Adrian Plass

Darky Green


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Teil der Prozedur brauchte er beide Arme und den ganzen Oberkörper. Er neigte sich auf die Seite, hob die Ellbogen auf eine Höhe mit seinem Kopf und schob sich mit der Linken die langen, blonden Strähnen zum Hinterkopf hin, während er mit der Rechten mit künstlerischem Schwung aus dem Handgelenk den Kamm führte, etwa so wie ein breiter Pinselstrich auf einer Leinwand. Dann schwang er den Oberkörper auf die andere Seite hinüber, als machte er Aerobic-Übungen, brachte die Arme wieder in Stellung und wiederholte den beschriebenen Kämmvorgang auf der anderen Seite. Dann noch ein letzter, entscheidender, geübter Vorwärtsstrich durch die Haare oben auf seinem Kopf, um die extravagante Tolle zu erzeugen, die sein Selbstbild mit einem schwachen Hauch von Clint Eastwood parfümierte.

      Hätte er die Wahl gehabt, so hätte Darky am liebsten sein eigenes Gesicht nie wieder angeschaut. Deshalb waren die Haare und die Kleidung so wichtig. Wie so viele Männer pflegte er eine andauernde, mühsam aufrechterhaltene Fantasie über sein Aussehen, eine Hoffnung wider alle historische Erfahrung, er wäre vielleicht doch attraktiver, als er fürchtete, und die Mädchen verheimlichten aus Gründen, die nur sie selbst kannten, den positiven Anklang, den er bei ihnen fand. Für Darky war das harte Arbeit, aber jene Ruhekissen machten es ihm leichter, die Last zu tragen. Die Ironie dabei, wenn dieses Wort auch für ihn völlig unverständlich gewesen wäre, war, dass Darky trotz seines einen schielenden Auges, seiner beiden vorstehenden Schneidezähne und seiner dreieckigen Kopfform tatsächlich der Kümmerling aus einem Eastwood-Wurf hätte sein können. Eine schlecht getroffene Miniaturausgabe. Eine eingeschrumpfte Version des Originals. Eine Spitting-Image-Puppe, die in der Form versehentlich zu stark erhitzt wurde und ganz zerschmolzen und verformt herausgekommen war.

      Während er die letzten Feinheiten an seinen Haaren richtete, studierte er seinen Witz für den Friseur ein. Immer, wenn er sich die Haare schneiden ließ, erzählte er einen neuen Witz. Das war auch eines dieser Dinge, die er immer tat. Darky hatte noch nie vom Existenzialismus gehört, aber vielleicht hätte er eine große Übereinstimmung mit jenen Anhängern dieser Philosophie festgestellt, die der Auffassung sind, dass die Welt aufhöre zu existieren, sobald sie nicht anwesend seien. Darky Greens nebelhafte Vorstellung war, dass die Mitarbeiter des Salons »New Wave« in der Zeit zwischen seinen Besuchen in einer Art Aktivitäts- und Interessenvakuum lebten. Nichts passierte, wenn er nicht da war. Wie könnte es auch? Wenn er kam, zuvorkommend mit einem neuen Witz gerüstet, hatten sie zum ersten Mal seit seinem letzten Erscheinen wieder die Gelegenheit zu einer bedeutungsvollen Existenz.

      Diesmal hatte er Macey anrufen müssen, um sich seinen Witz zu verschaffen. Macey oder John oder Kevo oder Baz, irgendeiner von denen hatte meistens einen parat. Dieser hier von Macey war erste Sahne! Er probierte ihn vor dem Spiegel.

      »Also passt auf: Warum weint Mike Tyson beim Sex?«

      Keiner der Phantomfriseure im Spiegel wusste, warum Mike Tyson beim Sex weint, aber sie alle lächelten in der Vorfreude auf das Gelächter über Darkys vorzüglichen Witz.

      »Pfefferspray!«, sagte Darky und schob eine Seite seines Gesichts zu einem siegesgewissen Lächeln nach oben.

      Alle kugelten sich vor Lachen.

      »Zum Brüllen, was? Pfefferspray! Warum weint Mike Tyson, wenn er Sex hat? Pfefferspray! Leck mich am Arsch! Pfefferspray!«

      Der war gut. Der würde prima ankommen. Er freute sich schon darauf, ihn zu erzählen.

      Noch eine winzige Korrektur an seinen Haaren mit der flachen Hand an der widerspenstigeren linken Seite und er war bereit, die halbe Meile hinunter in die Stadt zu gehen.

