solche ist erstes Lebensbedürfnis, sondern ›Arbeit‹ nur so weit, wie sie dem Einzelnen die Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess erlaubt, ihn also ›handlungsfähig‹ macht. Mithin ist nicht ›Arbeit‹, sondern ›Handlungsfähigkeit‹ das erste menschliche Lebensbedürfnis – dies deswegen, weil Handlungsfähigkeit die allgemeinste Rahmenqualität eines menschlichen und menschenwürdigen Daseins ist und Handlungsunfähigkeit die allgemeinste Qualität menschlichen Elends der Ausgeliefertheit an die Verhältnisse, Angst, Unfreiheit und Erniedrigung.« (243)
Endlich vorbei mit der Drohung von Arbeitserziehungslagern, der fröhlichen Unterwerfung im Kindergarten, der Lähmung durch die Schule, der puritanischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus, dem arbeitenden Gott?
Im Begriff der Handlungsfähigkeit sind die gesellschaftlichen Verhältnisse auf jeden Fall mitgedacht und einklagbar. Der Begriff hat zudem den Vorteil, Bewegung einzubeziehen. Es gibt Stufen von Handlungsfähigkeit, gab es Stufen von Arbeit? Arbeit konnte zum bloßen Produktivismus geraten; der gesellschaftliche Bezug konnte verloren gehen. Im Begriff der Handlungsfähigkeit dagegen denken wir den Kampf um die Balance in Gesellschaft, die Bewegung zu immer größeren Fähigkeiten des Handelns, den Erwerb dieser Fähigkeiten und die Verfügung über die Bedingungen, die beides umfassen. Ja, dies ist das erste menschliche Lebensbedürfnis, ohne Zweifel.
Die Befriedigung über diese Wendung wird kleiner durch zu viel Beifall.
Da sind zunächst die vielfältigen Stimmen aus der Frauenbewegung. Der marxsche Arbeitsbegriff taugt nicht für die Frauenbefreiung; schlimmer, er ist eigens erfunden, um die Frauenarbeiten verschwinden zu lassen. Arbeit bei Marx, das ist männliches Tun, Eingriff in die Natur bis zu ihrer Zerstörung, Produktion um der Produktion willen, Entwicklung der Technik bis zur Atombombe, Herrschaft des Geistes, der Rationalität über das Leben. Die Befreiung der Arbeit aus kapitalistischen Zwangsverhältnissen wurde als Befreiung des Arbeiters gedacht, nicht als die der Hausfrau. Überwinden wir auch diese Probleme mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit? Zweifellos eröffnet er ein Feld, in dem Frauenunterdrückung und -befreiung artikulierbar werden. Er ist praktikabel, nützt hier und heute, ja selbst seine Perspektive ist aus den unendlichen Weiten frühmarxscher Utopie ins Machbare gerückt. Hat er jetzt wirklich das einstmals Gewollte eingeholt?
Als ich vor Jahren »arbeitslos« war, gab es in einer Arbeitsgruppe Kritischer Psychologen einen heftigen Streit um meine Behauptung, dass mein politisches Engagement, meine vielfältigen Aufgaben zu Hause und in Verlag und Redaktion der Zeitschrift Das Argument aus mir eine Person machten, die durch Arbeit mit der Gesellschaft verbunden war. Selbstredend dachte keiner daran, als Arbeit nur entlohnte Arbeit anzuerkennen; jedoch war klar, dass die gesellschaftliche Anerkennung und Einbindung ein wesentlicher Faktor der Menschwerdung war und vor allem, dass jede Änderung der Verhältnisse von innen aus den Erwerbsarbeitsprozessen kommen müsse, nicht von außen, von den Marginalisierten – Arbeitslosen, Hausfrauen, Subkulturen aller Art. Die Polemik ging so weit, dass die Möglichkeit von Persönlichkeitsentwicklung für Arbeitslose bestritten werden konnte. Damals – in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre – war das Phänomen der Arbeitslosigkeit noch nicht so allgemein. Heute, angesichts der Perspektive einer Abnahme »produktiver Arbeit« (Arbeit im produktiven Sektor) auf zehn Prozent bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und einer strukturellen Arbeitslosigkeit, die jedes Jahr zunimmt, sind die Sozialwissenschaftler herausgefordert, den Zusammenhang von Arbeit und Leben zunächst einmal wenigstens neu zu denken.
Die Bewegung macht vor der Kritischen Psychologie nicht halt. In ihrem Umfeld hatten sich über die Jahre jene kritischen Geister gesammelt, die aus dem Phänomen der Arbeitslosigkeit eine glückliche Synthese von Psychologie und Gesellschaftskritik machen wollten. Entsprechend hieß schon der zweite Kongress der Kritischen Psychologen »Arbeit und Arbeitslosigkeit in kritisch-psychologischer Sicht« (1979). Die Positionen reichen bis heute von einer Behauptung psychischer Verelendung bei Arbeitslosigkeit bis hin zur umgekehrten Behauptung einer ungeahnten Möglichkeit für schöpferische Entfaltung durch Befreiung von den Zwängen fremdbestimmter Arbeit.
