Nadia Bolz-Weber

Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen


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wunderliche, wunderbare Glaube einer heiligen Sünderin.

      – NewWineskinsDictionary.com

      Authentisch. Auffällig. Außenseiterin, anerkannt. Alkoholikerin, trocken. Autorin, ausgezeichnet. Attraktiv. Aufgeweckt. Amerikanerin. Berufen. Begabt. Bissig, manchmal. Beherzt. Botin! Christin. Charmant, oft. Davongekommen. Damenhaft, nein, gar nicht. Ehrlich, ja, überaus. Echt. Emergent. Empathisch. Entlarvend. Einladend. Eigenwillig. Engagiert. Exzentrisch, ja. Fein. Forsch. Frei. Frech. Fehlbar. Fromm. Gescheitert. Gnade. Gnade. Gnade ist die Größte. Gottvoll. Geistreich. Geradeheraus. Grenzgängerin. Gläubig und glaubhaft. Herz. Was für ein herzlich riesiges Herz! Hoffnung, wie ihr Name bedeutet. Humorvoll. Herausfordernd. Heilige. Mit Hund. Interessant. Interessiert. Jesusliebhaberin. Klerikal, etwas. Kirchenkritisch. Kirchentreu. Kreativ. Klug. Kämpferin. Lutherisch. Ja, Lutheranerin. Launig. Lustig. Mutig. Mutig. Mutter, was aus Rücksicht auf ihre Kinder kaum erwähnt wird. Missionarin. Menschenfreundin. Nadia eben. Originell. Offen. Priesterlich. Mit Piercing. Pastorin. Predigerin. Pfingstlich. Provozierend. Querdenkerin. Respektlos, bei allem Respekt. Risikofreudig. Schön. Sünderin. Sympathisch. Städterin. Tattoo. Ach ja, die Tattoos! Theologin. Trotzig, zum Glück. Unbefangen. Unvollkommen. Unverhohlen. Unterhaltsam. Verrückt, etwas. Verständnisvoll, sehr. Wahrhaftig. Weiblich. Weltoffen. Würdigend, sehr. Zart. Zynisch. Ja, zynisch, aber nicht gemein. Zerrissen. Zerbrechlich. Zugänglich. Zeugin.

      Das alles steckt in dieser Frau und in diesem Buch. Von A bis Z, Seite 1 bis zum Schluss ein Gewinn und ein Genuss. Für die Gemeinde ein Muss. Für alle wunden Seelen ein heilsamer Kuss.

      Christina Brudereck

      „Scheiße“, dachte ich, „ich komme zu spät zum NT-Seminar.“ Auf der I-25 in Denver ging nichts mehr. Der Verkehr floss nicht nur zäh, sondern gar nicht. Aus irgendeinem Grund (höchstwahrscheinlich Misanthropie) gehe ich immer davon aus, dass Staus und Verkehrsbehinderungen nicht auf Baustellen oder Unfälle zurückzuführen sind, sondern auf die menschliche Dummheit, so als hätte irgendjemand plötzlich vergessen, wie man Auto fährt, oder beschlossen, mitten auf der Schnellstraße anzuhalten und am Wegesrand Blümchen zu pflücken.

      Um meine bodenlose Verachtung für den menschlichen Schwachsinn, der dazu führte, dass wir hier alle auf dem Freeway festsaßen, in andere Kanäle zu steuern, unternahm ich einen meiner zahllosen Versuche, mich „geistlicher“ zu verhalten, und bemühte mich, im Augenblick zu leben und irgendetwas Schönes zu finden, um mich abzulenken. Nach der landschaftlichen Schönheit Colorados muss man nicht erst lange suchen – man müsste sie schon absichtlich ignorieren. Aber das vergesse ich oft. Der Himmel strahlte an jenem Tag in jenem klaren Blau, das sich einfach nicht wiedergeben oder auch nur einigermaßen beschreiben lässt. Die meisten menschlichen Versuche, dieses spezielle Blau abzubilden, sind zwar gut gemeint, aber sie haben keine Tiefe. Man muss es einfach erleben. Und an diesem Herbsttag füllte es den ganzen Himmel bis in den letzten Winkel aus, nur hier und da unterbrochen von einer bauschigen kleinen Kitschpostkartenwolke.

      Der Himmel sah so prachtvoll aus, dass ich alle meine Fensterscheiben herunterkurbelte und mich nach vorn beugte, um durch die Windschutzscheibe mehr sehen zu können. Ein LKW-Fahrer neben mir zwinkerte mir zu und beäugte meine tätowierten Arme – bestimmt ahnte er nicht, dass das große Tattoo auf meinem Unterarm Maria Magdalena darstellte und dass ich eine lutherische Theologiestudentin war und bald lutherische Pastorin werden würde. LKW-Fahrer, Motorradfahrer und ehemalige Strafgefangene lächeln mir viel häufiger zu als beispielsweise Investmentbanker. Ich lächelte zurück, wandte meinen Blick dann wieder dem blauen Himmel über mir zu und verlor mich in Gedanken an die unfassbar unendliche Weite des Weltalls. Die Schönheit unseres Himmels ist eigentlich nur eine hübsche Methode der Erde, um uns vor dem Schrecken der Gewaltigkeit und Unerforschlichkeit zu schützen, die jenseits davon liegt. Die Grenzenlosigkeit des Universums ist zutiefst beunruhigend, wenn man darüber nachdenkt. Es ist zu groß, und wir sind zu klein. In diesem Moment konnte ich plötzlich nur noch einen Gedanken fassen: Was fällt mir eigentlich ein? Theologie? Allen Ernstes? Wie groß ist angesichts dieses riesigen, unerforschlichen Universums wohl die Wahrscheinlichkeit, dass diese Geschichte von Jesus wahr ist? Komm schon, Nadia. Es ist ein bescheuertes Märchen.

