Johannes Sachslehner

365 Schicksalstage


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      Der „Große Türkenkrieg“, von Großwesir Kara Mustafa und Sultan Mehmed IV. vom Zaun gebrochen, ist zu Ende. Nach dem glorreichen Sieg vor den Toren Wiens am 12. September 1683 hat dieser die kaiserlichen Heere immer weiter nach Osten geführt, am 2. September 1686 ist die ungarische Hauptstadt Ofen (Buda) gefallen, 1688 erobert Kurfürst Max Emanuel von Bayern ein erstes Mal Belgrad für den Kaiser und schließlich ist es der neue Oberbefehlshaber über die Armeen Habsburgs in Ungarn, Prinz Eugen von Savoyen, der am 1. September 1697 bei Zenta einen vernichtenden Schlag gegen die Streitkräfte der Hohen Pforte unter Sultan Mustafa II. und Großwesir Elmas Mohammed Pascha führt. Was man Schlacht für Schlacht dem türkischen „Erbfeind“ abgerungen hat, wird nun im „Frieden von Mitternacht“ vertraglich festgeschrieben: Die Habsburgermonarchie erhält den größten Teil Ungarns mit Siebenbürgen sowie Teile Sloweniens und Kroatiens zugesprochen; die Halbinsel Peloponnes (Morea) sowie Teile Dalmatiens und der Herzegowina fallen an die Serenissima. Die Gefahr eines türkischen Angriffs, jene Bedrohung, die jahrhundertelang die Politik des Reichs und der Habsburgerherrscher bestimmt hat, ist damit für immer geschwunden, das Osmanische Reich auf den Balkan zurückgeworfen. Im Juli 1683 hat Kaiser Leopold I. vor dem auf Wien vorrückenden Riesenheer Kara Mustafas noch kläglich Reißaus genommen, jetzt sieht er sich und sein Haus auf einem neuen Höhepunkt der Macht; seine siegreichen Heerführer, allen voran Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der „Türkenlouis“, und Prinz Eugen von Savoyen, werden als Helden gefeiert.

       Der Internationale Holocaust-Gedenktag

      Im Herbst 1941 wird in Auschwitz erstmals Cyanwasserstoffgas zur Tötung von Menschen eingesetzt; erste Opfer sind vor allem sowjetische Kriegsgefangene. Am 26. März 1942 trifft der erste „Sammeltransport“ mit Juden ein. Noch arbeitsfähige Menschen werden von SS-Ärzten „selektiert“, die übrigen, vor allem alte Menschen und Kinder, schickt man sofort „ins Gas“. Insgesamt werden im KZ Auschwitz-Birkenau etwa 1,35 Millionen Juden ermordet, weiters etwa 20.000 Roma und Sinti, 1.700 sowjetische Kriegsgefangene sowie 83.000 Menschen aus politischen und anderen Gründen.

      Hinter diesen Opferzahlen verbirgt sich die Ermordung Tausender Österreicherinnen und Österreicher. So fährt der am 17. Juli 1942 vom Aspangbahnhof abgehende „32. Transport“ mit ungefähr 1.000 Menschen direkt nach Auschwitz; 212 Frauen werden als Häftlinge ins Lager eingewiesen, die übrigen vermutlich ermordet. Zahlreiche österreichische Opfer gelangen aus anderen Lagern in die schlesische Vernichtungsstätte: Mehr als 4.100 Österreicher werden von Theresienstadt, ca. 500 Personen in Einzeltransporten hierher gebracht. Weiters werden mehr als 3.700 österreichische Juden aus französischen Lagern, ca. 350 aus Italien und etwa 260 aus den Niederlanden nach Auschwitz transportiert. Auch aus anderen Ländern werden Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft hierher verschleppt; ihre genaue Zahl kann nicht mehr festgestellt werden.

       Trostloser Ort des Grauens: das Vernichtungslager Auschwitz im Januar 1945.

      Vor dem Eintreffen der Roten Armee versuchen die Nazis die Spuren zu verwischen: Ab November 1944 demontiert man die Krematorien; die Häftlinge werden auf „Todesmärschen“ Richtung Westen getrieben. Als die ersten Rotgardisten am 27. Januar 1945 das Lagergelände erreichen, befinden sich hier nur noch etwa 7.500 Häftlinge.

