schon irgendwie von Mikroelektronik betroffen. Daher ist es für Überlegungen zur Aufgabe von Arbeitspsychologie notwendig, die dadurch hervorgerufenen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen grundlegend einzubeziehen. Sie betreffen das Verhältnis der Menschen zur Maschine, zur Natur, zur Wissenschaft und damit zu sich selbst und zu anderen. Ich stelle als These auf, dass die mikroelektronische Produktionsweise die Arbeitspsychologie erstmals tatsächlich als psychologische Wissenschaft fordert.
Ich nähere mich dem Thema von der Seite, vom Studium der Arbeitswissenschaften im engeren Sinn. Diese haben durch die Umbrüche in der Produktion und im Dienstleistungssektor einen unerhörten Aufschwung erlebt. Auf dem Weltkongress für Bildschirmarbeit (1986 in Stockholm) konnte man vom Ausmaß der auf diesen Gebieten geleisteten Arbeit eine Ahnung erhalten. 300 Wissenschaftler aus 30 Ländern stellten hier die Ergebnisse umfangreicher und mit großem Forschungseinsatz betriebener Studien in Zahlen- und Datenreihen vor. Die Aufarbeitung solcher Forschungsergebnisse ist von unschätzbarem Wert für kritisches Lernen.
Die Studien zeigen nicht nur schon auf den ersten Blick (vgl. Knave u. Wiedebäck 1987), dass sie die Menschen als Reiz-Reaktions-Mechanismus auffassen; immerhin bringt selbst eine solche Betrachtungsweise brauchbare Informationen über die Schäden einseitiger Nutzung von Menschen als Arbeitskraft. Man kann darüber hinaus die notwendigen Dimensionen kritischer Arbeitspsychologie herausarbeiten, wenn man prüft, was in den ergonomischen Forschungen – etwa über die schädlichen Folgen der Bildschirmarbeit – fehlt. In der Logik der Wirkungen, die im Reiz-Reaktions-Modell vorausgesetzt ist, sind folgende – für eine Forschung mit und über arbeitende Menschen – unerlässliche Dimensionen ausgespart: der Mensch selbst als tätiges Wesen und seine Erfahrungen; seine Stellung im Arbeitsprozess; sein Verhältnis zum Arbeitsmittel (Computer) – bedient er ihn oder sich seiner; der Inhalt der Arbeit; die Arbeitsorganisation; die Stellung in der Gesamtaufgabe und natürlich der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Aufgabe steht. Aus den Auslassungen ist in geradezu einfacher Ausfüllung erschließbar, wie Arbeitsforschung vorgehen müsste. Darüber hinaus offenbart das Studium solcher internationaler Forschung ein weiteres interessantes Phänomen: Im Fall der Bildschirmarbeit sind die gemeldeten Schäden beim Einsatz gleicher Arbeitsmittel national und geschlechtsspezifisch verschieden. Sie betreffen überwiegend Frauen.
In Australien geht eine plötzliche Lähmung der Arme um wie eine mittelalterliche Seuche. Diese die Frauen befallende Krankheit wurde zunächst Tendosinovitis genannt, später – allgemeiner – RSI – repetitive strain injury. Die Symptome sind eine oft Monate bis Jahre dauernde Lähmung der Arme; sie sind auf Australien beschränkt; ganze Heerscharen von Wissenschaftlern sind unterwegs, um Erklärungen zu finden. Die betroffenen Frauen haben die »Krankheit« in ihre Zeitrechnung aufgenommen: »Das war, bevor ich RSI hatte …«. Anders in Schweden: Hier werden Fehlgeburten und Missbildungen diskutiert; aus anderen Ländern wird von Hautallergien berichtet. In Finnland scheinen die Augen am meisten betroffen. Auch Schultern und Nacken zeigen sich als Austragungsorte von Unverträglichkeiten. Es wäre sicher von Bedeutung, die methodischen Voraussetzungen kritisch zu überprüfen, die solchen Ergebnissen zugrunde liegen. – So kann man z. B. in einer weiteren Studie zu den Folgen von Bildschirmarbeit aus Schweden lesen, dass die Häufigkeit der Fehlgeburten, deren Veröffentlichung die schwedische Diskussion alarmiert hat, weniger der Bildschirmarbeit als der Berufstätigkeit von Frauen überhaupt geschuldet sei. – Ich möchte an dieser Stelle eine andere Dimension hervorheben und vorschlagen, diese unterschiedlichen Ergebnisse, die nationalkulturellen Verschiedenheiten in der Austragung eines gleichartigen Wechsels in den Arbeitsbedingungen selbst als praktische und aufklärende Kritik an der herkömmlichen Arbeitswissenschaft zu fassen. Die Ergebnisse zwingen dazu, über den ergonomischen Ansatz hinauszugehen und Bildschirmarbeit – und so alle Arbeitstätigkeit – als gesellschaftliche Frage zu erforschen und dabei die Dimensionen der Kultur und des Geschlechts in die Forschung aufzunehmen.
Unsere Forschungsfrage im solcherart vorgegebenen Feld (Bildschirmarbeit) lautet zunächst: Welche Veränderung bringt denn der Computer (als dazugehöriges Arbeitsmittel) in den Arbeitsprozess und warum melden insbesondere Frauen Arbeitsschäden?
