William Garner Sutherland

Das große Sutherland-Kompendium


Скачать книгу

hatte zur Folge, dass das seltsame Gefühl in seinem Ohr verschwand.

      Um im Sinne von Dr. Still osteopathisch zu denken, gehört die vollständige Betrachtung und Untersuchung des gesamten Körpers dazu. Dies schließt den Ursprung und Ansatz von Muskeln, weichen Geweben und Faszien ein, nicht nur die Knochen. Dr. Still erklärte, dass er seine Denkweise ‚Osteopathie‘ nannte, weil man mit den Knochen beginnt. Wenn Sie an die Faszien denken, betrachten Sie sie von allen Gesichtspunkten: innen, außen, an beiden Enden der Knochen, Muskeln oder jede andere Struktur. Denken Sie daran, dass zur Kunst des Wissens nicht nur die Faszien gehören, sondern auch, welche Resultate ein Zug auf die Faszien hat. Können Sie erkennen, dass in bestimmten Positionen der Partes petrosae der Ossa temporalia Muskelgewebe zusammengedrängt wird?

      DER N. FACIALIS

      Lassen Sie mich vom N. facialis erzählen. Wo beginnt er? Wo befindet sich sein Nucleus? Welchen Verlauf nimmt er? Wo führt er hin? Haben Sie ihn je durch die Ossa temporalia behandelt? Können Sie sich an seine Verbindungen mit anderen Nerven erinnern? Sie wissen, dass er die mimische Muskulatur im Gesicht versorgt.

      Im Falle einer Facialisparese wissen Sie, dass der siebte Nerv seine Aufgabe nicht erfüllt oder so gereizt ist, dass dies zu einem Krampf führt. Das Entrapment-Syndrom erklärt beide Probleme. Lassen Sie uns die Osteopathie im Sinne von Dr. Still studieren, und konzentrieren wir uns dabei nun auf den N. facialis.

      Der N. facialis ist efferent von seinem motorischen Nucleus in der Pons. Die Fasern verlaufen lateral und verlassen das Gehirn medial vom Ganglion acusticus. Von dort aus führen sie kaudal weiter und verlieren sich im Gewebe des Hyoidbogens. Die sensorischen Fasern des N. facialis entstammen den Zellen des Ganglion geniculatum.

      Der N. facialis versorgt Abkömmlinge des zweiten Kiemenbogens. Bei Säugetieren handelt es sich dabei um jene Muskeln, die Haut und Knorpel der Augenlider, Nasenflügel, Mund und Ohren bewegen. Der M. stylohyoideus, der hintere Bauch des M. digastricus, und die Mm. stapedii des Mittelohres werden ebenfalls vom N. facialis versorgt. Im inneren Gehörgang begleitet der N. acusticus den N. facialis. Wo die beiden sich trennen, macht der N. facialis innerhalb des Os temporale einen scharfen Knick nach hinten, um in den Kanal des Nervus facialis einzutreten, der bogenförmig über dem superioren und dorsalen Aspekt des Mittelohres verläuft. Er verlässt das Os temporale an dessen Unterseite durch das Foramen stylomastoideus.

      Innerhalb des Kanals des Nervus facialis gibt es eine winzige Abzweigung zum M. stapedius, welcher das ovale Fenster des Mittelohrs zur Anpassung an laute Geräusche anspannt. Der Hauptnerv beschreibt eine Kurve vorwärts und lateral über den Unterkiefer in der Substanz der Glandula parotis. Er verzweigt sich dort, um den M. frontalis, M. buccinator und jene Muskeln, die sich um Auge, Nasenflügel und Mund herum befinden, zu versorgen. Er kann verletzt werden, was zu einer Facialisparese führt. In einem solchen Fall hängt der Mundwinkel nach unten, die Nasenlippenfurche glättet sich und die Lidspalte erweitert sich. Ein Gesichtskrampf ist das Gegenstück zur Facialisparese und kann als Resultat einer Reizung des N. facialis irgendwo in seinem Verlauf entstehen. Er beginnt mit ungewolltem Zwinkern und dehnt sich auf andere Muskeln aus, wobei es zu einem charakteristischen schnellen Zucken kommt.

      DER N. TRIGEMINUS

      An Vorderseite der Spitze der Partes petrosae der Ossa temporalia liegt in einer kleinen Vertiefung das wichtige Ganglion trigeminale. Ich nenne das Ganglion trigeminale ein ‚Rolypoly‘, weil es in die eine und dann die andere Richtung gerollt wird, wenn die Pars petrosa sich während der Inhalation und Exhalation in Außen- und Innenrotation dreht. Es gehört zum V. Hirnnerv und entspricht dem dorsalen Spinalganglion eines Spinalnervs.

      Der V. Hirnnerv wird N. trigeminus genannt, da er drei Äste besitzt. Alle Äste schließen sensorische Nerven für allgemeine Empfindungen von Gesicht, Kopfhaut und den Schleimhäuten der oralen und nasalen Pharynx ein. Der die Kaumuskulatur versorgende motorische Anteil verläuft mit dem N. mandibularis nach unten durch das Foramen ovale.

