diesem Grab vergossen. Aber trotz aller Trauer musste das Leben für Frau Töfflinger weitergehen.
Acht Kinder und ein Baby wollten versorgt werden. Und dann war da ja noch der kleine Hof, den sie mit ihrem Mann bewirtschaftet hatte. Ja es war eine schwere Zeit für eine mutige und tapfere Frau.
Sie kümmerte sich weiterhin um die zum Forsthaus gehörenden Wiesen und Äcker. Mit Pferd und Wagen fuhr sie mehrmals nach Bottrop, um auf dem Markt Obst, Eier, Butter und selbstgebackenes Brot zu verkaufen. Und auf etwas konnte sie besonders stolz sein. All ihren Kindern ermöglichte sie den Besuch des Gymnasiums, dabei stellte sie ihre eigenen Wünsche hintenan. Als die meisten ihrer Kinder erwachsen waren und das Elternhaus verließen, wurde das Forsthaus zu groß für sie. Sie verließ das Forsthaus und zog auf einen kleinen Kotten der Familie Thyssen. Aber richtig wohl fühlte sie sich hier nicht. Anfang der dreißiger Jahre verließ sie Grafenwald und zog zu ihren Kindern nach Darmstadt, die zum Teil hier sesshaft geworden waren.
Sie kümmerte sich, bis sie 90 Jahre alt war, um den Haushalt ihrer Tochter Doris. Sie starb 1966 im Alter von 93 Jahren. Den Kontakt mit Kirchhellen pflegte sie aber weiterhin. Den engsten Kontakt hatte sie mit der Familie von Rektor Heinrich Schulte Strathaus. Dieser war ein besonders enger Freund ihres Mannes gewesen. Nach seinem Tod hat diese Familie ihr sehr beigestanden.
Noch ein paar Worte zu den Kindern. Gerhard war zunächst Forstamtmann in Hessen und wurde noch Leiter des Forstamtes Zierenberg. Später zog er dann nach Kassel. Sohn Willi war Assistent an der TH in Darmstadt und meldete sich zu ihrem Kummer als Freiwilliger zur Wehrmacht. Er fiel in Stalingrad. Erich wurde technischer Angestellter bei der Firma Henschel und blieb dort bis zum Renteneintritt. Tochter Martha heiratete einen Forstmeister, der dann aber in Italien gefallen ist. Doris heiratete den Eigentümer eines bekannten Ausfluglokals und führte nach seinem Tod dieses weiter. Gertrud war als Lehrerin in Gelsenkirchen-Buer tätig und zog nach ihrer Pensionierung ebenfalls nach Darmstadt. Hedwig blieb unverheiratet und arbeitete über 30 Jahre bei ihrer Schwester Doris im Hotel. Bleibt noch die jüngste, Pauline. Sie heiratete einen Diplom-Ingenieur, welcher 1944 ebenfalls gefallen ist.
Aber was wurde aus Fahnenbrock? Er blieb ja bis 1919 in England interniert und wurde dann nach Deutschland entlassen. Hier wurde er sofort verhaftet und in das Gladbecker Gerichtsgefängnis eingesperrt. Schon bald wurde ihm der Prozess gemacht und zum Unwillen der Bevölkerung freigesprochen. In dem Prozess schob er alles auf seinen ehemaligen Kumpanen Brüggemann und niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen. Freispruch aus Mangel an Beweisen. Lachend und als freier Mann verließ er den Gladbecker Gerichtssaal. Aber irgendwie konnte er seine Freiheit nicht lange genießen. Es war die Zeit der Spartakisten, welche für große Unruhen sorgten, und während eines solchen Aufstandes wurde Fahnenbrock tot an einer Mauer der GHH in Oberhausen aufgefunden.
Er war erschossen worden. Seine Mörder konnten nie ermittelt werden.
2014 ist es dann 100 Jahre her, dass der beliebte Förster Paul Töfflinger im Wald der Hohen Heide erschossen wurde.
Den Weg, an dem er ermordet wurde, nennt man ihm zu Ehren „Töfflinger Weg“.
Quellennachweise: Zeitungsartikel der Ruhrnachrichten, Verfasser Theo Täpper, 1975
Friedhelm Wessel: „Geschichten aus Kirchhellen“
1944
Frühlingssonne
Eva-Maria van Gessel
Nach der Landung der West-Alliierten in der Normandie im Juni 1944 begannen sie ihre Invasion in Richtung Reichsgebiet.
Meine Großeltern, die „van Gehsels“, wohnten zu der Zeit mit ihrer Tochter Anneliese und ihrem Sohn Wilhelm in einer Werkswohnung der Rheinischen Stahlwerke, Aegidistraße 23. Schräg gegenüber befand sich die Bäckerei Scheuer. Dort war Wilhelm, gerade sechzehn Jahre alt, noch in der Lehre.
