Jork Steffen Negelen

Vinus und das Auge der Zyklopen: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 4)


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      Über dem Hexenmeister und dem Kobold schwebte Meerlands Seele. Leise sprach sie zu den beiden. „Hört gut zu, meine Freunde. Als der Priester Damian vor langer Zeit seinen König erschlug und selbst blind und einsam in der Steppe starb, war die Liebe des Schöpfers für das Volk der Zyklopen erloschen. Doch nichts ist für die Ewigkeit. Eines Tages wird die Liebe zu ihm zurückkehren und das Volk der Zyklopen wird die Fesseln der Sklaverei verlieren.“

      Orbin schaute zu Meerlands Seele auf. „Meister, ich kann mich an so viele Ereignisse in meinem Leben nicht mehr erinnern. Wenn wir dir helfen sollen, dann musst du uns verraten, wie wir das anstellen müssen. Ich weiß nicht, wie ich die Seele eines Meisters der alten Hoch-Elfen erlösen kann.“

      Meerlands Seele leuchtete hell auf, als sie rief. „Das ist nicht weiter schwierig. Doch zuerst will ich dir und deinem kleinen Freund noch etwas über mich erzählen. Dann wirst du verstehen, warum ich als Lichtgestalt an diesen Ort gebunden bin und noch nicht in das Seelenreich der Hoch-Elfen gelangen konnte.“

      Orbin setzte sich auf den Sessel, der hinter dem Schreibtisch stand und seufzte. „In meinem Kopf drehen sich die Gedanken, ich weiß bald nicht mehr, was ich noch alles wieder lernen muss. Aber bitte, Meister Meerland, wenn es uns hilft, dann erzähle uns von dir.“

      Die Seele Meerlands schwebte dicht über dem Schreibtisch. Beinah sah es so aus, als wollte sie sich setzen. „Also dann hört mir gut zu. Vor vielen Tausend Jahren erschuf der Schöpfer die Erz-Elfen. Sie waren die Reinsten und Edelsten aller Geschöpfe. Sie waren über alle Maßen klug und schön wie das Licht der Sonne, wenn es sich im Morgentau widerspiegelt. Viele Jahrhunderte lebten sie glücklich den Traum der Unsterblichkeit. Doch eines Tages zerbrach dieser Traum. Albaron, der König der Erz-Elfen, verlor durch einen schrecklichen Unfall bei einer Hirschjagd seinen einzigen Sohn Elion. Er gab seinem Jagdmeister Zassan die Schuld und aus Rache verbot er ihm noch am selben Tag, seine Tochter, Prinzessin Lianda im heiligen Pantheon des Schöpfers zur Frau zu nehmen.“

      „Das kann nicht stimmen“, unterbrach der Kobold die Lichtgestalt. „In den Büchern meines Bruders Artur steht geschrieben, dass Lianda die Schwester von Albaron war.“

      „Ach ja, das stimmt“, erklärte Meerlands Seele. „Doch Zassan liebte die Schwester des Königs so sehr, dass er sie entführte und mit seiner ganzen Sippe weit weg in ein abgelegenes Tal des Drachengebirges zog. Dort lebten sie verborgen vor den Häschern des Königs. Da Zassan und seine Sippe nicht mehr im Pantheon beten und heiraten konnten, brachten alle ihre Frauen nur noch Hoch-Elfen zur Welt. Diese Hoch-Elfen hatten ein sehr langes Leben, doch ihnen fehlte der Segen des Schöpfers. Nur der Oberste Priester im Pantheon konnte diesen Segen im Namen des Schöpfers aussprechen und er war nur für die Erz-Elfen bestimmt. Die Nachkommen der Hoch-Elfen wurden deshalb nur noch weiße Elfen. Da auch ihnen der Segen des Schöpfers fehlte, war ihre Lebensspanne noch kürzer. Schon viele Elfen versuchten deshalb, die Schattenseite der Magie zu nutzen, um ihre Lebensenergie zu stärken. Doch der Weg von der dunklen zur schwarzen Magie ist sehr kurz. Oft ist die Grenze fließend und man bemerkt nicht den Irrtum, den man gerade beging.“

