es aus, als hätte man eine Kindergartengruppe mit tausend Litern Fingerfarben auf ihn gehetzt. Das Kopfsteinpflaster schillerte in allen Regenbogenfarben, und Tom selbst ganz genauso. Ja, seine Hände waren rot, aber der Rest von ihm war blau, gelb, grün, lila, schwarz, weiß, rosa, aubergine, beige und mehrere Mischformen all dessen.
Neben ihm hob Hop-Tep den Kopf. Er war nicht nur über und über mit allen Farben bekleckert, es klebten auch diverse Pinsel an ihm, und obendrauf thronte ein Farbeimer, als hätte er sich zum Schutz einen sehr albernen Helm aufgesetzt.
Tom sah an sich hinunter und erkannte nun auch, dass ihn in Wirklichkeit niemand am Fuß festgehalten hatte. Er war einfach nur in einen Farbeimer getreten, und sein Schuh hatte sich mit der Gummisohle ganz wunderbar darin festgeklemmt.
Er hob den Blick, und aus dem ersten Stock der Geisterbahn gähnte ihn das große Loch an, durch das Hop-Tep offensichtlich gebrochen war.
»W… was war denn los, um Gottes willen?«, fragte Tom und rappelte sich auf.
Hop-Tep brabbelte aufgeregt unter seinen Bandagen hervor und zeigte wiederholt nach oben zu dem Loch.
Mimi schwebte vor ihm hin und her. »Er sagt, er hätte gerade mit den Malerarbeiten begonnen, als sich etwas direkt vor ihm aus dem Boden erhob. Bevor er sehen konnte, was es war, hat es ihn gepackt und einfach durch die Wand geworfen. Und schalte endlich deine Telepathie ein, ich will nicht dauernd übersetzen.«
Tom nickte abwesend und sah zu den anderen, die sich natürlich längst an dem überbunten Tatort eingefunden hatten. Welf war da und Vlarad ebenso.
»Wo ist Wombie?«, fragte er, und gleichzeitig rollte er seinen Ärmel hoch.
Tom war dank einer magischen Verbindung nicht nur in der Lage, mit den anderen telepathisch zu kommunizieren – also in Gedanken zu sprechen. Mit einer Art Geister-Navi auf seinem Arm konnte er jederzeit sehen, wo sich wer befand. Wenn er es nicht mal wieder vergaß …
Ein rötlich schimmernder Punkt unter der Haut am Unterarm zeigte ihm, dass sich Wombie wohl nach wie vor im Inneren der Schreckensfahrt befinden musste. Der Punkt bewegte sich nicht. Das war für Wombie normalerweise nichts Ungewöhnliches. Der Zombie konnte tagelang an der gleichen Stelle stehen und so lange auf eine Bodenfliese starren, bis diese grau anlief. Aber vorhin hatte er ja eine Aufgabe bekommen, und eigentlich konnte ihn nichts daran hindern, diese auszuführen.
»Mimi, kannst du bitte mal nachsehen, ob mit Wombie alles okay ist?«, bat Tom das Gespenstermädchen.
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war sie weggesaust, und nur einen Augenblick später war sie auch schon wieder da.
»Schnell, kommt mit! Ihr müsst helfen! Los!«, rief sie aufgeregt und flatterte voraus. Welf und Vlarad rannten sofort die Stufen zum Eingang der Geisterbahn hinauf und verschwanden im Inneren. Auch Hop-Tep und Tom wollten ihnen folgen, aber das war nicht ganz so einfach …
»Oh Mann, wir kleben fest!«, rief Tom zu der Mumie hinüber. »Die verdammte Farbe ist getrocknet, ich fass es nicht. Was machen wir denn jetzt?«
Tom schaffte es immerhin, den Fuß vom Boden zu lösen, der nicht in dem Eimer klemmte. Aber sein Hosenboden pappte bombenfest auf dem Kopfsteinpflaster. Er sah zu Hop-Tep, den es noch viel schlimmer erwischt hatte: Seine Bandagen hatten sich voll Farbe gesogen, klebten nun überall auf dem Boden, auf ihm und vor allem aneinander.
Es war erstaunlich, was man einer Mumie mit ein paar Eimern schnelltrocknender Farbe alles antun konnte. Der arme Kerl konnte sich trotz seiner übermenschlichen Kräfte kaum mehr bewegen.
Eine Idee musste her. Na ja, Tom hatte zwar bereits eine, war sich aber nicht so sicher, wie wahnsinnig genial diese war. Erst einmal musste er irgendwie aufstehen, denn ein wichtiger Teil seiner Idee befand sich im Zirkuswagen. Und der war verdammt schwer zu erreichen, wenn man mit der Hose auf dem Boden klebte.
