Matthias Albrecht

Das Tal der Untoten


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klingt Walter altmodisch.“

      „Das müssen Sie meinen Eltern sagen. Die fanden den Namen toll. Mein Großvater hieß auch so.“

      „Sorry, ich wollt Ihnen net zu nahe treten; Sie könn’ ja nischt dafür.“

      „Richtig“, lächelte ich und fragte, um das Thema zu wechseln: „Is’ ’n das da für ’ne Sorte?“

      Mein Gott, Walter, tausend andere Fragen wären wichtiger gewesen! Ich war eben noch immer nicht ganz bei mir.

      Patty zuckte mit den Schultern. „Weiß net. Hab ich von Mello, was mein Bruder is’. Wohl irgend ’ne Mischung aus Dobermann und Bulldogge.“

      „Ja? So. Ich hab keine Ahnung von Hunderassen.“

      „Na ja“, gluckste sie. „Rasse is’ gut …“

      Eine unbedachte Bewegung – meine Decke fiel aus dem Wagen. Ich wollte schnell die Tür schließen, erwischte jedoch den Griff nicht sofort.

      „Oh Mann“, sagte sie mit großen Augen, ohne den Blick von meinem nackten Hintern zu wenden. „Sie sann net allein da drin, was?“

      Die Tür fiel ins Schloss, dann erinnerte ich mich der toten Batterie, die mich die Scheibe nicht herunterfahren ließ und öffnete die Tür wieder einen Spalt.

      „Hören Sie – eh – Patty – könnten Sie mir die Decke geben, ja? Meine Sachen sind sämtlich durchgeweicht worden letzte Nacht. Tut mir leid, dass ich Ihnen so …“

      Sie lachte, kam heran, hob die Decke auf und reichte sie mir durch den Spalt. „Mann, Sie brauchen sich net zu schähnieren. Sann net der erste, den ich so zu sehen krieg’. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, sagen Sie’s nur.“

      „Ich bin von der Straße abgekommen. Gestern Abend. Während des Gewitters.“

      Und dann erzählte ich ihr in Kurzform von mir und meinem Pech. Als ich fertig war, stand sie noch eine Weile mit leicht geöffnetem Mund und abwesendem Gesichtsausdruck da, als fiele es ihr schwer, das eben Gehörte zu verdauen.

      Die Sekunden, bevor sie aufzutauen begann, langten zu, sie mir näher zu betrachten: Sie trug schulterlanges, dunkelblondes, gelocktes Haar, war schlank, ja fast schon dünn zu nennen, hatte ein Allerweltgesicht und so gut wie kein „Holz vor der Hütte“. Darüber hinaus schien sie nicht viel von modischer Kleidung zu halten. Verblichene hellblaue Jeans, ein rot-weiß-kariertes Holzfällerhemd, dem man das Streunen durch Wald und Unterholz deutlich ansah und ein paar derbe Freizeitschuhe waren ihr Outfit. Alles in allem fühlte man sich als Mann von ihrem Anblick weder abgestoßen noch übermäßig angezogen. Sie war das, was man umgangssprachlich als „Graue Maus“ bezeichnet.

      „Alter Falter“, entfuhr es ihr schließlich. „Wenn Sie das der Versicherung erzählen, kriegen Sie keinen Pfennig.“ Sie reckte den Kopf und betrachtete sich die Gegend hinter dem Wagen. „Reifenspuren sann da jedenfalls net. Das müssen Sie geträumt haben.“

      Ich sprang aus dem Fahrzeug, lief ein paar Schritte zum Heck und blieb wie angewurzelt stehen. Sie hatte recht: Weit und breit keine Spuren zu sehen. Wie war das möglich? Hatte sich der Waldboden über Nacht bereits derart regeneriert, dass …

      „Soll ich Ihnen wieder Ihre Decke bringen?“, hörte ich es hinter mir glucksen. „Oder kommen Sie auch so klar?“

      Ich fuhr herum, bedeckte eine gewisse Stelle meines Körpers mit den Händen. Ein besonders geistreiches Gesicht mochte ich dabei nicht gemacht haben, denn sie lachte laut auf.

      „Hören Sie, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Bis zur Mühle isses net allzu weit. Ich laufe zurück und hole Ihnen trockene Sachen. Sie bleiben hier und überlegen sich derweilen eine neue Erklärung. Denn mit der, die Sie mir da gerade auftischten, können Sie keinen Preis gewinnen. Höchstens ’nen lebenslangen Aufenthalt in ’ner Klappse. Komm, Harris, bei Fuß!“

      Ich starrte ihr nach, in diesem Moment nicht ahnend, wie nahe sie der Wahrheit kam und hielt noch immer die Hände vor meinen – Sie wissen schon.