      Eine Restriktion der Innen- und Außenrotation der Partes petrosae des Os temporale hat zahlreiche Probleme zur Folge, welche sich im Gesicht zeigen.

      Betrachten Sie die Zirkumrotation des Os sphenoidale. Das Promontorium bewegt sich weder vor noch zurück. Das Ganze entspricht einem aufgehängten Rad (Zeichnung I–2). Folgen Sie dem Umfang des Rades und betrachten Sie die verschiedenen Punkte darauf als Speichen. Es wird Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen, den Punkt der Dysfunktion zu visualisieren, wenn Sie an die Stellung eines jeden Teils des Rades denken. Betrachten Sie die Höhenunterschiede zwischen Sella turcica, Spina ethmoidalis, Alae minores, den Spitzen der Alae majores, den Wurzeln der Procc. pterygoidei, Rostrum, und der Spina angularis auf der Unterseite der Alae majores. Erinnern Sie sich daran, dass in der Wissenschaft der Osteopathie die kleinen Dinge große Dinge sind.

      Eines jener kleinen Dinge am kleinen Os palatinum ist seine orbitale Oberfläche. Es ist eine kleine, dreieckige, glatte Fläche, die ganz hinten im Boden der Orbita heraussteht.

      Man beginnt sich zu fragen, wozu sie eigentlich da ist. Denken Sie sich zurück, entlang des N. maxillaris bis hin zum Ganglion trigeminale. Wenn Sie dem mittleren Ast des V. Hirnnervs geradewegs hinaus durch das im Os sphenoidale gelegene Foramen rotundum folgen, werden Sie feststellen, dass er genau um jene glatte Oberfläche auf dem Proc. orbitalis des Os palatinum herum verläuft.

      Als N. infraorbitalis tritt er anschließend in eine Rinne der Maxillen ein, um an der Vorderseite der Maxillen durch das Foramen infraorbitalis auszutreten.

      Beachten Sie den Verlauf dieses Nervs von der Spitze des vorderen Aspektes der Pars petrosa des Os temporale bis zum Foramen rotundum, von dort weiter bis zum Proc. orbitalis des Os palatinum, in den Körper der Maxilla hinein und hindurch – vier Knochen sind hintereinander aufgereiht in Aktion, wobei sich jeder einzelne auf seine ihm eigene Art bewegt. Betrachten Sie dann die Fissura sphenomaxillaris, die durch das Os sphenoidale, das Os palatinum und die Maxilla gebildet wird. Hier findet sich kein Gelenk, lediglich ein Raum, der sich mit der Bewegung der Knochen ändert. Sie erkennen, dass dieser aus dem Os sphenoidale austretende Nerv die Fossa kreuzt, jene kleine Oberfläche auf dem Os palatinum umfährt, um dann an der Rinne in die Maxilla einzutreten. Wenn wir Ihnen nun von der Mobilität der Orbitae berichten, von einer Erweiterung und Verengung während der Inhalation und Exhalation: Was, denken Sie, hat das für eine Wirkung auf diesen Nerv?

      Ohne diese kleine Vorrichtung, den Proc. orbitalis des Os palatinum, gäbe es eine Spannung mit einer erschöpfenden Wirkung auf den N. maxillaris. Haben Sie sich schon einmal die Funktionsweise einer Dreschmaschine angesehen, wie dort ein Band läuft und ein kleiner Spannungsregulator dieses Band begleitet? Der kleine Proc. orbitalis des Os palatinum dient als Spannungsregulator, der verhindert, dass der Nerv durch Inhalation und Exhalation allmählich zerstört wird.

      DAS OS PALATINUM

      Ein weiteres kleines Ding in der funktionellen Anatomie des Gesichts ist das kleine Os palatinum. Dieser empfindliche kleine Knochen ist ein Mediator zwischen Os sphenoidale und Maxilla. Auf der Rückseite des senkrechten Teils befinden sich zwei Furchen, die eigenartig konkav geformt sind.

      Eine ist medial, die andere lateral. Der Proc. pyramidalis der Ossa palatina passt genau zwischen die Laminae pterygoideae des Os sphenoidale. Seine Funktion kann man mit dem ‚Herzstück‘ einer Weiche bei der Eisenbahn vergleichen, das bei einem Umstellen der Weiche die Ausrichtung der Schiene ermöglicht.

      Die Mechanik der Bewegung zwischen den konvexen Enden der Procc. pterygoidei und den konkaven Furchen auf der Rückseite der Ossa palatina ist vergleichbar mit dem Schiffchen einer Nähmaschine, das vor und zurück gleitet.

      Die beiden Furchen auf der Rückseite des Os palatinum machen nicht den gesamten Mechanismus aus. Der gesamte Mechanismus ähnelt dem einer Nähmaschine. In der Mechanik einer Nähmaschine gibt es eine kleine Art Schiffchen, die Spulenkapsel, welche in einer Konkavität verläuft und dabei vor und zurück gleitet. Die Procc. pterygoidei verhalten sich in den konkaven Furchen auf den Ossa palatina