Viola M Frymann

Die gesammelten Schriften von Viola M. Frymann, DO


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die physiologischen Erklärungen auf ein Minimum reduziert, aber die sorgfältige Durchforstung der Bibliografie wird Ihnen einen umfassenden Hintergrund des Konzeptes vermitteln.

      Die beschriebene Bewegung wurde bereits im Unterarm beobachtet. Mit was für einer Technik kann dieses Phänomen bewusst erfasst werden? Die untersuchende Hand stellt einen sicheren Kontakt mit dem zu untersuchenden Gewebe her. Achten Sie auf den Ausdruck „dem zu untersuchenden Gewebe“. Hier könnte ein Fragezeichen auftauchen und behauptet werden, dass die untersuchende Hand ja nur in Kontakt mit der Haut gebracht werden kann. Vergleichen Sie diese Untersuchung einen Moment lang mit der Untersuchung eines Patienten, der Kleidung trägt. Falls die Finger tatsächlich nur in der Lage sind, den Stoff an der Oberfläche zu berühren, wie kann der Untersucher sich dann des Zustands des jeweiligen Gewebes des Patienten bewusst sein? Es handelt sich dabei in der Tat um einen komplexen Mechanismus, wobei man sich das fokussierte Gewebe durch mehrere Schichten hindurch mit derartiger Konzentration und Genauigkeit bewusst machen kann, dass die für die aktuelle Untersuchung bedeutungslosen Schichten kaum bemerkt werden.

      Für eine informative Palpation ist eine Analyse der beteiligten Techniken erstrebenswert. Der Untersucher muss gleichwertige und gegensätzliche Kräfte zu denjenigen des Gewebes aufbringen, das untersucht werden soll. Der Druck im Augapfel kann etwa geschätzt werden, indem ein Gleichgewicht zwischen dem untersuchenden Finger und dem intraokularen Druck erreicht wird. Der Entwicklungsgrad eines Abszesses kann auf gleiche Weise eingeschätzt werden. Aktion und Reaktion müssen sich entsprechen. Das gleiche Prinzip gilt für die Untersuchung eines jeden anderen Körpergewebes. Um sich auf ein spezifisches Gewebe einzustimmen, muss der eingesetzte Druck auf das Gewebe abgestimmt werden.

      Bis hierhin wurden in die Beschreibung lediglich natürliche und statische Gewebe einbezogen. Bevor wir uns der inhärenten Gewebsmotilität zuwenden, kann eine kritische Untersuchung der Technik zur Evaluation des Radialispulses sehr hilfreich sein. Stellen wir uns einen Patienten mit einem systolischen Blutdruck von 120 mm Hg vor. Übt der untersuchende Finger einen höheren Druck als 120 mm Hg aus, wird der Impuls obliteriert. Ist der eingesetzte Druck sehr leicht, vielleicht 10 mm Hg, wird ein schwaches „Murmeln“ eines Impulses feststellbar sein. Er kann tatsächlich beinahe übersehen werden. Wird jedoch der Druck graduell erhöht, sind verschiedene Qualitäten festzustellen, bis der Druck eventuell stark genug ist, um den Impuls zu unterdrücken. Das ist die ursprüngliche Methode der Blutdruckmessung, bevor das Blutdruckmessgerät zur Standardausrüstung zählte.

      Kehren wir nun aber wieder zur inhärenten Motilität zurück. Die im Kopf festzustellende Motilität wurde Kranialer Rhythmischer Impuls genannt. Er kann als rhythmische fluktuierende Bewegung definiert werden, die normalerweise 10 - 14 Mal pro Minute auftritt und in jeder Region des Kraniosakralen Mechanismus als Anstieg und Abfallen palpierbar ist, ähnlich, aber nicht genau gleich wie die rhythmische Bewegung der Brustwand bei der Atmung. Der Kontakt muss sicher sein, sanft aber bestimmt, wahrnehmend und nicht obliterierend. Das wird am Besten mit den Palmarflächen der Finger erreicht.

      Der erforderliche Druck kann sowohl von Patient zu Patient als auch von Ort zu Ort am selben Kopf variieren. Er liegt etwa bei 60 - 120 Gramm. Die Wahrnehmung dieser Bewegung ist jedoch mehr als eine Frage des Drucks. Es ist eine Frage des „Einstimmens“ in einen Mechanismus, der immer in Bewegung ist. Bei der Pulsuntersuchung konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf einen eingeschränkten Bewegungsbereich, der einen begrenzten Einflussbereich für den untersuchenden Finger darstellt. Nun hingegen muss ein Kontakt mit der Gesamtheit aller Bewegungen hergestellt werden, die unter diesen anderen örtlich begrenzten Bewegungen wie Puls und thorakaler Atmung liegt. Dies entspricht den Gezeitenbewegungen, die unter den lokal begrenzten Aktivitäten der Ozeanwellen liegt. Die Gesamtheit der Bewegungen wird von der ganzen untersuchenden Hand wahrgenommen.

