die Nazis das Mobiliar seiner Villa in der Gloriettegasse 15 im Dorotheum zwangsversteigern, wird das Ziel der „Reise“ nicht erreichen: In der zweiten Nacht, der Zug befindet sich irgendwo in Polen, lässt ihn Brunner an den Einstiegsstufen des ersten Waggons, gleich nach der Lokomotive, anketten und beginnt, ihn „auf unflätige Weise“ zu beschimpfen, nach etwa einer Stunde erschießt Brunner den Wehrlosen. Zur „Ohrenzeugin“ des Mordes wird auch die 14-jährige Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer 1-jährigen Schwester Rita und ihren Eltern in einem Abteil des ersten Waggons untergebracht ist …
Am 10. Februar erreicht der Zug die Station Skirotava in Riga, es herrscht klirrende Kälte – 42 Grad unter null. Das Ghetto, so erklärt ihnen der „zum Empfang“ angetretene SS-Obersturmführer Gerhard Maywald, sei sechs Kilometer entfernt, für alle, die nicht zu Fuß gehen möchten, habe man einige Autobusse bereitgestellt. Etwa 700 der aus Wien angekommenen Juden stellen sich daraufhin bei den Autobussen an, die anderen, darunter auch die Familie Hirschhorn, wählen den Fußmarsch zum, Ghetto. Ihre Leidensgenossen werden sie nie mehr sehen: Die 700 werden direkt zum Exekutionsplatz in den Bikernieki-Wald gefahren und dort erschossen; einer der „Autobusse“ ist ein Gaswagen, in dem die Opfer mit Auspuffgasen erstickt werden. „Wir hatten uns selbst selektiert“, wird Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter das Ghetto in Riga überlebt, in ihren Erinnerungen – sie erscheinen unter ihrem späteren Namen Gertrude Schneider – feststellen. Die Rote Armee befreit sie, die dem Tode nahe ist, aus einem Außenlager des KZ Stutthof bei Danzig; am 1. Juni 1945 kommen die drei Frauen am Südostbahnhof in Wien an – doch hier empfängt man sie keineswegs mit offenen Armen. – „Wegen der Behandlung, die uns in Wien zuteil wurde“, beschließen sie 1947, in die USA zu emigrieren.
Die Abschaffung der Todesstrafe
Plenarsitzung des Nationalrats im Parlament. Am Rednerpult steht der SPÖ-Abgeordnete Dr. Christian Broda (1916 – 1987), ehemals Justizminister im dritten Kabinett von Julius Raab und zukünftiger Justizminister in den Alleinregierungen Bruno Kreiskys. „Die Entfernung des überflüssigen Wortes, Todesstrafe‘ aus unserer Verfassung und Rechtsordnung“, sagt Broda, „ist ein Augenblick für innere Einkehr.“ Es ist zwar nur ein schlichter Satz, der vom Nationalrat beschlossen wird: „Der Artikel 85 des Bundes-Verfassungsgesetzes hat nunmehr zu lauten:, Die Todesstrafe ist abgeschafft‘“ – mit seiner Aufforderung zum Innehalten und Besinnen unterstreicht Broda, der schon 1965 eine entsprechende Gesetzesänderung vorgeschlagen hat, die Bedeutung dieses Beschlusses jedoch völlig zu Recht. Die Zweite Republik holt damit endlich nach, was sie schon längst hätte tun müssen. Die Todesstrafe, so das klare Bekenntnis, das hinter dem Artikel 85 B-VG steht, hat in der modernen österreichischen Demokratie nichts mehr verloren. Gelebte Praxis wird in Recht gegossen, liegt die letzte Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nach österreichischem Recht doch schon 18 Jahre zurück: Am 24. März 1950 wurde im Wiener Landesgericht der zweifache Raubmörder Johann Trnka gehängt; wenig später, am 24. Mai 1950, schaffte der Nationalrat die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren ab; es blieb allerdings die – sehr theoretische – Möglichkeit eines Todesurteils im standgerichtlichen Verfahren. 100 Todesurteile waren bis zu diesem Zeitpunkt in der Zweiten Republik ausgesprochen worden, 46 Menschen durch Hinrichtung gestorben, davon 30 nach Urteilen der Volksgerichte aufgrund des Kriegsverbrecher- und NS-Verbotsgesetzes.
Ein engagierter Gegner der Todesstrafe: Justizminister Christian Broda im Jahre 1963.
