Frigga Haug

Die Vier-in-einem-Perspektive


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Frage des frühen Milchholens. – Aus meinen arbeitsbiographischen Notizen wie aus meinen theoretischen Studien bin ich zu dem Resultat gekommen, dass die Lust zur Arbeit ebenso wie ihre Meidung, dass die Subbotniks und die Drückebergerei aus dem gleichen Stoff gemacht sind. In den Strukturen des gesellschaftlichen Lebens entwickelt sich eine blinde Dialektik. Unversehens und unkontrolliert schlägt die Begeisterung für die Arbeit um in ihr Gegenteil. Die praktische Lösung, das Leben außerhalb der Arbeit zu suchen, stößt allenthalben an Grenzen und ebenso an Überschreitungen. Die theoretische Lösung, Arbeit und Lebensweise getrennt zu denken, verrät die Perspektive der freien Selbstbetätigung, indem sie sie außerhalb der entfremdeten Arbeit einzulösen verspricht. Der Begriff der (verallgemeinerten) Handlungsfähigkeit in der holzkampschen Wendung könnte eine Bewegungsform für die blinde Dialektik von Arbeit und Faulheit sein, in der eine bewusste Entwicklung gedacht werden kann; das Auseinanderfallen von Arbeit und Lebensweise kann hier als historisches Produkt mit der Perspektive seiner Überwindung gefasst werden. Voraussetzung dafür wäre allerdings, die Dimensionen aufzunehmen, die Marx mit »Arbeit als erstem Lebensbedürfnis« vortrug. Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit ist sicher Vorbedingung dafür, dass »freie Tätigkeit« möglich wird, aber wie und unter welchen Verhältnissen können die Menschen ihr materielles Leben so gewinnen, dass sie es nicht zugleich verlieren, sondern dass es Genuss, Lust, Liebe, Entwicklung, Gemeinwesen ist? Arbeit und Genuss sind durch Arbeitsteilung auseinandergetreten, heißt es in der Deutschen Ideologie (vgl. MEW 3, 32). Sie wieder zusammenzubringen bleibt Befreiungsperspektive.

      Wie viel dazu nötig ist, beschreibt in literarischer Verdichtung Volker Braun, der zu der Dimension des Lustvollen in der Arbeit – soweit sie möglich wird durch die Entwicklung der Produktivkräfte – die Schwierigkeit des sinnhaften Tuns formuliert:

      »Wenn die Arbeit nicht mehr das Leben kostet, verliert sie den Ernst und die Leute machens aus Vergnügen. Dann reißt sich jeder darum, aber die Möglichkeiten sind begrenzt, das gibt neue Probleme. Man muss die Leute abhalten von den Maschinen, wo sie flippern wollen und optimieren. Da braucht es ein ganz anderes Bewusstsein. Im Kampf wie jetzt langt der Zwang und der materielle Anreiz, aber in einer ganz friedlichen Zeit müsste auch ein Sinn darin sein.« (Braun 1985, 106)

       Die Frauenfrage

      Was ist mit den feministischen Zweifeln, Marx habe ein Arbeitskonzept entwickelt, das die Frauen ausschloss und die Erkenntnis von Frauenunterdrückung verhindere? Feministische Kritik beruft sich insbesondere auf die marxschen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Begriff des »Doppelcharakters der Arbeit«. Solcher Blick auf die Arbeit als einer Kraft, die zugleich Gebrauchswerte bilden kann und Tauschwerte schaffen, ist fundamental für Marx’ Analyse des Kapitalismus und seiner Dynamik und damit ebenso grundlegend für seine Revolutionstheorie. Eine Gesellschaft, deren treibendes Motiv darin besteht, lebendige Arbeit in tote zu verwandeln (um in marxscher Metaphorik zu sprechen) und so die tote Arbeit in ihren Formen von Kapital, Maschinen, Fabriken Macht über die lebendige werden zu lassen, eine solche Gesellschaft manövriert sich in eine Katastrophe, wenn kein radikaler Eingriff erfolgt. Dieser muss die Grundstrukturen des gesellschaftlichen Handelns umstürzen: den Profit als treibendes Motiv und das heißt die Herrschaft des sich verwertenden Wertes über die lebendige Arbeit auf der Grundlage von Arbeitsteilung und Eigentum. In der Analyse des Doppelcharakters der Arbeit geht es um die Lohnarbeit als dominante Form der Verkehrung der Lebenstätigkeit. Im ersten Schritt der Veränderung geht es um die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Diese Bestimmungen haben den Blick auf den männlichen Arbeiter in seiner historischen Gestalt als Ernährer der Familie und auf die Arbeiterbewegung als politisches Subjekt verengt. Der Protest der Frauen scheint zunächst gerechtfertigt. Denn selbst wenn wir unterstellen, dass es die kapitalistische Gesellschaft ist und nicht die marxsche Analyse, welche die Positionen in dieser Weise anordnet, bleibt doch in solcher Zurechtlegung eine eigentümliche Leere und Sprachlosigkeit, wenn über Frauen gesprochen werden soll. Statt Marx eilig abzuschwören, sollten wir einen Schritt zurücktreten und prüfen, ob aus seiner perspektivischen Formulierung von der »genussvollen Selbstbetätigung bei der Erzeugung des materiellen Lebens« für die Frauenfrage nicht doch vieles zu gewinnen ist. Tatsächlich stellt Marx selbst Frauenunterdrückung genau in den Kontext von entfremdeter Arbeit:

      »Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon der Definition der modernen Ökonomie entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeit ist.« (MEW 3, 32)

      Selbst die angeblich ganz und gar vernachlässigte Arbeit im Hause bei der Reproduktion der Ware Arbeitskraft fasst Marx an einer Stelle – wenn auch nur in einer Fußnote – begrifflich als »die für die Konsumtion nötige Familienarbeit« (MEW 23, 417, Fn. 20).

