das wilde Tier der Revolution zu bändigen.«
»Und zwar mit Hilfe des Herrn von Bunsen«, fügte Adolf Kußmaul hinzu.
Der König hatte den Theologen, Philosophen und Weltmann Christian Karl Josias von Bunsen 1828 auf einer Italienreise kennen und schätzen gelernt. Bunsen, damals preußischer Ministerresident beim Heiligen Stuhl, wurde verspottet, dass er - wie der König auch - unter dem Verhängnis einer vielseitigen Begabung litte, die Großes versprechen und stolze Entwürfe hervorbringen würde, ohne dass es aber je zu einem vollendeten Werk gereicht hätte.
»Alles liegt in Gottes Gnade«, sagte Friedrich Kußmaul in Anspielung darauf, dass sich Friedrich Wilhelm IV. immer wieder auf sein Gottesgnadentum berief. »Fatal ist es allerdings, wenn dieser Gott die Zeichen der Zeit partout nicht erkennen will.«
Ihr Diskurs wurde unterbrochen, als aus der Küche die Mamsell Johanna Kuschnowski herbeigeeilt kam, um sich bei Dr. Friedrich Kußmaul zu bedanken.
»Sie haben mir wirklich jeheilt, Herr Jeheimer Sanitätsrat!«, rief sie und schüttelte dem ein wenig entsetzten Arzt die Hand. »Et is würklich nüscht mehr zu sehen von allet. Mir war ja dreiste schon mein Bräutijam wegjeloofen, denn alßa mir mal anjefasst hat, da …«
»Lassen Sie’s gut sein, mein verehrtes Fräulein!« Friedrich Kußmaul war wenig erbaut davon, dass der Fall hier in aller Öffentlichkeit diskutiert werden sollte, denn die korpulente Mamsell hatte unter einem mächtigen Herpes zoster gelitten, den er mit seiner medicinischen Kunst nicht in den Griff bekommen hatte, so dass er sie in seiner Hilflosigkeit zu einer alten Frau geschickt hatte, die sich auf das Besprechen von Gürtelrosen verstand - und Erfolg gehabt hatte. Das musste sein Bruder aber nicht unbedingt wissen.
Gontard grinste und empfahl sich. »Ich muss noch zu Willibald Alexis. Er feiert mit seinen Freunden aus der Mittwochgesellschaft das Erscheinen seines neuesten Romans - Die Hosen des Herrn von Bredow.«
Willibald Alexis war am 29. Juni 1789 in Breslau auf die Welt gekommen, in der Stadt, aus der dem Volksmund zufolge jeder echte Berliner kam. 1806 war er mit seiner Mutter nach Berlin gezogen, 1815 hatte er als Freiwilliger an den Befreiungskriegen teilgenommen. Danach hatte er begonnen, Rechtswissenschaft und Geschichte zu studieren, unter anderem bei Friedrich Carl von Savigny und Friedrich von Raumer, und war 1820 Referendar am Criminalsenat des Kammergerichts geworden. Nach dem Erfolg seiner ersten Romane schied er aus der Beamtenlaufbahn aus und errang mit Cabanis, in dessen Mittelpunkt Friedrich der Große stand, mit Der Roland von Berlin und mit Der falsche Waldemar einen Erfolg nach dem anderen. Alle seine Stoffe waren der märkisch-brandenburgischen und preußischen Geschichte entnommen. Eigentlich hieß er Georg Wilhelm Heinrich Häring, aber um zu vermeiden, dass man Witze über seinen Namen machte, hatte er sich ein Pseudonym zugelegt. Seit 1836 lebte er in der Friedrichstadt, genauer in der Wilhelmstraße 97, also zwischen Leipziger und Zimmerstraße. 1838 hatte er Laetitia Perceval geheiratet, deren Vorfahren aus England stammten. Sein Haus war zu einem Treffpunkt des literarischen Berlin geworden.
Nun hatte Christian Philipp von Gontard nichts weiter geschrieben als ein kleines Gedicht zum dreißigsten Geburtstag seiner Frau, aber Henriette war über drei Ecken mit der Familie der Edlen Herren Gans zu Putlitz verwandt, und der Schriftsteller und Theatermann Gustav Gans war mit Willibald Alexis befreundet und hatte Gontard im letzten Winter zu einem Treffen mitgenommen.
Auch heute wieder hatte sich eine illustre Gesellschaft in der Wilhelmstraße versammelt, an ihrer Spitze Ludwig Tieck und Julius Eduard Hitzig, dann Konrad von Sandkirchen, ein hoher Beamter des Hofes, und Daniel Grahsen, ein Schreiber der Vossischen Zeitung.
Auf dessen Wohl hob Willibald Alexis sein Glas. »Herzlichen Dank für Ihre Wertschätzung meiner Romane und in der Hoffnung, dass auch Die Hosen des Herrn von Bredow Ihre Wertschätzung finden werden.«
Grahsen verneigte sich. »Ehre, wem Ehre gebührt.« Gontard hatte gelesen, was Grahsen geschrieben hatte:
Alle seine Romane sind von wärmsten Patriotismus durchdrun gen und bieten meisterhaft ausgeführte geschichtliche Zeit und Sittenbilder, so dass Willibald Alexis mit Recht der märkische Walter Scott genannt worden ist.
