Ich möchte ganz besonders die vielen Kleinigkeiten im Alltag vor Ort beleuchten und aufzeigen, wie ereignisreich sich unser tägliches Leben gestaltet und dass es mehr gibt als den überall beschworenen Stress.
Wenn Sie diese Absicht beim Lesen des Büchleins erkennen, werden Sie den Spaß finden, den ich Ihnen hiermit wünsche.
Jott H. Wangerin
Stralsund, im Sommer 2014
Ewiger Kreislauf
Frühlingslüfte
Sonnenblumen
Erntedüfte
Nebelschwaden
Heldensagen
Jugendliebe
Lebensfragen
Babywiege
Jahresringe
Sorgenfalten
Blätterfall
Händefalten
Blütensprießen
Liebesnacht
Spinnennetze
Stille Wacht
Osterwasser holen
Meine Mutter ging mit uns drei Kindern und unseren zahlreichen Freunden gerne vor Sonnenaufgang das sogenannte Osterwasser holen. Es musste aus einer Quelle stammen, aber weil es in Tessin/Mecklenburg keine richtige Quelle gab, durfte das Osterwasser ausnahmsweise aus dem Wolfsberger Bach geholt werden.
Dorthin mussten wir einen weiten Weg durch den dunklen Wald mit allerlei Angst einflößenden Geräuschen zurücklegen.
Wir zitterten anfangs noch wie Espenlaub und hielten einander auf dem dunklen Weg an den Händen. Je näher aber das Ziel kam, umso übermütiger wurden wir.
Die wichtigste Bedingung für die Wirkung des Osterwassers war, auf dem Weg zur Quelle durfte nicht ein Wort gesprochen werden, für uns Kinder ein ganz besonderes Gaudi, denn nun konnten wir die Mädchen an den Zöpfen ziehen, und sie durften nicht petzen. Genau beim Sonnenaufgang wurde nun ein Krug frisches Wasser aus dem Bächlein geholt, und jeder durfte einen Schluck davon trinken und war dadurch gefeit vor bösen Geistern und Krankheiten. Der Rückweg war nach so langem Schweigen entsprechend laut und fröhlich.
Gedanken beim Kerzenschein – Traurigkeit?
Ganz nahe am Wasser gebaut?
Zu gruseligen Märchen gelauscht?
Dem eigenen Bruder misstraut?
Am Freiheitsgedanken berauscht!
Immer geduckt, niemals gewehrt!
Meistens verstellt, gesagt wie’s gelehrt!
Niemals gelebt sorglos den Tag.
Tränen unterdrückt als Zeichen der Schmach.
Spießige Lehrer, von der Partei deformiert.
Das starke Gebiss unserer Dobermann-Hündin Britta.
Schwitzend Torfringeln im Recknitztal.
Der verräterische Störsender über dem Hamburger Rundfunk.
Fechtabende – Rassekaninchenschauen.
Fohlenmantel, Ziegenmilch und Migräne.
Zerschlagene Gewächshausscheiben.
Großmutti, Käthe Bröker.
Freunde fliehen in den Westen.
Sehnsucht – Wehmut.
Hass – Ohnmacht.
Und doch:
Es war die beste Zeit, denn es war unsere Zeit!
Es gibt nichts zu bereuen,
Aber genug Grund, sich zu freuen!
Experimentierfreude
Von den Eltern wurden wir nicht gerade streng, aber anständig erzogen.
Wir kannten bislang keine Ferkeleien und hässliche Ausdrücke, aber gerade danach spürten wir plötzlich ein unbändiges Verlangen, denn wir konnten mit den Spielgefährten plötzlich nicht mehr mithalten.
Es konnte uns gar nichts Besseres in dieser Entwicklungsstufe passieren, als „Sieker“ Richter, sein Vater war strenger Dr. med. auftauchte, und uns selbstlos Nachhilfeunterricht in gewissen Dingen erteilte. Eines Tages verzierten wir unsere hölzernen Bettgestelle am Kopfende kunstvoll mit dem Taschenmesser.
Es war unser erstes Meisterwerk. Dabei handelte es sich um einige Drachen, in der Mitte mit einem geraden Strich als Nase und aussen herum mit vielen Sonnenstrahlen bestückt. Natürlich hatte der Drachen einen Namen, aber hier schweigt des Sängers Höflichkeit. Als Mutti uns am Abend wie üblich eine Heldensage vorlas, blickte sie entsetzt auf unser Machwerk und wollte wissen, wie es wohl auf das Holz gekommen sei. Unbekümmert erklärten wir es ihr, und als dazu auch gleich noch so ganz nebenbei erlernte schmutzige Wörter aus uns heraussprudelten, brach für Mutti die ach so schöne heile Welt zusammen. Aber nun ging es Schlag auf Schlag weiter und allmählich wurden wir vollkommen.
Sturm und Drang
Die Uhr schlug zehn vom Glockenturm,
Stark war mein Drang und wild der Sturm,
Ganz leis’ die Haustür aufgemacht,
Geliebt, geküsst die ganze Nacht.
Des Frühlings Lust folgt Blätterfall,
Nach Knospensprung entzaubernd Knall.
Gestorben längst mein stürmisch’ Drang,
Kein Feuer lodert lebenslang.
Nur große Herzen wachsen im Alter, die kleinen schrumpfen
Alte wissen aus Erfahrung – wenn sie es nicht schon wieder vergessen haben-, was die Jungen noch nicht wissen können, weil die noch keine Zeit dafür hatten, es sich zu merken. Als kleiner Junge wünschte ich mir ständig, bloß schnell älter zu werden, um das auch tun zu dürfen, was mir bis dahin nicht erlaubt war, z.B. abends noch draußen zu toben oder alleine ins Kino zu gehen, zu rauchen, ein Mädchen zu küssen, ohne die Eltern Urlaub zu machen usw., kurzum, selbständig zu entscheiden. Derart vorwärtsgetrieben, schoss ich zwar immer noch viel zu langsam, aber doch unaufhaltsam in die Höhe und über manches Ziel hinaus. An einige Beulen kann ich mich heute noch genau erinnern.
Bis ich endlich begriffen hatte, dass sich die Erde wirklich dreht, aber leider nur um sich selbst, auf keinen Fall um mich, war ich bereits aus den besten Jahren heraus.
Und was kommt dann? Zum Glück auch die Erinnerung an die Kindheit, die nun viel zu schnell vergangen zu sein scheint.
Könnte ich noch einmal von vorne beginnen, würde ich doch lieber langsamer erwachsen werden. Wie war das doch bequem: Früh morgens endlich aus dem Bett springen zu dürfen, höchstens eine kleine „Katzenwäsche“ und trotzdem sauber, Klamotten über, Stulle in die Hand genommen, Ranzen auf den Rücken und ab ging es im Trab. Und heute? Wie gerädert wacht man endlich doch noch auf, die Gedanken vom Vorabend und dazu tausend