Jek Hyde

Schwarzmarkt Magie


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wollten, da man das Kind in so einem „Zustand“ nun mal nicht belassen konnte. Also entschlossen sich ihre Eltern, auf besonderem Wunsch des Vaters, für einen Jungen und glaubten in ihrer geistigen Einfachheit und der Angst, dass es sich damit erledigt hatte. Wer hätte schließlich damit rechnen können, dass sich Alex’ restlicher Körper ganz abrupt in die weibliche Richtung entwickeln würde? Das Unheil war wie die Sonne zu einem Oval aufgestiegen, schwer und schwabbelnd.

      Alex erinnerte sich gut, wie ihr Vater sie drängte, sie solle sich Medikamente besorgen, um die weiblichen Hormone zu unterdrücken. Doch Alex entschied sich dagegen, was ein Glücksgriff sein sollte, denn überraschenderweise harmonierte ihr Körper, kurzum: Ihr Körper formte sich weiblich, während ihr Prügel sich verhielt, wie man es von ihm erwartete. Jede hormonelle Therapie hätte sie aus dem Gleichgewicht gebracht.

      Ihr Vater sprach sie damals mit „Alexander“ an, als könnte er sie mit dieser Zauberformel beherrschen. Das Schlimmste an allem aber waren die Einfachheit und die Leichtfertigkeit der Entscheidung, dass sie ein Junge sein sollte. Das darauffolgende Übel brachte das Fass endgültig zum Überlaufen: Der Arzt riet ihr, sich „umwandeln“ zu lassen. Zuerst hatten sie ihr einfach das weibliche Geschlecht genommen und nun wollte man ihr auch noch ihren kleinen Freund wegschneiden und durch eine künstliche Vagina ersetzen, nur, damit sie sich der Gesellschaft anpassen konnte, weil sie sonst niemand akzeptieren würde.

      Ihr Vater wäre sicher stolz auf seinen Sohn, wenn er wüsste, mit welch schicken und geschmackvollen Fräuleins sie auf so männliche Weise verkehrte. Das jedenfalls dachte sich Alex, während sie zusah, wie die Sonne sich langsam und zäh vom Boden löste. Eines nämlich fürchtete ihr stolzer Vater mehr als alles andere: dass sein Sohn eine Schwuchtel sein könnte. Sicher würde es ihn wenigstens etwas ermutigen, wenn er wüsste, dass Alex’ Arsch auch weiterhin eine Einbahnstraße bleiben würde. Bei diesem grotesken Gedanken hätte sie fast gelacht. Nun war sie ihrem Vater äußerlich wie innerlich so unähnlich. Das Einzige, was vermutlich wirklich noch zu ihm gehörte, war das fast unmerklich gespaltene Kinn.

      Das Rot setzte sich langsam ab und immer mehr helles, von Wolken zerschnittenes Blau ergriff vom Himmel Besitz. Die Sonne wurde allmählich weiß, das Licht schwappte über den Rand der Welt und floss die Felder hinab. Es wurde Tag. Ein neuer, sehr junger Tag. Wohin sollte sie nun fahren? Wie ging es weiter? Von hier aus konnte die Reise fast überall hingehen, vielleicht sogar zu den Far Lands, wo der Leveleditor der Welt die ersten Fehler machte. Wo die Naturgesetze langsam ausgehebelt wurden. Vielleicht würde sie auch mitten ins Nirgendwo fahren, so wie immer …

      Eines aber war ihr spätestens jetzt klar: Der Sonnenaufgang war voll porno.

      MICROPSIA

      An diesem Punkt stoppte Alex’ Reise.

      Sie schaufelte wie eine Irre auf einem riesigen Feld, auf dem auch Tausende andere schaufelten. Irgendwo in diesem riesigen, erdigen, matschigen Feld, das sich erstreckte, so weit das Auge reichte, war die goldene Schaufel versteckt. Alex schwitzte und fror abwechselnd. Ihre Hände waren vom Dreck verkrustet und sie hatte sich inzwischen so oft über die schweißnasse Stirn gestrichen, dass auch ihr Haar verkrustet war.

      Das Feld war so groß, dass zwischen jeder einzelnen Person wenigstens zehn Meter Platz waren. Alle wollten sie haben. Auch Alex, doch ihr ging es inzwischen nur noch darum, die verdammte Schaufel zu finden, um diesen Ort für immer verlassen zu können. Ihr Kopf tat mächtig weh und ihr war übel. Trotzdem musste sie diese scheiß goldene Schaufel finden und weitergraben. Einfach weitergraben. Keiner der anderen durfte sie finden, weil Alex sonst für immer hierbleiben müsste. Sie grub und grub, doch irgendwie gelangte sie einfach nicht tiefer in die Erde und auch die Batzen, die sie mit der Schaufel neben sich warf, häuften sich nicht. Irgendwas war mit ihrer Wahrnehmung nicht in Ordnung.

      Plötzlich warf sie ihre Schaufel beiseite, denn da war etwas in der Erde. Sie kniete sich in den Matsch und wischte mit den dreckigen Händen die Erde, die an dem Objekt klebte, ab. Gold kam zum Vorschein, es war die Schaufel und Alex wurde aus diesem widerlichen Traum befreit.