      Und beim nächsten Atemzug dachte ich: Nur, dass ich es mein ganzes Leben lang immer wieder als wahr erfahren habe.

      Irgendwann hat mir mal jemand gesagt, mein Glaube an Jesus wecke in ihm den Verdacht, dass ich intellektuell gesehen nachts am Daumen lutsche. Aber so gerne ich es manchmal auch täte, ich kann nun einmal nicht so tun, als hätte ich nicht mein Leben lang die befreiende, alles ins Wanken bringende Liebe eines Gottes voller Überraschungen erlebt. Auch wenn mein Verstand bisweilen dagegen protestiert, kann ich doch meine Erfahrungen nicht verleugnen. Diese Sache ist für mich real. Manchmal erfahre ich Gott, wenn jemand mir die Wahrheit sagt, manchmal in Momenten, in denen ich Irrtümer einsehe, manchmal durch die Liebe zu jemandem, den ich gar nicht liebenswert finde, manchmal durch eine Versöhnung, die sich anfühlt, als ob sie von irgendwo außerhalb von mir selbst kommt. Aber fast immer nimmt meine Begegnung mit Gott die Gestalt einer Art Tod und Auferstehung an.

      Das Mysterium des Universums (desselben Universums, das mich immer noch dazu bringt, mich zu fragen, was ich eigentlich auf dem theologischen Seminar zu suchen habe und ob das alles nicht in Wirklichkeit nur ein Märchen ist) wurde von Gott erschaffen. Und Gott hat beschlossen, uns zu zeigen, wer er ist, indem er sich eine Haut überstreifte und als Jesus mitten unter uns unterwegs war. Und die Liebe und Gnade und Barmherzigkeit Jesu kamen uns so anstößig vor, dass wir ihn umbrachten. Am Abend, bevor das passierte, setzte sich Jesus mit einem Haufen totaler Nieten an einen Tisch, hielt ein Stück Brot hoch und sagte: Nehmt und esst, dies ist mein Leib für euch. Und dann ging er ans Kreuz. Aber der Tod konnte Gott nicht festhalten. Gott sagte „ja“ zu all unserem höflichen Abwinken, indem er von den Toten auferstand. Tod und Auferstehung. Das ist die christliche Geschichte, wie sie mir erzählt wurde, angefangen von Maria Magdalena, die sie als Erste erzählte; und sie hat sich durch meine Erfahrungen bestätigt.

      In den folgenden Kapiteln habe ich nichts zu bieten als mein Bekenntnis – das Bekenntnis meiner eigenen realen Zerbrochenheit und das Bekenntnis meines eigenen realen Glaubens. Ich erzähle meine Geschichte nicht ganz chronologisch – die Zeit dreht das ganze Buch hindurch immer mal wieder eine Schleife –, sondern eher thematisch geordnet. Sie handelt von der Entwicklung meines Glaubens, vom Ausdruck meines Glaubens und von der Gemeinschaft meines Glaubens. Und die Geschichte handelt davon, wie ich diese Sache mit Jesus als wahr erlebt habe. Davon, dass es im christlichen Glauben, wenn er auch in der amerikanischen Kultur oft wüst entstellt wird, in Wirklichkeit um Tod und Auferstehung geht. Sie handelt davon, dass Gott immer wieder mit seiner Hand in die Gräber hineingreift, die wir uns selbst ausheben, und uns herauszieht, uns neues Leben gibt, mal auf dramatische, mal auf ganz unspektakuläre Weise. Dieser Glaube hat mir geholfen, trocken zu werden. Er hat mir geholfen (bzw. hilft mir bis heute), meine fundamentalistische Erziehung in der Church of Christ zu vergeben, und er verhilft mir dazu, dass ich nicht immer recht haben muss.

      Die Fernsehprediger mit ihrem breiten Lächeln mögen Ihnen erzählen, bei der Nachfolge Jesu gehe es darum, schön brav zu sein, damit Gott Sie mit einem Haufen Geld und hübschen Preisen segnet, aber in Wirklichkeit ist die Sache viel grausiger und bedeutungsvoller. Es geht um geistliche Physik. Etwas muss sterben, damit etwas Neues leben kann.

      Tod und Auferstehung – das immer wiederkehrende Erlebnis, die Leere zu sehen, darüber zu weinen, dass wir unfähig sind, sie auszufüllen oder auch nur zu verstehen, und dann darauf zu horchen, wie Gott uns beim Namen nennt, und Gottes Geschichte zu erzählen – das ist eine ziemlich knifflige Sache. Aber es ist meine Sache, und es ist mit Abstand das Schönste, wovon ich je erzählen könnte.

       Kapitel 1