Am 10. Januar musste er zur Notgesellenprüfung, weil er am 13. Januar 1945 nach Sülbeck bei Stadthagen zum Militärdienst eingezogen wurde.
Anfang Februar war er dienstlich im Zug nach Münster unterwegs, nutzte die Gelegenheit und machte einen Abstecher nach Bottrop. Er wollte seine Familie noch einmal besuchen, denn er fürchtete, sie sonst nie mehr wieder zu sehen.
Das „unerlaubte Entfernen von der Truppe“ fiel jedoch auf und Wilhelm wurde zu einer Woche verschärften Arrest verurteilt. Er saß dann vom 15. Februar bis zum 22. Februar in einer Einzelzelle bei der Tagesration von einem Kanten Brot und Wasser in Hameln Obernkirchen ein.
Am 12. März wurde er aus der vormilitärischen Ausbildung entlassen, um später wieder bei der Wehrmacht eingesetzt zu werden.
Die deutschen Truppen mussten zu dem Zeitpunkt bei Wesel nun auch ihren letzten linksrheinischen Brückenkopf aufgeben. Britische, kanadische und US-Luftlande- und Bodentruppen überschritten dann im Raum Wesel-Dinslaken auf breiter Front den Rhein. So geriet auch Bottrop unter Artilleriebeschuss.
Am 24. März 1945 (Wilhelm war wieder im ehemaligen Lehrbetrieb tätig) sollte Stuten gebacken werden. Wilhelm schickte Heinz, den Sohn des Bäckermeisters, los, um die noch fehlende Margarine für den Stutenteig zu besorgen. Heinz stieg aufs klapprige Fahrrad und fuhr bei herrlich sonnigem Wetter los. Er dachte noch: „So ein schöner Frühlingstag!“
Plötzlich kam das Dröhnen eines Aufklärers näher und das Flugzeug überflog den Ortsteil Boy. Als Heinz in Höhe der Hühnerfarm Wittstamm war, hörte er ein Heulen, dann schlug eine Granate in deren Nahbereich ein und er stürzte vor Schreck mit seinem Fahrrad um. An die Margarine dachte er nun nicht mehr, sondern fuhr so schnell er konnte zur Backstube zurück.
Dort waren inzwischen die von diesem Überraschungsangriff aufgeregten und verstörten Anwohner aus den umliegenden Häusern in den Innenhof der Bäckerei gelaufen, ebenso auch Wilhelms Mutter, die natürlich nach ihrem Sohn sehen wollte.
Als um 9.13 Uhr das Hinterhofgebäude getroffen wurde, befand sich das Hausmädchen Mathilde auf der Kellertreppe aus Sandstein und wurde schwer verletzt. Wilhelm und Heinz suchten schnell Schutz hinter den gestapelten Mehlsäcken in der Backstube. Lautes Aufschreien und das Heulen der Granaten war zu hören und die beiden zuckten zusammen, als wieder eine in direkter Nähe einschlug.
Kurz danach stürmte Herr Eisenkopf, ein Mieter aus dem Hinterhaus, herein und rief: „Willi, Willi, komm schnell! Deine Mutter!“
Wilhelm, panisch vor Angst, rannte zu ihr und stolperte über Körperteile. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte er den abgerissenen Arm des Fräulein Salomon, sowie das Bein von Frau Pawlinski, das er an ihrer zuvor getragenen Sandale erkannte, die noch an den Fuß geschnallt war.
Wilhelm entdeckte seine Mutter Anna in einer Blutlache – sie lag schwerstverletzt von Granatsplittern getroffen im Hof. Der rechte Oberschenkel war zerfetzt, der andere lag verdreht neben ihr. Wilhelm und Heinz sahen schockiert, wie ihr das Blut pulsierend und schnell aus dem Rumpf floss. Die Mutter war nicht mehr ansprechbar. Wilhelm schrie verzweifelt: „Mutter, verlasse mich nicht!“ Es gab aber keine Möglichkeit ihr noch zu helfen – sie verblutete an Ort und Stelle.
Wilhelm zog zitternd seine Bäckerschürze aus, breitete sie über seine Mutter aus, saß lange noch weinend und regungslos da.
Eine weitere Granate schlug in unmittelbarer Nähe des Hauses, Aegidistraße 5 / Ecke Blankenstraße, ein und Willi Schnitzler kam dabei ebenfalls ums Leben.
Der Pfarr-Rektor Anton Vohs war gerade in der Nähe, eilte herbei und spendete den Opfern die letzte Ölung.
Die wärmende Frühlingssonne vermochte nun niemanden mehr zu erreichen.
Am Nachmittag, gegen drei Uhr, heulten die Sirenen und Wilhelm, Heinz und die anderen Überlebenden vom Vormittag rannten verzweifelt zum Schutzbunker an der Kreuzung Aegidistraße / Ecke Tannenstraße.