»Hoffentlich hat es der König auch gelesen«, sagte Julius Eduard Hitzig.
Das war eine Anspielung auf einen Brief, den der König Willibald Alexis geschrieben hatte, nachdem er mit seiner harten Kritik an der Zensur bei Hofe unangenehm aufgefallen war.
Es fiel noch keinem Regenten von Neapel ein, den Krater des Vesuv zu verstopfen, weil er Feuer speit - so hatte Willibald Alexis in der Vossischen Zeitung die preußische Zensur gegeißelt. Pressefreiheit liege nun einmal im Blut, in der Luft, in der Vernunft.
Der Brief des Königs war nicht weniger eindeutig gewesen: Mit Widerwillen habe ich einen Mann von Ihrer Bildung und literarischer Bekanntheit in der Klasse derer gefunden, die es sich zum Geschäft machen, die Verwaltung des Landes durch hoh le Beurteilung ihres Tuns, durch unüberlegte Verdächtigung ihres nicht von ihnen begriffenen Geistes vor der großen meist urteils losen Menge herabzusetzen und dadurch ihren schweren Beruf noch schwerer machen.
Gontard sah Konrad von Sandhausen, den Obergewandkämmerer Friedrich Wilhelms IV., an. »Was sagen Sie denn dazu, dass der Romantiker auf dem Thron einen Mann, den andere anklagen, er verherrliche die Hohenzollern und die Preußen, derart abkanzelt? Einen überzeugten Monarchisten!«
Der Hofbeamte wand sich ein wenig. »Bitte verstehen Sie, dass der König keine Verfassung zwischen sich und dem Volke dulden will. Er hat die Gnade Gottes, und der Herr weist ihm jedes Mal den rechten Weg, das Volk aber kann niemals wissen, was richtig ist.«
»Weil es seit Jahrhunderten dumm gehalten wird«, sagte Grahsen.
»Mit Verlaub, mein Herr, Preußen hat bereits 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt.«
»Ohne jedoch auf dem flachen Lande ausreichend für Schulen und Lehrer zu sorgen. Abgehalfterte Feldwebel werden auf die Kinder losgelassen.« Grahsen erregte sich immer mehr.
»Denken Sie aber an die Bildungsreformen Wilhelm von Humboldts«, hielt ihm von Sandhausen entgegen, »und an unser humanistisches Gymnasium!«
Ludwig Tieck beteuerte mit schwacher Stimme, dass der König ein guter Mann sei.
»Kein Wunder«, sagte Gontard, »hat er Sie doch vor vier Jahren als König der Romantik von Dresden nach Berlin zurückgeholt.«
»Wie?« Tieck, immerhin schon 73 Jahre alt, ging es gesundheitlich sehr schlecht, und Willibald Alexis hatte viel Mühe aufwenden müssen, ihn zum Besuch in der Wilhelmstraße zu bewegen. Sein letzter großer Roman, Vittoria Accorombona, der vom Untergang einer römischen Familie handelt, war schon vor sechs Jahren erschienen, und er schien langsam zu verstummen.
Jeder bekam nun aufgetragen, auf die Stellen einzugehen, die ihm in Willibald Alexis’ neuestem Roman am besten gefallen hatten, und Gontard wurde als Erster aufgerufen. Schnell hatte er im aufgeschlagenen Buch seine Passage gefunden:
Überall war Ordnung und das wartende Auge der Hausfrau sicht bar. Jeder, Mägde, Knechte, Töchter, Verwandte und Freunde, bis auf die Hunde hinab, schien sein besonderes Geschäft zu haben. Die begossen mit Kannen, die schöpften aus dem Fließ, die trugen das Wasser. Jene nestelten an den Stricken, welche zwischen den Kieferstämmen angespannt waren; sie prüften die Klammern, sie sorgten, dass die nassen Stücke sich nicht überschlugen. Dort hingen gewaltige Kessel über ausgebrannten Feuerstellen, und daneben standen Tonnen und Fässer. Aber diese Arbeit schien vorüber; nur auf den einzelnen Waschbänken, die in das schilfige Ufer des Fließes hineingebaut waren, spülten noch die Mägde mit hochaufgeschürzten Röcken und zurückgekrempelten Ärmeln. Es war die feinere Arbeit, die man bis auf die Letzt gelassen, die jede für sich mit besonderer Emsigkeit betrieb. Da gab es mancherlei Neckereien zwischen dem Schilf. Wollte aber ein Mann in die Nähe dringen, ward er unbarmherzig bespritzt.
»Das erinnert mich sehr an Szenen aus meiner Heimat«, sagte Konrad von Sandhausen, als ein jeder um Kommentare gebeten wurde. »Bei uns wurde immer am Flusse