Stephan

Jakob


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gewiesen werden. Ich rede von denen, mit denen sich das Leben lohnt.“ Ziemlich gut kannte sich die Mutter aus, hatte genügend eigene Erfahrungen. Die Jungs nahmen es eher gelassen. Sie stützten den Kopf mit den Händen ab und hörten dem Ganzen „cool“ zu.

      „Und dann gibt es noch die andere Spezies Frau: verführerisch, leichtlebig. Die zieht Männer an, wie Licht die Motten, saugt sie aus und wirft sie weg. Als gehörten sie auf einen Haufen für Sondermüll. Denn nachdem sie derart mit dem Mann fertig ist, kann kaum eine andere mehr was mit ihm anfangen. Typisch ist, gerade finanziell sind solche Damen nur auf ihren Vorteil bedacht. Mal ist es das Auto, mal die schicke Wohnung, mal teure Kleidung oder neue Schuhe. Und dann? Und dann ist ein anderes Mal ihnen sogar das alles plötzlich zu viel, weil sie ihr Leben ändern und auf alles Bisherige verzichten wollen. Meinen, ein Mann wäre nur dazu da, ihnen ein solches Leben zu ermöglichen. Und weil sie aussieht wie ein Engel, fällt er darauf herein, tut er alles, damit sie bleibt und es ihr gut geht.“

      Jakob und seine Brüder waren gelehrig und wissbegierig.

      Vertrauten der Frau, die es auf jeden Fall gut mit ihnen meinte und sie schon früh aufgeklärt hatte. Sie wussten Bescheid, um die ganze Frauenproblematik und das gereizte Verhalten während dieser bestimmten Zeiten.

      Jakob betrachtete seine Klassenkameradinnen nun etwas mehr, auch genauer und etwas näher unter diesem Gesichtspunkt.

      Doch das war schwer.

      Für ihn nicht auszumachen. Er konnte kaum unterscheiden, ob die Mädchen seiner Klasse nur das Frauenproblem hatten oder ob sie immer so empfindlich grillenhaft drauf waren. Er merkte auch nie, wenn ein Mädchen etwas von ihm wollte.

      Hin und wieder fragte ihn ein Freund: „Wo hast du denn heute deine Freundin gelassen?“

      Jakob: „Hä?“

      Er sah sich nach allen Richtungen um und konnte nur verwundert, allerdings auch irgendwie verlegen zugeben: „Bin mir nicht klar darüber, eine zu haben.“

      Das traf es.

      Er war sich nicht klar darüber. Aber die Mädchen hatten das untereinander einfach mal so festgelegt. Und im Prinzip für ihn geregelt. Jakob ließ es sich gefallen.

      „Gut, dann hab ich also eine Freundin.“

      Er rückte sich seine Jacke am Kragen etwas zurecht und fuhr mit den Fingern von vorn nach hinten beidseitig durch die Haare.

      „Welche ist es denn? Und seit wann? Sieht sie wenigstens gut aus?“

      Und der Freund, der auf dem Gebiet längst viel weiter war, brachte Jakob, wie schon häufiger, wieder einmal auf den neuesten Stand.

      Jakobs Vater mischte sich selten ein, wenn es um solche Belange ging, hatte aber immer ein offenes Ohr. War eher für die praktischen Dinge zuständig. Anton erklärte den Söhnen die Welt. Zeigte auf, wie viel man mit den eigenen Händen schafft und ab wann es nötig wird, eine Fachkraft heranzulassen. Er brachte ihnen allerlei Fähigkeiten bei, erläuterte, welche Bücher maßgebend seien oder woran und wie man sich im freien Gelände orientiert. Barbara legte ihnen Gewissen und Anstand, Mitgefühl und Verständnis ans Herz. Auch Toleranz gegenüber einem Jeden. Beide hatten in ihrer Ehe durchaus eine Rollenverteilung, die aber Jakob ebenfalls nicht recht durchschaute. Es reichte, wenn sie funktionierte. Was Jakob aber besonders imponierte, war: Der Vater stellte sich immer vor seine Frau, um sie zu beschützen. Und er stellte sich hinter sie, um sie zu unterstützen. Sie mussten einfach über alles miteinander sprechen, soviel bekam er mit, und das wohl bis spät in die Nacht hinein.

      Konspirierten auch, als es um Jakobs Lehrausbildung ging. Manches schloss sich gleich von selbst aus. Bei den Zensuren kam bestimmt nur ein Handwerksberuf in Frage. Das war doch zu regeln. Auch Jakob war daran interessiert. Überaus sogar, mit einem solchen Gedanken konnte er sich anfreunden.

       Aber Jakob redet nicht.

      Ist sich klar: Alles kann es sein. Nur kein Maurer.

       Wenn Jakob reden würde,

      kämen gut durchdachte Ferien ans Licht

      Denn da war etwas, was lockte.

