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Politik ohne Gott


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weniger das Verhältnis der Bürger zur Religion als das Verhältnis der Religion zur Politik. Letzteres ist auch in Deutschland an vielen Stellen prekär. So steht in der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz, alle Kinder seien »zur Gottesfurcht« zu erziehen. So beharren beide großen Kirchen auf einem eigenen eingeschränkten Streikrecht, denn sie finden, wo alle im Namen des Herrn zusammenarbeiten, könne es harsche Interessenkonflikte nicht geben. Obwohl der Staat die Meinungsfreiheit garantiert, gibt es Lehrzuchtverfahren gegen Theologen mit abweichender Meinung. Und in kirchlichen Betrieben herrscht immer noch eine strukturelle Heuchelei, weil die Angestellten bekenntnishafte Arbeitsverträge unterschreiben, die ehrlicherweise kein freier Bürger einhalten kann.

      Um das zu kritisieren, muss man kein Religionsfeind sein. Warum tobt der Streit trotzdem so heftig? Warum fühlen Glaubende sich angegriffen? Weil die Kritik manchmal höhnisch und fundamental-atheistisch ist? Das könnte sein. Vor allem aber, weil wir in einer historischen Übergangszeit leben. »Die Gewässer der Religion fließen ab, und zurück bleiben Sümpfe und Weiher«, prophezeite Friedrich Nietzsche. Das sollte bedeuten, die Religionen würden schwächer und zerfielen in ihre Restbestände. Tatsächlich wächst in Deutschland die Zahl der Konfessionslosen, und immer mehr Christen machen sich den amtskirchlichen Standpunkt nicht mehr zu eigen. Trotzdem beharren die Kirchen auf ihrem Anspruch, für die Mehrheit der Gesellschaft zu sprechen. Sie tun, als würden ihre religiösen Prämissen noch immer von fast allen geteilt.

      Gleichzeitig erstarken weltweit fundamentalistische Strömungen. Sie wollen den Gottesstaat und formulieren ihre Prämissen bewusst im Widerspruch zur Demokratie. Das heißt: Die Religion wird sowohl schwächer als auch stärker. Und aus dieser Schwäche wie aus dieser Stärke heraus verursacht sie Streit.

      Ist unser aller Freiheit nun durch politisch-religiöse Ansprüche gefährdet? Manche Forderungen klingen in deutschen Ohren lächerlich. Das liegt auch daran, dass hierzulande viele Gläubige nicht mitmachen, wenn im Namen der Religionsfreiheit die Freiheit untergraben werden soll. Katholische Apotheker verkaufen die Pille, und evangelische Pfarrer segnen schwule Paare. Caritas-Mitarbeiter streiken, und Muslime machen Witze über Mohammed. Die meisten Gläubigen fühlen sich als mündige Bürger. Sie handeln den Weisungen ihrer Kirchenfunktionäre zuwider, und vielleicht hofft sogar der Papst in Rom manchmal heimlich, dass seine Dekrete nicht befolgt werden.

      Aber mal angenommen, es wäre anders. Mal angenommen, mehr Christen fühlten sich verpflichtet, ihrer Kirche zu gehorchen. Dann müssten katholische Politiker die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen verhindern, denn auch das fordert der Vatikan. Dass viele Katholiken solche amtskirchlichen Ansprüche nicht geltend machen, bringt die Ansprüche ja nicht zum Verschwinden. Liberale Kirchenrechtler fürchten, dass christliche Politiker und Bischöfe aus bloßem Opportunismus gegenüber dem Zeitgeist ihren Glauben im Zaum halten. Die Zeiten aber können sich ändern.

      Deshalb müssen Kirchen und Religionsgemeinschaften sich die öffentliche Infragestellung ihrer Überzeugungen (und ihrer Steuerprivilegien) gefallen lassen. Sie müssen akzeptieren, dass ihre Gebote nicht für alle Bürger gelten. Dass Gott nicht bestimmt, was in der Welt geschieht.

      In Norddeutschland wollte die evangelische Kirche neulich noch einmal bestimmen. Sie forderte ein Tanzverbot an »stillen Tagen« wie dem Buß- und Bettag. Aber wieso sollen Nichtchristen an christlichen Feiertagen nicht tanzen? Wenn die Kirche vergisst, was Demokratie heißt, macht sie sich lächerlich. Wenn sie im Namen Gottes weltfremde Verbote fordert, wird sie zu einem peinlichen Verein, in dem wirklich keiner mehr Mitglied sein will.

      Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Papst Benedikt gelegentlich den Rückzug der Religion aus der Welt predigte. Lieber ein bisschen bescheiden bleiben als zum Gespött werden. Lieber keine Politik machen mit Gott. Denn jede Wahrheit muss anfechtbar sein in der Demokratie. Das erste Gebot, dass es nur einen Gott gibt, muss übertreten werden dürfen, wenn Bürger verschiedenen Glaubens zivilisiert zusammenleben wollen – und Bürger ohne Glauben auch.

