kein Korn hat, giert nach dem Speicher. Neith wird sie strafen. Sakinu! Uliliya!« Zwei der Bewaffneten salutierten. »Deine Bewacher. Jeder von ihnen nimmt es mit zwanzig Ruderern auf. Das Metall ihrer Schwerter haben die Götter gesandt.«

      Sie liefen durch Menfes Mitte, die Straße lag ruhig. »Du bist Sakinu?« Abdi-ashirta berührte die Stirnnarbe des Gardisten.

      »Psammetichs Soldaten, edler Herr. Ich wehrte mich, als sie kamen.«

      »Sakinu! Du sprichst sidonisch?«

      »Meine Mutter wurde in deiner Stadt geboren. Uliliya aber versteht uns nicht.«

      »Schweig, syrische Zunge!« Der Priester wies nach vorn. »Der Große Markt.«

      Die Menschen schoben sich durch die Gassen und ballten sich auf dem Platz zu einer erregten Menge. Die Gardisten schützten die Herren mit ihren Leibern. Wie ein Fluss teilte sich das Volk an den Schilden und strömte als schreiender Haufen wieder zusammen. Aus einer Bäckerei stank es nach brennendem Eselsmist. Gerber mit krummen Messern bedrängten zwei Stadtwächter. In den Bierstuben verstummte der Lärm, als die Gruppe vorüber ging.

      »Fremder Herr! Kauft einen Ring für Eure Dame! Kommt!«

      Uliliya stieß den aufdringlichen Goldschmied zurück. Ein Garkoch mit Tragbrettern drückte sich in eine Mauernische. Der riesige Soldat flößte ihm Furcht ein.

      Die Straße wurde breiter, Eukalyptusbäume unterbrachen die Hauszeilen. Die Stimmen des Marktes verstummten.

      »Schaff Platz. Hier bedroht uns niemand!« Der