      Alex war krank und sie konnte froh sein, dass die Krankheit erst jetzt, da sie Berchtesgaden erreicht hatte, ausgebrochen war. Es wäre die reinste Katastrophe, nun krank und schlotternd auf der Rückbank ihres Fords zu liegen oder in einem Hotel jeden Tag dieser Krankheit bezahlen zu müssen. Stattdessen lag sie im Gästezimmer des großen Fachwerkhauses von Lillis Familie.

      Alles im Zimmer war aus wuchtigem, dunklem, rustikalem Holz. Links befand sich die Tür, die einen Spalt offen stand. Weiße Wände. Dunkelbraune Decke über ihr. Neben der Tür das große Fenster mit den langen Vorhängen. Draußen in den Fensterkästen wuchsen bescheuerte Pelargonien, die abbrachen, wenn man sie einmal böse ansah. Während sich rund um dieses Haus die Berge erstreckten, lag sie in die dicke, weiße Decke eingekuschelt und ihr Kopf lag auf den dicken, weißen Kissen. Das Bett war altmodisch und aus dunklem Holz mit ausgeprägten Bettpfosten. Davor standen ihre beiden Cowboystiefel und zeigten zur Tür. Links am Kopfende gab es einen kleinen Nachttisch mit einer Flasche Mineralwasser und Taschentüchern und einen pinkfarbenen Plastikeimer.

      Alex fühlte diese schwere, depressive Hitze des Krankseins. Sie zitterte und zog ihren Körper unter der dicken, aufgeplusterten Decke zusammen, fühlte die Nässe, die Hitze und die unlogische, einhergehende Trockenheit. Halb schlafend und halb wach schaute sie die Wände an. Sie fühlte sich nicht in der Lage, irgendetwas anderes zu tun, als diesen Mist einfach auszusitzen, indem sie versuchte zu schlafen, was kaum möglich war. Wenn sie diese kuschelige, warme Decke bis zum Kinn zog, durchfuhr sie ein merkwürdiges, leichtes Lachen aufgrund des Schauers der Behaglichkeit, bis sie kurz darauf eine weitere Welle der dumpfen, fiebrigen Schwere überrollte und Alex sich erneut sterbenselend fühlte.

      Sie hatte sich schon kurz nach ihrer Ankunft die Seele aus dem Leib gekotzt und nun konnte sie nicht mal sagen, welcher Tag es war. Ihr treuer Begleiter, der azurblaue Ford Escort EXP, stand draußen vor dem Haus. Sie war froh, dass Lillis Eltern es akzeptierten, dass ihre Tochter mit einer Spielerei der Natur wie Alex Zärtlichkeiten austauschte. Aber vermutlich gefiel es ihnen, dass Alex sich um Lillis „Problem“ sorgte.

      Alex wälzte sich schwerfällig in Richtung Fenster. Das Licht, das strahlend wie ein Suchscheinwerfer durchs Fenster fiel, brannte in ihren Augen. Doch sie fühlte sich zu schwer und zu träge, um aufzustehen und den Vorhang zuzuziehen. Ihre Träume und Gedanken fühlten sich wie eine unendlich schwere depressive Version von Dalis „Beständigkeit der Erinnerung“ mit den zerfließenden Uhren und der archaischen, wüsten Landschaft an.

      Das wüste Land … Das wüste Land … Das wüste Land, dachte Alex immerzu. Ab und an sah sie eine nackte Lilli, die sich in dieser leeren Landschaft räkelte. Und da war sie mit einem Mal tatsächlich. Lilli schob die Tür einen Spalt auf und schaute zu Alex hinein. „Wie geht’s dir, Alex?“, flüsterte sie.

      Alex hob ihre tonnenschwere Hand und streckte einen frierenden Finger zum Fenster aus: „Zu hell … Zu hell …“, krächzte sie und zog die Hand in ihr Schneckenhaus aus aufgebauschter Decke zurück. Lilli verstand sie erfreulicherweise, ging zum Fenster und zog die langen, weißen Vorhänge zu, wodurch alles im Zimmer überraschend gut gedämpft wurde; zumindest genug, um Alex’ momentan übersteigerte Wahrnehmung nicht schmerzhaft zu gestalten.

      „Geht’s dir schon ein bisschen besser?“

      Alex öffnete die Augen einen Spalt, um Lilli fragend und auf ihrem Piercing kauend anzusehen. „Nicht gut … schwer … wüstes Land …“, gab Alex ausführlich zur Antwort.

      Sie fühlte sich, als hätte sie sich in den vielen unzusammenhängenden Gedanken verheddert und hinge nun schwerfällig wie eine tote Kuh in einem riesigen asymmetrischen Spinnennetz. Wie ein tragischer, griechischer Held litt sie, eingemummelt in diese Decke, nur mit einem T-Shirt und einer Boxershorts bekleidet. Sie zitterte, zog sich so eng zusammen, wie es ging, alle Gliedmaßen zum Torso hin. Obwohl sie sich fühlte wie ein toter Esel auf einem Klavier, schaffte es die angenehme Schummrigkeit im Raum, sie zum Einschlafen zu bewegen. Sie träumte von Reisen durch surreale Landschaften und welkte leicht, als sie diese Dalischen Welten durchschritt, mit