Neugier auf das glühende schwarze Ding, das seit heute Morgen nicht erloschen war.
Schon einmal gefragt, wie es wohl wäre, wenn man eine Steinzeit-Dokumentation über die Erfindung des Rades im Fernsehen sieht und tatsächlich den Namen dessen gesagt bekommt, der es erfunden hat? Anstatt dass diese Ereignisse immer so anonym verlaufen und wir so distanziert gegenüber unserer Vergangenheit als Mensch dastehen. So etwas Persönliches, Nachgewiesenes, denn auf Tatsachen Beruhendes wie:
Dies ist eine nachgestellte Szene. Der exzentrische Erfinder Jürgen Molle aus der Steinzeit, seines Zeichens Mittelpaläolithiker, und leider bereits von uns geschiedenes Jahrhundertgenie, erfindet gerade den Speer. Wir schreiben das 4te Jahrhundert des 271ten Jahrtausends vor Christus. Er befestigt einen spitzen Stein an einem langen Stock, um sich am Rücken zu kratzen, da es keiner für ihn übernehmen möchte. Denn seine emanzipierte Frau, Katharina Molle-Krüger, SteinzeitmenschIN, hatte es satt mit seinen Wutanfällen und ist mit den gemeinsamen Kindern zu ihrer Mutter gezogen. Diesen Vorgang bezeugen seine wie immer detaillierten und minutiösen, manchmal leider sehr stark abschweifenden Tage-Bruch-Aufzeichnungen.
Na, so würden wir doch dem Steinzeitalter ganz anders gegenüber stehen. Nun, so ähnlich hätten wir auch vom ersten Kohle-Entdecker Oog Ungur erfahren können. Bloß dass dieser, oben auf dem Hügel sitzend und wissenschaftliche Anstrengungen unternehmend, von einem geworfenen Speer eines Homo Sapiens tödlich getroffen wurde, nachdem er von weiter Ferne zuerst einen Ehestreit gehört hatte. Glück im Unglück mussten seine Hinterbliebenen sich wenigstens nicht mit Patentdiebstahl herumplagen. Denn Jürgen Molle fing es an stark am Rücken zu jucken und deshalb ging er seinen Speer zurückholen. Diesen hatte er vor Wut und blind irgendwohin geworfen, weil seine Frau wieder einmal nach einem Streit abgehauen war. Er erkannte am toten Oog Ungur, dass so ein Speer ziemlich gefährlich sein konnte. Die Tatwaffe nahm er zwar mit, bevor er, nervös und voller Angst gesehen und erwischt worden zu sein, abhaute. Aber die brennende Kohle interessierte ihn kein bisschen. Scheiß Jürgen Molle.
1914
Tod eines Försters
Kurt Guske
Wir haben den 30. Mai 1914. Es ist der Samstag vor dem Pfingstsonntag. Nach einem aufregenden Tag mit seinen 8 Kindern freute sich der königlich preußische Revierförster Paul Töfflinger schon auf den Abend. Heute war er mit dem Direktor von Thyssen, Herrn Becker, verabredet. In seinem Revier gab es einen kapitalen Rehbock, den er Herrn Becker versprochen hatte. Sein gutes Verhältnis mit Herrn Becker bestand aus der beidseitigen Liebe zur Natur. Treffpunkt war die Forststraße in der Nähe der Hohen Heide.
„Guten Abend, Herr Direktor.“
„Guten Abend, Herr Töfflinger.“
„Na, was haben Sie denn Schönes für mich ausgesucht?“
„Einen richtig kapitalen Rehbock, Herr Direktor.“
„Das freut mich aber sehr und wie geht es Ihrer Familie?“
„Danke der Nachfrage Herr Direktor, die Kinder machen schon viel Arbeit, aber sie sind ja von Gott gewollt, und meine Frau bekommt das schon hin.“
„Wunderbar, bestellen Sie ihrer Frau Gemahlin einen schönen Gruß von mir.“
„Vielen Dank, Herr Direktor.“
„Gut dann werde ich mich mal auf den Weg machen.“
„Waidmannsheil, Herr Direktor.“
„Waidmannsdank, Herr Töfflinger.“
Dann trennten sich die beiden Männer, Herr Becker machte sich auf den Weg zum Hochsitz und Revierförster Töfflinger auf den Weg durchs Revier. In der letzten Zeit hatten sich wieder einige Wilddiebe bemerkbar gemacht und Töfflinger legte es darauf an, sie endlich zu erwischen. Leise und höchst aufmerksam ging er durch das Revier Burenbrock.