Gestützt auf diesen „Grundkonsens der Zweiten Republik“, engagiert sich Broda weiter: 1978 legt er der Justizministerkonferenz des Europarates ein Memorandum vor, in dem er vorschlägt, die Frage nach der Abschaffung der Todesstrafe in das Arbeitsprogramm des Europarates aufzunehmen – er stößt damit eine Entwicklung an, die im 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, unterzeichnet am 28. April 1983 in Straßburg, ihren Abschluss findet. Der Artikel 1 des 6. Zusatzprotokolls lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.“
Der Schranz-Rummel
Bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 will Karl Schranz, Österreichs Schiheld dieser Jahre, der Gesamtweltcupsieger 1969 und 1970, endlich Abfahrtsgold holen. Doch da ist sein „Intimfeind“, der greise IOC-Präsident Avery Brundage, der auf den Amateurstatus der Olympia-Starter pocht. Nach seiner Ankunft in Tokyo gibt Schranz „schonungslose“ Interviews, Brundage, so seine Argumentation, habe die Entwicklungen im Spitzensport „einfach verschlafen“ – ein provokanter Ton, der im IOC auf wenig Verständnis stößt: Am 31. Januar 1972 wird Gold-Hoffnung Schranz durch die Vollversammlung des IOC mit 28 : 14 Stimmen wegen „Missachtung des Geistes der olympischen Tradition“ von den Spielen ausgeschlossen.
Großer Empfang für den „Ski-Märtyrer“: 52 Karl Schranz am Heldenplatz.
Heftige rot-weiß-rote Emotionen sind die Folge: Unterrichtsminister Fred Sinowatz schickt ein Telegramm nach Sapporo, in dem er das ÖOC auffordert, „schärfstens“ gegen den Ausschluss von Schranz zu protestieren, sollte dieser aufrecht bleiben, so empfehle er einen Rückzug der Alpinen von den Olympiabewerben. Aussichtsreiche Läuferinnen und Läufer wie die große Goldfavoritin Annemarie Pröll sind gegen eine Abreise; in einer Erklärung vom 1. Februar 1972 sagt Schranz schließlich: „Ich als Einzelperson möchte nicht der Anlass sein, dass Österreich als Skiland von diesen Spielen ausgeschlossen bleibt.“ Die Skikollegen bleiben daraufhin trotz dieser „Riesenschweinerei“ in Japan – Schranz packt jedoch die Koffer.
Zu Hause plant man für den „Ski-Märtyrer“ den großen Empfang. Bundeskanzler Bruno Kreisky sieht sich eins mit der wütenden Schination und dem ORF, der auf Anweisung von Generalintendant Gerd Bacher gekonnt Regie führt: Zehntausende sind am 8. Februar 1972 auf den Beinen, um ihren Ski-Volkshelden zu empfangen, die Fahrt im offenen Wagen vom Flughafen in Schwechat bis zum Bundeskanzleramt am Ballhausplatz wird zu einem einzigartigen Triumphzug, der am Balkon des Kanzleramts zu einem beinahe beängstigenden Finale kulminiert: „Wie hypnotisiert vom Anblick der Massen, fühl’ ich mich für einige Augenblicke geradezu wie ein Volkstribun, wie ein Imperator. Caesar mag es so ergangen sein, oder Nero“, wird Schranz später in seiner Autobiografie erzählen. Am 12. Februar 1972 verkündet er in einem offenen Brief an ÖSV-Präsident Karl-Heinz Klee seinen Rücktritt.
Franz Ziereis wird Lagerkommandant im KZ Mauthausen
Im KZ Mauthausen, seit August 1938 in Betrieb – die ersten 300 Häftlinge sind am 8. August aus dem KZ Dachau angekommen –, steht eine Änderung bevor: Lagerkommandant Albert Sauer, der ehemalige Tischler aus Misdroy in Pommern, soll wegen „Nachlässigkeit und zu großer Milde“ abgelöst werden. Der Nachfolger steht schon bereit: Es ist der Münchner Nazi SS-Obersturmführer Franz Ziereis, der Ausbildner der SS-Totenkopfstandarte III Thüringen. Theodor Eicke, der Inspekteur der Konzentrationslager, hält große Stücke auf den 1905 geborenen Ausbildner und Ziereis wird ihn nicht enttäuschen: Bis Ende 1938 sind über 1.000 Häftlinge nach Mauthausen eingewiesen worden, doch nun, im Frühjahr 1939, steigen die Häftlingszahlen rasch weiter. Es kommen die politischen Gegner der Nazis aus dem Sudetenland, dann erstmals auch als „asozial“ diskriminierte „Zigeuner“ aus dem Burgenland und erste jüdische Häftlinge. Und mit den Siegen Hitlers auf dem Kontinent ab dem Herbst 1939 wird Mauthausen zum Sammelbecken für Opfer des Nazi-Terrors aus ganz Europa: Polnische Intellektuelle und sowjetische Kriegsgefangene, republikanisch gesinnte Spanier und holländische Juden, Angehörige von insgesamt 30 Nationen, sehen sich Tag für Tag mit der Unmenschlichkeit, der Brutalität und dem Sadismus der Schergen Hitlers konfrontiert. In der Nazi-Bürokratie wird Mauthausen die