In seinem vor allem methodisch verdienstvollen Beitrag zur Arbeitslosigkeit (1986) kann Klaus Holzkamp vom Standpunkt der Handlungsfähigkeit der Menschen ihre Erfahrungen mit der Kategorie der »subjektiven Handlungsgründe« »psychologisch« erarbeiten. Arbeitslosigkeit rückt in den Rang einer Rahmenbedingung unter anderen, deren Verarbeitungsform überhaupt nicht notwendig ein Problem für Psychologen wird, sondern nur dann, wenn die Betroffenen nicht wissen, wie sie ihre Reaktionen auf das unmittelbar Erfahrene selbst handhaben können. Gegenstand der Psychologie sind hier nicht die Arbeitslosigkeit oder die Arbeit, sondern die Erfahrung der Individuen mit Arbeitslosigkeit. Arbeit ist dabei nicht nur die Form der gesellschaftlichen Tätigkeit, welche gesellschaftliche Integration gewährt, sie ist zudem ein Feld der Bedeutungen und von daher auch Gegenstand der ideologischen Kämpfe und der Ideologieforschung.
Diese Verschiebung des Gegenstandes der Psychologie von der Vorstellung, Arbeit sei Wesensmerkmal des Menschen, primäres Bedürfnis, hin zu dem Vorschlag, die Erfahrungen der Individuen und damit das Verhältnis von »unmittelbarem« zu »unmittelbarkeitsüberschreitendem«
Weltbezug als Rahmen für individuelle Handlungsfähigkeit zu behaupten, löst das Problem des normativen Umgangs mit Menschen, verneint die »Erziehung zur Liebe zur Arbeit«. Veränderungen werden im Rahmen des Möglichen machbar. Wo aber blieb dabei die Hoffnung, die an der Wiege jener erstarrten Konzepte von der Entwicklung durch Arbeit stand? Welche Dimension büßten wir ein, als wir die Identität von individueller Entfaltung und Arbeit aufgaben zugunsten der ökonomisch-politischen Rahmensetzung von Arbeitsplatzsicherheit oder Arbeitslosigkeit und der ideologischen Besetzung dieses Feldes von Arbeit, welches die Erfahrungen der Einzelnen mitbestimmt? Gehört am Ende unsere anfängliche Sehnsucht nach Sinnesentfaltung, Lust und Schaffensfreude, Neugier, Mühe und Wetteifer ebenfalls in den Bereich des Ideologischen?
Marx und die Arbeit
Nicht nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Unternehmerverbände haben Arbeit zum Feld ideologischer Bedeutungskämpfe erkoren. Der »Wertwandel« um Arbeit hat auch die Sozialwissenschaften, allen voran die Soziologie erschüttert. Die Bedeutung, die Arbeit für den Einzelnen hat, soll gesellschaftlich ermäßigt werden. Das erlaubt mehr psychische Stabilität bei Arbeitslosigkeit, weniger Marginalisierung jener, die keine Arbeit haben, wenn diese ohnehin nicht mehr so zentral ist wie etwa eine Familie. Das Umfrageinstitut INFAS versorgt die Öffentlichkeit regelmäßig mit den neuesten Nachrichten über die Abnahme des Stellenwerts, den Arbeit für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder – insbesondere die jüngeren – hat. Die Gesellschaft wandelt sich auf kluge Weise: In dem Maße, wie industriell weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, da die Produktivitätssteigerung nicht durch Wachstum zugunsten gleichbleibenden Arbeitseinsatzes in den gleichen Industriezweigen ausgeglichen wird, in dem Maße verlieren auch die Arbeitenden den Wunsch nach Arbeit. Sie streifen ihre protestantische Arbeitshaut ab und entwickeln zugleich Neigungen, die nicht notwendig das Arbeitslosengeld überschreiten: z. B. ein Bedürfnis nach Kommunikation, nach Freundschaft und Nähe, Nachbarschaftlichkeit und ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Altenpflege, der Behindertenfürsorge. In »nicht-entfremdeter« Gestalt – in Freizeit und Hobby oder in alternativen Projekten – entfalten sie genau die Hoffnungen, die am Anfang meiner Arbeitsdiskussion standen: »Selbsttätigkeit«, »freie Tätigkeit«, »Sinnengenuss«, »Aufhebung der Verkehrung von Mittel und Zweck«. Folgen wir zum Beispiel Dahrendorfs »Ende der Arbeitsgesellschaft«, so sind die Menschen heute in den Genuss der Aufhebung der entfremdeten Arbeit (also in den Bereich des Kommunismus) gekommen, ohne irgendeine gesellschaftliche Revolution gemacht zu haben.
Auch die »Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung und die Verwandlung des bisherigen bedingten Verkehrs in den Verkehr der Individuen als solcher« (MEW 3, 68) hatte sich Marx nur durch eine Revolution herbeiführbar gedacht; genau diese Dimensionen aber sind es auch, die in der Soziologie – etwa von Habermas – an die Stelle des Arbeitsbegriffs treten sollen: Selbsttätigkeit und kommunikatives Handeln. Habermas spricht von der »Erschöpfung utopischer Energien« und meint die Projekte, die die Emanzipation der Arbeit von Fremdbestimmung erstreiten wollten: vornehmlich Marx und die Arbeiterbewegung. »Das politische Anregungspotenzial der arbeitsgesellschaftlichen