      So stand ich eine ganze Weile, bis mir einfiel, wieder nach dem Handy zu sehen.

      Kein Netz! Ich hatte nichts anderes erwartet. Und der Sprinter sagte auch keinen Ton. Meine Hoffnung, die Batterie könnte sich über die Stunden etwas erholt haben, wurde schmählich enttäuscht. Doch wozu das Fahrzeug starten wollen? Ich stand mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung, rings umgeben von undurchdringlichem Dickicht. Wohin hätte ich fahren sollen?

      Die Stunden verrannen, und Patty ließ sich nicht blicken. Irgendetwas musste sie aufgehalten haben, wo doch die Mühle ganz in der Nähe liegen sollte. Ich gewann allmählich den Eindruck, dass sie gar nicht gewillt war, zurück zu kommen. Möglicherweise war ich ihr nicht geheuer. Wie auch die Situation, in der ich mich befand. Jedenfalls hatte ich nun genug Zeit, mir darüber klar zu werden, dass ich tief in der Scheiße saß. In der ich die letzten zwei Zigaretten rauchte und an Nadine dachte, die jetzt wohl meinen Umschlag auf dem Küchentisch gefunden haben mochte.

       Hallo Nadine,

       ich habe über alles gründlich nachgedacht. Ich werde dir den Gefallen tun. Wenn du eine Auszeit willst – bitte. Ich weiß zwar nicht, wofür die gut sein soll, da ich meine Meinung ohnehin nicht ändern werde, aber okay. Ich bin der Letzte, der sich dir – uns – in den Weg stellen will. Kann nur sein, dass diese Auszeit am Ende länger dauert, als du es dir wünschst. Hauptsache, du bereust es eines Tages nicht …

      Die letzte Bemerkung hätte ich mir verkneifen können, das wurde mir gerade bewusst. Sie klang irgendwie kindisch. Nein, eher wie eine Drohung. Wie etwas nicht Umkehrbares. Und darüberhinaus wirklich reichlich albern. Was sollte sie an einer Auszeit – wie lange diese auch währen möge – bereuen? Sie hatte sie ja selbst gewollt. Ja, wenn ich vorhätte, niemals zu ihr zurückzukehren, dann bekäme dieser Zusatz immerhin einen gewissen …

      … Sinn?!

      Hundegebell riss mich aus dieser verzweifelten Rückbetrachtung. Ich war irgendwie dankbar dafür. Zunächst gewahrte ich Harris, der vorausrannte, sich wie toll gebärdete und an der Fahrertür hochsprang. Dann Patty mit einer Tüte in der Hand. Und schließlich ihren Begleiter.

      Komische Konstellation der Gefühle: Eigentlich hätte ich mich mehr vor ihr als vor ihm genieren müssen, und doch wäre es mir lieber gewesen, wenn ich es nach wie vor mit ihr allein zu tun gehabt hätte. Und meinetwegen mit Harris.

      „Ich hab hier was zum Anziehen. Nischt Besonderes, aber bis heim zu uns wird’s gehen. In der Mühle sehen wir dann zu, dass Ihre Sachen trocken werden.“ Sie schob mir die Tüte durch den Türspalt.

      „Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen.“

      „Ach woher denn. Aber ohne Harris hätt ich net mehr hergefunden. Und der war für einige Zeit net auffindbar.“

      „Er war nicht – auffindbar?“, staunte ich.

      „Na, Harris is nu mal kein Schoßhündchen. Der kann sich frei bewegen im Tal. Und wann er auf ’n interessantes Wild trifft oder Hunde, die er net leiden kann, da is er nu mal hin und weg. Ich hab ’ne Zeitlang gebraucht, ihn zu finden. Was glauben Sie, wo er war?“

      „Ich denke, das entzieht sich meiner Kenntnis.“

      „An den Fischteichen!“

      „Ach was.“

      „Ja, wirklich. Er hatte wohl gerade ’ne Spur verfolgt, die …“

      „Patty!“

      „Ja?“

      „Das ist ja alles sehr interessant, aber Sie werden verstehen, dass ich jetzt andere Sorgen habe, als zu erfahren, was Harris bewegte, sich …“

      „Oh, natürlich. Sorry. Da rede ich und rede und vergesse dabei …“

      „Patty!“

      „Hm?“

      Ich