      Im November 2005 beschließt die Generalversammlung der UNO, den Tag der Befreiung von Auschwitz als „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ zu begehen. Bereits 1996 entscheidet man sich in Deutschland dafür, diesen Tag als nationalen Gedenktag zu feiern. Am 19. Januar 1996 erklärt Bundespräsident Roman Herzog vor dem Deutschen Bundestag: „Zunächst darf das Erinnern nicht aufhören; denn ohne Erinnerung gibt es weder Überwindung des Bösen noch Lehren für die Zukunft. Und zum andern zielt die kollektive Verantwortung genau auf die Verwirklichung dieser Lehren, die immer wieder auf dasselbe hinauslaufen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Würde des Menschen.“

       Die letzte Schubertiade

      Gastgeber Joseph von Spaun (1788 – 1865), wohlbestallter 3. Assessor bei der allgemeinen Hofkammer, ist mit Franz Schubert seit den gemeinsamen Studienzeiten an der Universität Wien befreundet. Immer wieder hat er den aufstrebenden Komponisten mit finanziellen Zuwendungen unterstützt und mit Angehörigen der Wiener Gesellschaft, mit Künstlern und Schriftstellern wie Leopold Kupelwieser, Moritz von Schwind, Johann Mayrhofer und Franz von Schober bekannt gemacht. An diesem Abend hat Spaun, der es später bis zum Leiter der Lotteriendirektion und des Generalhoftaxamtes bringen wird, zu einer Privataufführung in seiner geräumigen Wohnung in den sogenannten „Klepperställen“, heute das Haus Teinfaltstraße 8/​8A, geladen. Drei Tage vor seinem 31. Geburtstag ist Schubert bester Laune; die zahlreich erschienenen Freunde und Gäste, es sind etwa 50, verbringen mit ihm zusammen einen anregenden Abend: Höhepunkt ist die Uraufführung seiner neuen Komposition, eines Klaviertrios in B-Dur, dem man später die Opuszahl 99 beifügen wird. Gespielt wird von seinen Freunden Ignaz Schuppanzigh (Violine), Joseph Lincke (Violoncello) und Carl Maria von Bocklet (Klavier); die drei Musiker haben bereits wenige Wochen zuvor, am Stephanitag 1827, bei einer Veranstaltung des Musikvereins sein Klaviertrio in Es-Dur zur Aufführung gebracht. Das Stück, eines der großen Meisterwerke der Kammermusik, findet bei den Zuhörern begeisterte Aufnahme.

      Der Abend wird zu einem vollen Erfolg; es wird gesungen und rezitiert, gescherzt und diskutiert – noch ahnt niemand, dass es die letzte „Schubertiade“ sein wird …

      Acht Jahre später, 1836, erscheint Schuberts Klaviertrio erstmals im Druck; von Robert Schumann ist dazu folgender Ausspruch überliefert: „Ein Blick auf das Trio und das erbärmliche Menschenreich flieht zurück und die Welt glänzt wieder frisch.“

      Schubertiade bei Joseph von Spaun. Kolorierter Holzstich nach einem Gemälde von Hans Temple.

       Der Auschwitz-Erlass

      Bei der Kriminalpolizeileitstelle Wien trifft ein Schnellbrief des Reichskriminalpolizeiamts (RPKA) von Berlin ein. Gerüchte schwirren schon seit einigen Wochen herum, doch nun haben die Beamten den berüchtigten Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942, bekannt als „Auschwitz-Erlass“, schwarz auf weiß vor sich: „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ sind nach „bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im nachstehenden kurz als, zigeunerische Person‘ bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz.“

      Dieser zusammenfassenden knappen Anweisung folgen detaillierte Durchführungsbestimmungen, ausgenommen von der Deportation sollen „reinrassige Sinte- und Lalleri-Zigeuner“ bleiben, aber auch „zigeunerische Personen, die mit Deutschblütigen rechtsgültig verheiratet sind“ sowie „sozial angepasst lebende zigeunerische Personen, die bereits vor der allgemeinen Zigeunererfassung in fester Arbeit standen und feste Wohnungen hatten“ – Bestimmungen, die in ihrer Monstrosität Himmlers Ringen mit dem Thema „Zigeuner“ und seinen Rassenwahn spiegeln: Die Verfolgung soll – hier macht sich der Einfluss des „Zigeunerforschers“ Robert Ritter auf Himmler deutlich bemerkbar – den „Mischlingen“ gelten, von denen Ritter so wenig hält: Wer nicht in ein KZ eingewiesen wird, sei daher zur „Unfruchtbarmachung“ angehalten, das gelte für alle Personen über zwölf Jahre. Die Profitmöglichkeiten werden dabei nicht vergessen: Das Eigentum der Deportierten, so Himmler, sei in „geeigneter Weise“ sicherzustellen, mitnehmen dürfen sie allenfalls Wäsche zum täglichen Bedarf und „verderblichen Mundvorrat“, die Ausweispapiere sind ihnen abzunehmen und bei den zuständigen