      Die erste entwickelte Verkehrung geschieht durch die Produktion für den Markt, die die Arbeit vergesellschaftet und zugleich Quantität und Tauschwert der Produkte in den Vordergrund rückt. In diesem Zusammenhang sind die Arbeitenden beider Geschlechter zunächst gleich. Sobald die unmittelbare Subsistenzproduktion überschritten ist, arbeiten beide Geschlechter für sich und Überschüssiges für den Markt. Die besondere Stellung der Frauen rührt hier schon daher, dass ein großer Teil ihrer Produktion – Schwangerschaft, Geburt, Aufziehen der Kinder – nicht vermarktet werden kann. Hier deutet sich heute – in der Gestalt von Leihmüttern und Reproduktionstechnologie – ein Nachholen an: dies mit einer Gewalttätigkeit, wie wir sie aus der »Zivilisierung« von »Naturvölkern« kennen. Das Erstere hat mit irgendwelcher selbstbestimmten Regelung von Gesellschaft so wenig zu tun wie das Letztere.

      Ist nicht der Rahmen, den Marx für die menschliche Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen skizzierte, so, dass die besondere Unterdrückung der Frauen mit ihren naturwüchsigen Momenten ebenso wie mit den Ergebnissen sozialer Herrschaft darin heute eine ungeheure Dynamik erhält? In der Arbeitsteilung von Lebens- und Lebensmittelproduktion und in der Letzteren noch einmal zwischen Arbeit und freier Tätigkeit, Genuss, ist die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf eine teuflische Weise festgeschrieben. Der Bereich des Lebens wird vom Standpunkt der gesellschaftlichen Lebensmittelproduktion randständig und mit ihm diejenigen, die ihn in erster Linie bevölkern. Zugleich wird die Tätigkeit im gesellschaftlich zentralen Bereich entfremdet, sodass Hoffnung auf Befreiung sich auf jenen lebendig randständigen Bereich richtet. Auf die Frauen kommt die unzumutbare Belastung zu, im Stadium der Unterdrückung die Hoffnung auf ein besseres Leben darzustellen, auf Genuss, Sinnenfreude.

      Bei Marx finden wir die Anspielung, dass der Arbeiter in der Arbeit nicht zu Hause sei und wo er zu Hause ist, er nicht arbeite (vgl. MEW EB 1, 514). Mit einem gewissen Recht wurde auch dieser Satz vom feministischen Standpunkt für kritikwürdig befunden: Spricht nicht auch er vom Standpunkt des männlichen Arbeiters und übersieht die Lage der Hälfte der Menschheit, die sehr wohl zu Hause arbeitet und mithin zu Hause ist, wo sie arbeitet (vgl. Ivekovic 1984)? Bei dieser Kritik wird allerdings die in der marxschen Version angedeutete Blockierung übersehen. Es ist die doppelte Entzweiung, die Trennung der Sinnenfreude und des Lebenssinns von der Arbeit und die Teilung der Arbeit in solche, die einen Lohn bringt, und solche, die in dieser Hinsicht nichts gilt, die in der Metapher vom »nicht in der Arbeit zu Hause sein« ausgedrückt ist. In dieser Verkehrung besetzen die Frauen das Zuhause, den Randbereich, der gleichwohl Zuflucht ist, ein verkehrter Ort der Hoffnung. Die unterdrückende Überhöhung der Frauen wird überlebensnotwendig für die männlichen Lohnarbeiter. In der familiären Zusammenarbeit beider Geschlechter wird sie dauerhaft befestigt.

      Wäre es nicht eine revolutionäre Tat, hier einiges durcheinanderzubringen, um eine neue Ordnung herbeizuführen? Um die Bereiche des Lebens aus ihrer Randständigkeit zu holen, müssten sie allgemein werden und damit aufgewertet. Und im gleichen Zug müsste der Bereich, der als gesellschaftliche Arbeit gilt, von den Frauen besetzt und zugleich in seiner Dominanz entkräftet werden. Wenn beide Geschlechter sich in alle Bereiche teilen, ist eine Dimension, die die bisherige, zerstörende Struktur bestätigte, ist ein Herrschaftsverhältnis aufgebrochen. Dies scheint mir eine Voraussetzung, um die Liebe zurück in die Arbeit zu bringen. Und die Bewegung der Frauen wird damit zentral für die Vermenschlichung der Gesellschaft.