Dazu vorweg: In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Anteil der Frauen in der Computerarbeit von 1970 bis 1982 um 64 %; seit 1982 sinkt er langsam, während der der Männer im gleichen Zeitraum zunimmt. – Die Dimension der kulturellen Unterschiede oder gar die der unterschiedenen Produktionsverhältnisse vergleichend zu untersuchen ist ein umfangreiches empirisches Projekt, welches den Rahmen der hier vorgetragenen Überlegungen sprengt. In meinen empirischen Berichten beschränke ich mich daher auf Fragen der Arbeitskultur in westdeutschen Betrieben/Büros.
Krise der Arbeit
Es scheint mir angemessen, Veränderungen in den Handlungsbedingungen, die plötzlich hereinbrechen und deren Handhabung noch weitgehend unbegriffen ist, als Krise zu kennzeichnen. Die innere Arbeitskrise (im Gegensatz zur »äußeren« des Ausmaßes und der Verteilung von Arbeit und Arbeitsplätzen) bezieht sich im Wesentlichen auf vier Dimensionen: auf Verschiebungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit; auf Überschreitungen der Trennung von Arbeit und Freizeit; auf das Verhältnis von Männer- zu Frauenarbeit und auf das Lernen.
Geistige und körperliche Arbeit
Sobald Arbeit zu informationsverarbeitender Tätigkeit wird, ist die alte Trennung von Händen und Köpfen, von praktischer und theoretischer Arbeit in Produktion und Verwaltung unhaltbar. Damit stehen Hierarchien und Kooperationsverhältnisse in Frage ebenso wie Beziehungen zwischen einzelnen Arbeitergruppen. Inhaltlich gilt, zumindest in unseren Verhältnissen, der hierarchischen Anordnung eine Art Kompetenzentzug, ohne die Autorität der Vorgesetzten selbst anzutasten. In dieser Weise bildet sich ein neuer Widerspruch heraus: Die Untergebenen werden den Vorgesetzten überlegen und bleiben ihnen zugleich unterstellt. Aber Computerarbeit ist noch nicht ausreichend bestimmt, wenn wir wissen, dass sie Kopfarbeit, informationsverarbeitende Tätigkeit ist. Denn die Arbeitselemente treten den Einzelnen nicht nur als Informationen entgegen, sondern sie tun dies in Form einer Theorie über den Arbeitsprozess. Insofern wird die Distanz des Menschen zur eigenen Arbeit vergrößert. Wir sind daran gewöhnt, Distanz in der Arbeit spontan als etwas Negatives wahrzunehmen, als Vergrößerung von Fremdheit; dabei übersehen wir den umgekehrten Aspekt, dass allzu große Nähe den Überblick und die Kritik, notwendig für Entwicklung, verunmöglicht.1 Mit der größeren Distanz wird das Verhältnis zur Arbeit notwendig reflektierter. Dies gilt selbst für einfache Eingabetätigkeiten im Vergleich zur vorhergehenden Schreibmaschinenarbeit und selbstverständlich für Dialogsysteme und Systemanalyse. Die Logik der Computer ist ein bestimmter Zugriff auf Sprache und Information. Man kann sich dem unterwerfen und versuchen, die Befehle auswendig zu lernen mit der ständigen Angst und Hilflosigkeit, aus dem System geworfen zu werden. Man kann sich den Computer aneignen, d. h. seine Möglichkeiten austesten und das System ausbauen und weiterentwickeln. Das bedingt ein Verhältnis zur Arbeit wie zu einem Experiment. Die Arbeit ergreift einen und hält einen fest – dieser Umstand ist bekannt, wenn auch nicht begriffen als Faszinationsproblem.2
Die Verschiebungen im Verhältnis von körperlicher und geistiger Arbeit bringen im Wesentlichen folgende Widersprüche und neuen Spannungen hervor: Die Bewegung, die schon in der Ersten industriellen Revolution begann, vollendet sich – die Arbeitenden stehen oberhalb und außerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses, ohne jedoch zugleich die solcher Stellung angemessene Verfügungsmacht zu haben.
Die Inanspruchnahme wird mit der wachsenden Distanz zum Arbeitsgegenstand zugleich intensiver und konzentrierter und dabei auch engagierter. Empirischen Untersuchungen, die die Zunahme an Intensität und Konzentration anklagend erheben und sie als Beweis für eine besonders anspruchslose Arbeit behaupten, entgeht, dass engagierte, »motivierte« Arbeit immer mit wachsender, auch subjektiv so erfahrener Intensität verbunden ist. Die Formen der Arbeitsteilung sind weniger unmittelbar hierarchisch, ohne dass Hierarchie dabei tatsächlich verschwände. Die Vorgesetzten sind weniger kompetent in der Arbeit als ihre Untergebenen, ohne den Vorsitz zu verlieren.
Arbeit und Freizeit
Eine der wichtigen Trennungen im Leben der Lohnarbeitenden ist die von Arbeit und Freizeit. In der Freizeit sind sie zu Hause, Privatmenschen, die aus der Arbeit flüchten.