      Darky wohnte in einem Fünf-Zimmer-Haus direkt auf der Kuppe von Amberley Hill gegenüber der Victoria Avenue am Nordrand der Stadt. Gleich hinter dem Ende seines Gartens gab es ein Stück ansteigendes Gelände, das nach den Worten des Bauern, dem es gehörte, der höchste Punkt im ganzen Gebiet von Lipsham war. Das gefiel Darky sehr. Jenes eine Erfolgserlebnis seiner Kindheit im Schwimmbad hatte nie eine Fortsetzung erfahren. Er hatte sogar, teils, weil er nie weitere Erfahrungen in diesem Bereich sammeln konnte, und teils wegen seines Asthmaproblems, eine geheime Furcht davor entwickelt, irgendwo im Wasser zu sein, abgesehen von seiner Morgendusche, und besonders graute es ihm vor Überschwemmungen. Wenn er seine Gedanken auch nur bei der Aussicht auf jenen schrecklichen, vergeblichen Kampf um Atemluft verweilen ließ, bei dem hilflosen Rudern mit Armen und Beinen im aufgewühlten, brodelnden Wasser, überkam ihn schon die Panik und er bekam Atemnot und weiche Knie. Als das Wunder mit dem Geld passierte und sich plötzlich vor ihm ein unfassbar weites Panorama an Möglichkeiten auftat, war einer seiner Gründe für den Entschluss, dieses Haus zu kaufen, der, dass nach den Worten des Maklers, eines cleveren jungen Mannes namens Charles Kent, der bei Sealey & Sons in der High Street arbeitete, keinerlei Gefahr bestand, dass es je überflutet werden würde. Das war also in Ordnung. Wohlgemerkt, sollte es jemals doch überflutet werden, würde Darky zusammen mit Kevo und Baz und einem Hammer oder einem Lötkolben Charles zu Hause besuchen und ihm beibringen, keine beschissenen Lügen über Häuser zu erzählen.

      Darky hätte ein Taxi rufen können, um zum Friseur zu fahren. Natürlich hätte er auch einfach Macey anrufen und sich abholen lassen können. Aber er mochte Taxis. Er benutzte sie oft. Es hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, in der er sich gefragt hatte, ob er wohl jemals in einem Taxi fahren würde. Jetzt standen sie ihm ständig zur Verfügung. Er konnte sich den ganzen Tag im Taxi herumkutschieren lassen, wenn er wollte. Er benutzte fast immer dasselbe Unternehmen, Kingsway Cars. Vor etwa einem Jahr hatte so ein Fettsack von Fahrer, der neu bei der Firma war, mächtig geprustet und gegluckst, als Darky in sein Taxi stieg. Ob er zu einer Kostümparty wolle, hatte der Fahrer ihn gefragt, und als sein Blick von der Jacke hinunter zu den Schuhen wanderte, hatte er noch laut überlegt, ob Darky nicht die Fünfziger und die Sechziger ein bisschen durcheinandergebracht habe. Darky stimmte rau in das Gelächter ein, gab dem Taxifahrer ein saftiges Trinkgeld und erkundigte sich nach seinem Namen, als er ausstieg. Am nächsten Morgen wurde der Fahrer nackt ans Kriegerdenkmal in der Stadtmitte gekettet aufgefunden, halb tot vor Kälte und von den Schmerzen seiner ausgekugelten Schulter. Der Polizei sagte er, er könne sich nicht erinnern, wer das getan habe, und überhaupt, es sei ja nur ein kleiner Scherz von ein paar Kumpels aus der Kneipe gewesen. Bei den Behörden hatte niemand Anlass, Darky mit dem Vorfall in Verbindung zu bringen, aber wer sich dafür interessierte, hätte beobachten können, dass die anderen Taxifahrer ihn von nun an mit ausgesuchter Höflichkeit behandelten.

      Hätte es geregnet, so hätte er bestimmt ein Taxi genommen. Regen war nichts für seine Jacken und seine Haare. Aber normalerweise ging er lieber zu Fuß. Für diese Vorliebe gab es zwei wichtige Gründe.

      Der erste hing mit einem der großen Erfolge in Darkys Leben zusammen, den er unmittelbar infolge eines der schlimmsten Schocks errungen hatte, die ihm je widerfahren waren.

      In einem seiner Heime, kurz bevor er sechzehn wurde, hatte einer der Mitarbeiter, ein älterer Mann namens Geoff, während eines Ferienausflugs nach Wales Videoaufnahmen von einigen der älteren Jungen gemacht. Um diesen Film zu drehen, hatte Geoff seine Kamera aufs Stativ gestellt und das Objektiv auf eine bestimmte Stelle des Treidelpfades am Ufer eines Kanals nahe der Jugendherberge gerichtet, in der die Gruppe untergebracht war. Auf seine plumpe, freundliche Art hatte er es geschafft, die Jungen mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu bringen, nacheinander in größeren Abständen diesen Pfad entlangzugehen, sodass jeder Junge allein im Bild erschien und dann, während er weiterging, noch ein paar Sekunden lang von der Kamera verfolgt wurde.

      Darky hatte sich selbst noch nie im Film gesehen. Eine Woche nach dem Ende der Ferien saß er im Dunkeln hinten in dem großen Aufenthaltsraum zu Hause im Kinderheim und schaute sich mit den anderen zusammen das Video an. Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Erscheinen jedes Jungen auf dem extrabreiten Bildschirm des eigens höher aufgestellten Fernsehers im Aufenthaltsraum von sarkastischem Applaus und einem Chor von Buhrufen, Pfiffen und beleidigenden Bemerkungen seitens des Publikums begrüßt. Das war ja auch der eigentliche Zweck der Übung, soweit es Geoff betraf. Ein paar nette Erinnerungen. Ein bisschen Spaß. Gelächter. Und sie hatten ja auch alle ihren Spaß daran gehabt. Wer an der Reihe war, ausgelacht zu werden, bemühte sich vergeblich, den Lärm mit seinen schlagfertigen Antworten zu übertönen, und tröstete