      Neurologen haben bei den ersten Untersuchungen des Zentralen Nervensystems entdeckt, dass Temperaturänderungen nur von spezialisierten hitze- bzw. kältesensitiven Nervenendigungen festgestellt werden. Bei Licht sind spezialisierte licht-sensitive Nervenendigungen erforderlich und so weiter. Das gilt für alle Formen von Empfindungen. Keineswegs überraschend ist es daher, zu erfahren, dass der besagte rhythmische Impuls vom bewegungssensitiven Anteil des Zentralen Nervensystems entdeckt werden muss, insbesondere den Propriozeptoren. Zuvor wurden die Propriozeptoren primär genutzt, den Reflexmechanismus des Körpers über die Position der verschiedenen mechanischen Körperteile und deren Bereitschaft zur Aktivität zu informieren. Jetzt ist es notwendig, sie zur Informationsweitergabe über den Bewegungszustand der Struktur, mit der der Kontakt hergestellt wurde, zu trainieren. So müssen die Propriozeptoren, die zuvor mit der inneren Umgebung des strukturellen Mechanismus beschäftigt waren, jetzt dazu erzogen werden, Berichte über die Änderungen der dynamischen inneren Umweltfaktoren eines externen Organismus weiterzuleiten, die entstehen, wenn der Mechanismus des Untersuchers auf den des Patienten eingestimmt wird.

       B. Spontane Bewegung

      Hippokrates lehrte vor über 400 Jahren vor Christus, dass innerhalb des menschlichen Körpers zur Korrektur bereite Instanzen existieren, die aktiv werden, wenn der normale Zustand eines Organismus durcheinander gebracht wird.iv Verhielte es sich anders, zeigte sich der menschliche Körper entstellt, deformiert und desorganisiert. Im 20. Jahrhundert nach Christus wurde der Begriff Homöostase verwendet, um einen Zustand zu beschreiben, der zwar variieren kann, aber innerhalb eines engen Spektrums durch die koordinierten physiologischen Prozesse aufrechterhalten wird, die jedes Körpergewebe interagierend involvieren. Mechanische, fluide, chemische, elektrische und magnetische Änderungen finden kontinuierlich statt, um die Homöostase aufrecht zu erhalten. Im vorliegenden Diskurs geht es allerdings nur um die mechanische Phase. Diese mechanische Homöostase kann jedoch als eine Art Generalschlüssel für die Homöostase des gesamten Mechanismus beschrieben werden. Das effiziente Funktionieren aller anderen Phasen der automatischen Stabilisation hängen von ihr ab. „Mit dieser anerzogenen Taktilität hält der Osteopath den Schlüssel zu den Laboratorien in der Hand, die den Körper nähren.“ (Dr. Sutherland)

      Die inhärente rhythmische Bewegung des Zentralen Nervensystems, der fluktuierende Rhythmus von Zerebrospinaler Flüssigkeit, Lymphe, Inter- und Intrazellularflüssigkeiten und die rhythmischen Bewegungen des Kraniosakralen Mechanismus wurden als Bewegungen beschrieben, die persistieren, bis das Leben aus dem Menschen weicht. Ihre Frequenz, Rhythmus, Amplitude, Form oder Kraft können sich ändern, aber sie müssen weiter bestehen. Ist die Behinderung der Bewegung groß genug, wird der Körper sie mit äußeren Bewegungen kompensieren, wie etwa bei einem Baby mit einem unbeweglichen Sakrum, das seinen Kopf anschlägt, wenn es schlafen sollte, oder beim post-traumatischen Syndrom, bei dem der Patient mit einem blockierten Sakrum die Bewegung von Kopf und Nacken spürt, sobald er im Bett liegt. Die homöostatischen Kräfte streben konstant danach, die normale Physiologie wiederherzustellen und wenn dass sie behindernde Hindernis entfernt werden kann, wird die Normalisierung eintreten können.

      Eine sehr einfache Analogie dafür ist das verwickelte Telefonkabel. Während der Hörer aufliegt, können sich die Verwicklungen nicht verändern; jeder Versuch ihn mittels „direkter Handlung” zu entwirrenv, erscheint sinnlos. Zwar wird das akribische Entwirren Drehung für Drehung zumindest teilweise zum Erfolg führen, aber es ist äußerst mühsam, arbeitsintensiv und zeitaufwendig. Eine einfachere Methode besteht darin, den Hörer vom Apparat zu nehmen und ihn hängen und ausbaumeln zu lassen. Während das proximale Ende des Anschlusskabels festgehalten wird, entwirren die normalisierenden inneren Kräfte das Kabel, bis es den Neutralpunkt durchläuft. Dann wird es sich in entgegengesetzter Richtung entwirren, um den Neutralpunkt erneut zu passieren, dieses Mal zu einem geringeren Ausmaß. Das wiederholt sich einige Male, bis letztendlich der Prozess der Entwirrung stoppt und der Hörer ruht. Die Rotation, positiv oder negativ, wird nicht aufhören, bis alle „unphysiologischen” Muster beseitigt sind. Kommt die Bewegung an ihr Ende, wird das Kabel entwirrt sein. Das ist das gleiche Prinzip, mit dem der menschliche Körper auch seine mechanischen Störungen korrigieren will.

      Der menschliche Körper besitzt eine feine integrierte, dynamische Struktur, bei der jede Einheit sich in enger Beziehung mit jeder anderen bewegt und ebenso funktioniert. Obwohl sich die mechanischen Störungen des menschlichen Körpers daher sehr komplex gestalten, ist das Behandlungsprinzip