      Kann Kirche trotzdem Politik machen, nicht nur jenseits, sondern innerhalb der Demokratie? In Rom zeigt jetzt ein neuer Papst, dass das möglich ist. Allerdings pflegt er ein neues Verhältnis zur Welt. Hatte sein deutscher Amtsvorgänger noch die Entweltlichung gepredigt, und zwar so, dass die meisten Katholiken dachten, sie sollten sich gefälligst in die Kirche zurückziehen, kehrt nun der Papst persönlich in die Welt zurück. Wo Benedikt es beim letzten Weltjugendtag 2011 in Madrid noch peinlich vermied, sich zur Wirtschaftsmisere zu äußern, da nutzte Franziskus den Weltjugendtag 2013 in Rio für eine Botschaft an alle: Wir haben einen Glauben, der von dieser Welt ist. Wir wollen die Welt verändern. Wir machen Politik.

      Seit seinem Amtsantritt hat Franziskus keine Gelegenheit ausgelassen, sich mit den Notleidenden zu solidarisieren und zugleich die klerikale Macht zu kritisieren. Sein Motto: Wer die Welt ändern will, muss sich selbst ändern. Also versucht er zuallererst seinen eigenen Laden zu bekehren, frei nach dem Vorbild des Franz von Assisi: »Selig, wer sich vor Untergebenen so demütig benimmt, wie wenn er vor seinem Obern und Herrn stünde.«

      Aber geht das: Demut an der Spitze der Kirche? Revolution von ganz oben? Antiautoritäre Autokratie? Der Papst ist noch immer Papst. Er herrscht über eine streng hierarchisch gegliederte Institution. Nicht der Mann selbst, aber sein Amt ist unfehlbar. Er verkündet die eine Wahrheit, und was er in der Glaubenslehre sagt, ist irrtumsimmun. Er ist Oberhaupt der weltgrößten Religionsgemeinschaft. Und trotzdem ließ der Argentinier Franziskus sich auf seinem Heimatkontinent Südamerika nicht einfach feiern, sondern lenkte die Aufmerksamkeit der Medien gezielt auf die Schwachen. So funktioniert das Prinzip Franziskus: Hingehen. Zuhören. Einmischen.

      Man könnte sagen: Politisch im positiven Sinne waren Päpste auch früher. Es gab die Friedensinitiativen von Benedikt XV. während des Ersten Weltkriegs, den Einspruch von Johannes XXIII. gegen den Kalten Krieg, die Warnung von Paul VI. vor einem Atomkonflikt und den Einsatz von Johannes Paul II. für die Reformbewegung in Osteuropa. Doch die Politik des Wandels ist bei Franziskus radikaler. Sie erstreckt sich auch auf Glaubensfragen. In den Fragen der Sexualmoral hat Franziskus bereits gezeigt, dass es auch demokratischer geht als bisher. Er beschämte diejenigen, die sich nach einer grundstürzenden Lex Franziskus zur Sexualmoral sehnten, indem er die heiklen Fragen einfach an sein Kirchenvolk zurück gab.

      Achtunddreißig knifflige Einzelfragen, unterteilt in neun Kapitel wie Ehe, Familie, Homosexualität, Verhütung verschickte die Bischofskongregation in Rom an die Katholiken der Welt. Tatsächlich hatte der Papst die Fragen zusammen mit der Bischofskongregation formuliert, er nahm selber an mehreren Treffen teil, um zu klären, was die Katholiken heute tun und denken. Die erste Frage auf dem Fragebogen lautete: Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Lehren der Bibel und des Lehramtes der Kirche? Mit anderen Worten: Wisst ihr eigentlich, was ihr glauben sollt? Der Vatikan setzt nicht länger voraus, dass jeder Katholik auch weiß, was Katholischsein heißt. Das ist beinahe schon antiautoritär, antidoktrinär, revolutionär. Ob es eine Revolution auch des monarchisch strukturierten Papsttums werden kann, wird sich am Verhältnis des neuen Papstes zur eigenen Macht entscheiden.

      Bergoglio hatte die Wahl zum Papst mit einer Reformrede gewonnen, die den Zustand der Kirche betraf, aber dann machte er klar, dass es ihm um mehr als innerkirchliche Renovierung geht: »Die Kraft der Kirche liegt nicht in ihr selbst und ihrer organisatorischen Fähigkeit. Ein authentischer Glaube schließt den Wunsch ein, die Welt zu verändern. Haben wir große Visionen? Haben wir Träume? Sind wir mutig?«

      Das macht sein Pontifikat zum Politikum: Der neue Papst spricht als Christ auch für die Nichtchristen. Er versteht sich als Pastor der Welt, wobei er keine ideologische Herrschaft, sondern einen Dienst an den Menschen anstrebt. Das legt er dem katholischen Klerus immer wieder ans Herz: Seid Diener! Und den Politikern sagt er: Baut Brücken!

      Der neue Papst will also die Kirche ändern, um die Welt zu ändern. Dass er nicht bei der Welt, sondern bei der Kirche anfängt, macht ihn sympathisch. Anders als seine Vorgänger sorgt er sich weniger um den schlechten Einfluss der Welt auf seine Kirche als um den mangelnden Einfluss der Kirche auf die Welt.

      Seit dem Amtsantritt von Franziskus sind Wörter wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe immer öfter zu hören in Rom. Das kann einem nach den innerkirchlichen Kämpfen der letzten Jahre,