»Och nö …«, stöhnte Tom laut, als ihm klar wurde, was die einzige Lösung war. Trotzdem tat er sofort, was getan werden musste, schlüpfte aus den Schuhen, öffnete dann seine Hose und rutschte rückwärts ruckelnd aus der Jeans. »Ich bin gleich wieder da, Hop-Tep!« Tom lief hosenlos zum Zirkuswagen. Währenddessen rief er telepathisch nach Mimi, damit sie ihm endlich mitteilte, ob mit Wombie alles okay war.
Wir haben ihn gefunden, er lag in den Gleisen neben Vlarads Sarg, erklang sofort die Stimme des Geistermädchens in seinem Kopf. Irgendwer oder irgendwas hat ihn doch glatt mit unseren Geisterbahn-Gondeln ausgeknockt, Tom! Und das, obwohl der Einzige, der stark genug ist, um diese Wagen zu werfen, Wombie selbst ist! Er war begraben unter allen zwölf Gondeln!
Das ist nicht gut, gar nicht gut, dachte Tom. Wie geht’s ihm denn?, fragte er stattdessen, als er die große Ladeklappe öffnete, die sich unterhalb des Bodens zwischen den Rädern des Wagens befand.
Ach, Wombie geht’s wie immer. Falls er tatsächlich einen Knacks im Schädel davongetragen hat, kann Welf ihm den sicher wieder zutackern.
Na, hurra, sendete Tom zu Mimi hinüber. Gut, dann bis gleich. Ich muss mich um Hop-Tep kümmern.
Endlich hatte er auch gefunden, was er suchte, und rannte umgehend zurück zur Mumie.
»Das hier ist ein Kanister voll Spiritus, Hop-Tep!«, erklärte Tom schnaufend. »Es löst auf jeden Fall die Farbe auf, aber es stinkt ganz furchtbar, ist leicht entflammbar, schmeckt scheiße, und die Dämpfe sind giftig. Also kommt es so ein bisschen drauf an, wie unsterblich du bist …«
Der ägyptische Prinz war nur noch in der Lage, eine Hand zu bewegen. Diese zeigte aber deutlich so etwas wie »Los-nun-mach-schon!«.
Tom nickte. »Also gut, aber bitte trotzdem Luft anhalten, wenn es geht.« Dann schob er sich den Kragen seines Hemdes als improvisierten Atemschutz über die Nase, öffnete den Kanister und besprenkelte Hop-Tep so gleichmäßig wie möglich mit dem stechend riechenden Alkohol.
Schnell entfaltete die Chemikalie ihre Wirkung: Hop-Tep musste ein paarmal so heftig niesen, dass sich die Bandagen um seinen Kopf aufblähten. Aber tatsächlich wurden die Farbschichten durch den Verdünner wieder flüssig, und schon nach einer halben Minute konnte die Mumie sich endlich aufrichten.
Hop-Tep streckte die knochigen Glieder und schüttelte sich. Ich danke dir, mein Junge, hörte Tom die Mumie in seinem Kopf salbungsvoll sprechen, und der ägyptische Prinz deutete eine Verbeugung an.
»Aber immer gerne«, entgegnete Tom. »Bis gleich. Und offene Flammen meiden.«
Die Mumie nickte noch einmal höflich und schlurfte dann umgehend davon, um sich einer zeitraubenden Neu-Bandagierung zu widmen.
Da kam Mimi mit Welf und Vlarad aus der Geisterbahn, dicht gefolgt von Wombie. Aber erst als der Zombie seinem Stoffhasen Odor das verbliebene seiner ehemals zwei Knopfaugen zuhielt, bemerkte Tom, dass irgendetwas nicht stimmte. Welf sah irgendwie amüsiert aus, und Mimi schaute angestrengt hinauf zum Mond, der hinter den Wolken gar nicht zu sehen war. Der Vampir hatte sich hinter seiner aristokratischen Miene versteckt, und nichts war aus seinem Gesicht zu lesen.
Ach so, die Hose, erinnerte sich Tom in dem Moment und winkte lachend ab. »Also bitte, ich denke, auch ihr werdet in eurem früheren Leben schon mal ein Schwimmbad besucht haben.«
»Trägt man heute in den Schwimmbädern etwa keine Badehosen mehr?«, wollte Welf wissen, und Tom fühlte sich von einer Sekunde auf die andere recht luftig um die Hüften.
Er warf einen ahnungsschwangeren Blick zu seiner Hose, die nach wie vor auf dem Boden pappte … und tatsächlich spitzte da ein Teil seiner Unterhose raus.
»Das … ist der peinlichste Moment in meinem gesamten … Leben …«, gluckste es aus Tom heraus. »Ich … Wenn mich jemand … Ich bin in … Oh Gott, ich sterbe.«
Er griff mit beiden Händen an sein Hemd und zog es so weit herunter, bis die Nähte hörbar knacksten. Dann lief er in geduckter Haltung zurück zum Zirkuswagen und schlug lautstark die Tür hinter sich zu.