Derweil machte sich aus Bottrop das Unheil auf den Weg. Es war die Zeit kurz vor dem ersten Weltenbrand, was zu dieser Zeit jedoch noch niemand ahnen konnte. Wer konnte schon voraussehen, dass am 28.6.1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin durch südslawische Nationalisten erschossen würden, woraufhin Österreich den Serben den Krieg erklärte. Der deutsche Kaiser Wilhelm der Zweite erklärte am 1.8.1914 Russland und am 3.8. Frankreich den Krieg. Das große Morden nahm seinen Anfang.
Doch zurück zu zwei Männern aus Bottrop. Es waren die Wilderer Brüggeman und Fahnenbrock. Auch sie trafen sich an diesem 30. Mai. Sie hatten ebenfalls von dem Rehbock gehört und wollten Jagd auf ihn machen. Sie schlichen durch Vöingholz in Richtung Hohe Heide.
„Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Brüggemann, „bestimmt ist der Revierförster auch unterwegs.“
„Das schon, aber er kann ja nicht überall sein!“, meinte Fahnenbrock.
Leise schlichen die beiden weiter durch den Wald. Töfflinger aber, der sich äußerst geschickt und fast geräuschlos durch den Wald bewegte, hörte bald verdächtiges Knacken im Unterholz. Sofort blieb er schon stehen und wartete in der Deckung einer großen Eiche. Sein Puls ging in die Höhe, als er zwei Männer mit Gewehren auf sich zu kommen sah. Als sie nah genug waren, sprang er aus der Deckung und rief: „Stopp, die Gewehre runter.“
Der Wilderer Fahnenbrock war ihm bekannt und befolgte seine Anordnung. Brüggemann aber verschwand im Gesträuch. Der Förster nahm Fahnenbrock fest.
„Habe ich dich endlich“, sagte er zu ihm, „und den anderen bekomme ich auch noch. Den Brüggemann habe ich erkannt.“ Fahnenbrock sagte kein Wort.
Während Töfflinger ihn band, fiel plötzlich ein Schuss. Paul Töfflinger verspürte einen heftigen Schlag in den Rücken und dann kam die große Dunkelheit.
Paul Töfflinger war tot.
Ein beliebter Revierförster und Vater von 8 Kindern heimtückisch in den Rücken geschossen.
Unfassbar!
Brüggemann sprang aus dem Gebüsch und band Fahnenbrock los. „Komm, lass uns schnell abhauen, den Schuss könnte jemand gehört haben.“ Fahnenbrock sagte: „Wir schmeißen ihn in den Graben, dann wird er nicht sofort gesehen.“
Während sie das taten, hörten sie eine laute Stimme.
„Was macht ihr denn da?“
Erschrocken ließen die beiden den Förster liegen und rannten davon. Der junge Mann war ein Sohn des Bauern Riesener. Er sah sofort, was geschehen war, und lief zum Hause Weiß, das in der Nähe lag, und holte Hilfe.
Schnell rannten Theo Weiß, ein guter Freund des Toten und von Riesener, zum Ort des Geschehens. Als Theo sah, was geschehen war, liefen Tränen aus seinen Augen.
„Oh Gott die arme Frau Töfflinger, und sie ist auch noch hoch schwanger.“
Dann brachten sie den toten Förster in das Haus von Theo. Die schwerste Aufgabe stand ihnen noch bevor. Sie mussten Frau Töfflinger die Nachricht vom Tod ihres Mannes beibringen. Theo und Frau Töfflinger hielten sich fest und weinten gemeinsam. 10 Tage nach des Försters Tod gebar Frau Töfflinger ihr neuntes Kind und nannte es Pauline.
Der junge Riesener hatte die beiden erkannt und schon am nächsten Tag wurde Brüggemann verhaftet. Fahnenbrock aber konnte entkommen und hatte sich nach England abgesetzt. Aber Brüggemann kam mit seiner Schuld nicht zurecht. Schon wenige Stunden nach seiner Einlieferung ins Bottroper Gerichtsgefängnis hatte er sich das Leben genommen. Auch Fahnenbrock konnte in England verhaftet werden, doch bevor er ausgeliefert werden sollte, brach der erste Weltkrieg aus. Er verblieb in England in einem Internierungslager.
Der Revierförster aber bekam eine Beerdigung, wie sie Kirchhellen und Grafenwald noch nie erlebt hatten. Alle Honoratioren der beiden Orte und auch die Familie Thyssen sowie ein großer Teil der Bevölkerung waren da. Herrn Töfflinger wurde auf dem Grab ein kleines Denkmal gesetzt.
Seine Frau ließ auf diesen Stein folgenden Spruch