      Gut, dass endlich Sommerferien in Sicht waren, nur einen Monat Schule noch, dann das erste eigene Geldverdienen.

      Schon im Februar hatte sich Jakob ernsthaft um einen Job in der HO-Kaufhalle bemüht. Da er im Juni vierzehn werden wird, durfte er laut Gesetz bis zu drei Wochen Ferienarbeit leisten. Sicher, er hatte darüber nachgedacht, er hätte auch bei seinem Vater auf einer der zahlreichen Baustellen oder bei seiner Mutter im Kinderheim in der Küche als Helfer unterkommen können. Aber nee, ein Jakob nicht. Der wollte bei den Eltern nicht auch in den Ferien noch unter der Fuchtel stehen. Wollte seine eigenen Erfahrungen machen. Endlich.

      In der ersten Ferienwoche hieß es: 7.30 Uhr ist Beginn.

      Prompt konnte man Jakob schon eine viertel Stunde vorher am Personaleingang hin- und herlaufen sehen, damit eine Verspätung unter jeglichen Umständen von vornherein auszuschließen ist. Schließlich hatte er im Kopf, der erste Eindruck ist der beste, und er wollte sich die Arbeit noch weiter für künftige Ferien sichern. Denn begehrt waren solche Jobs. Seine drei Wochen als Lagerhelfer in dieser Kaufhalle vergingen wie im Fluge. Schnell stellte Jakob fest, dass es ihm recht flott von der Hand ging, flotter als anderen, und er konnte dem einen gewissen Spaß abgewinnen. Wieso auch nicht?

      Es waren ohnehin immer die gleichen Abläufe: Waren entgegennehmen, sie im Lager unterbringen oder gleich im Verkauf in die Regale einsortieren. Verderbliches wurde meist schon am Vorabend raus auf die Rampe gefahren und in Containern entsorgt. Nur bei der Milch verhielt es sich anders. Das war eine Wissenschaft für sich und war wesentlich umständlicher. Die musste sortiert werden.

      Die H-Milch wurde in bedruckten Plastikbeuteln, die am oberen und unteren Ende verschweißt waren, geliefert. Immer ein Liter pro Beutel. Die lagen dann, wenn es ganz schlimm kam, in riesigen verzinkten Aluminiumwannen. Am Boden jeder Wanne gab es dafür einen Ablauf.

      Wenn dann hier und da einige Milchbeutel an den Schweißnähten kaputtgegangen waren, wurden die noch unversehrten, aber glitschig-schwabbelnden per Hand herausgefischt, mit einem Lappen einigermaßen trocken gewischt, in kleinere viereckige Kübel sortiert und schließlich wieder in der Verkaufsraum gefahren. Oder sie wurden, falls das Verfallsdatum überschritten war, mit einem Messer aufgeschnitten und die noch übrigen leeren Folienfetzen wurden gekonnt aus der weißen Lake gefischt. ‚Igitt!’ Die in der Wanne verbliebene Milch wurde nun in verschließbare Kübel abgelassen. Im Sommer eine üble, sehr geruchsintensive Angelegenheit. Im Winter nur wenig anders. Allerdings, da konnte man Pech haben, wenn die Wanne draußen auf der Rampe stand. So hatte man entweder Milch mit Eisklumpen oder gleich einen großen Eisblock im Ganzen.

      Doch war das noch nicht das Schlimmste, es ging noch einen Zacken schärfer. Wenn nämlich die Milch längst geronnen war, die zusammengeschüttet im Kübel unerträglich vor sich her stank, mit so einer dicken gelbbräunlichen Kruste oben drauf. Im Sommer zog das pausenlos die grün schimmernden Fliegen und auch größeres Getier an, wie Ratten.

      Richtig ekelhaft.

      Dagegen half auch kein Kübeldeckel, sofern er überhaupt vorhanden war. Schön und interessant anzuschauen indes waren die Milchschleier, die beim Ausspritzen der Alu-Wanne mit dem Wasserschlauch entstanden. Egal wie es kam, umpacken, sortieren, ein- und ausräumen der Regale waren an der Tagesordnung, ebenso wie das Fegen und Wischen sämtlicher Verkaufsräume.

      Und das ständige Zählen.

      Soviel gezählt hatte Jakob bis dahin in seiner ganzen Schulzeit nicht. Hier kamen Mathe und das richtige Leben zusammen. Geruchsintensiv wurde es außerdem, wenn mal ein paar Bier- oder Limoflaschen, aus welchen Gründen auch immer, zersprangen. Dann stank es so süßsauer.

      Aber er war ja nur drei Wochen dort. Und das Geld, was er verdient hatte, wurde in bar ausgezahlt, so richtig mit Lohnschein, jedoch ohne großartige Abzüge. Ein wirklich sehr guter Verdienst!