      Meerland schaute traurig zu Orbin und Vinus. Dann seufzte er. „Ach nein, ich schweife ja von dem ab, was ich euch eigentlich erzählen wollte. Also, der König der Erz-Elfen ließ überall nach Zassan und seiner Sippe suchen. Doch das Tal lag weit weg und die Erz-Elfen hatten schnell andere Sorgen. Denn des Königs Bruder, Prinz Leanderich, wollte selbst König sein. Da die Schar seiner Anhänger groß war, forderte Leanderich Albaron heraus. So kam es zum ersten Elfenkrieg. Albaron besiegte Leanderich und hielt ihn in einem Turm gefangen. Seinen Bruder töten, das wollte der König nicht, denn das war gegen die Gesetze, die er selbst erlassen hatte. Aber da er befürchtete, das Leanderich von seinen Freunden befreit würde, betete Albaron im Pantheon. Er bat den Schöpfer, ihm sichere Wachen zu schicken, denn wenn Leanderich entfliehen konnte, so würde der nächste Krieg nicht lange auf sich warten lassen. Noch am selben Tag schickte der Schöpfer die Drachen. Sie sollten von nun an den Frieden bewahren. Doch Leanderich war listig. Es sang die Drachen in den Schlaf und entkam. Nach langer Suche fand er Zassan und seine Sippe. Mit ihnen wollte er in Frieden leben und nie wieder gegen seinen Bruder in den Krieg ziehen.“

      Orbin wurde jetzt ungeduldig. Er lehnte sich im Sessel zurück und zog die Luft hörbar durch seine Nase ein. Dann unterbrach er Meerland. „Meister, was ist an dieser Geschichte denn so wichtig? Das hat doch alles nichts mit mir zu tun. Zu dieser Zeit kann ich noch nicht gelebt haben, denn ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.“

      Meerland leuchtete jetzt hell auf. Das war ein sicheres Zeichen für den Zorn, der in ihm aufstieg. „Du kannst dich wohl überhaupt nicht mehr an deine Kindheit erinnern? Doch damit du es weißt. Du bist Leanderichs einziger Sohn und König Albaron war dein Onkel!“

      Orbin saß für einen kurzen Augenblick mit offenem Mund steif im Sessel und wurde immer blasser. Dann schüttelte er den Kopf und seinem Mund entfuhr wie von selbst eine Frage. „Wenn das wahr ist, wieso kann ich mich dann nicht daran erinnern?“

      Meerland wiegte seinen Kopf hin und her. Dann sprach er weiter. „Du warst gerade erst drei Jahre alt, da fanden Albarons Krieger mitten im Winter die Spur eines unvorsichtigen Jägers aus Zassans Sippe. Sie meldeten Albaron sofort, wo sich sein Bruder und dessen Freunde befanden. Mitten in der Nacht ließ Albaron das Lager seines Bruders angreifen. Ich selbst war ein Jüngling von fünfzehn Jahren. Deine Schwester und dich konnten Zassan und ich gerade noch in Sicherheit bringen. Doch dein Vater und deine Mutter fielen im Kampf. Ich brachte euch in die Wälder und ließ dich und deine Schwester von den Zwergen großziehen.“

      Orbin war aufgestanden. Er sah die Lichtgestalt vor sich an und konnte kaum glauben, was er da hörte. „Du sagst, ich habe eine Schwester? Wer ist sie und ist sie überhaupt noch am Leben?“

      Meerland grinste, als er antwortete. „Jetzt kommt der beste Teil deines einstigen Lebens. Deine Schwester ist die Feenkönigin Theodora und mein eigener Vater ist Zassan, der einstige Jagdmeister von Albaron. Da meine Mutter des Königs Schwester ist, ist dieser auch mein Onkel. Deine Schwester, du und ich, wir sind vom selben königlichen Blut.“

      Vinus mischte sich jetzt ein. „Ich kenne mich mit diesen alten Legenden der Erz-Elfen nicht so aus. Was ist aus dem König geworden? Für gewöhnlich seid ihr Elfen doch alle sehr auf Rache aus. Sie ist ein Teil eurer Gesetze.“

      „Das ist richtig“, stimmte Meerland dem Kobold zu. „Wir haben uns auch gerächt. Mein Vater Zassan erklärte mir die Regeln der Magie. Er erkannte schnell, dass alle Hoch-Elfen für die weiße Magie sehr begabt waren. Die Sippen der Erz-Elfen, die Albaron hassten, verbündeten sich mit meinem Vater und schon dreißig Jahre später gab es mehr Hoch-Elfen als Albaron zählen konnte. Der Zorn des Königs wuchs unaufhörlich und er befahl den Drachen, zusammen mit seinem Heer in den Krieg zu ziehen. Doch die Drachen weigerten sich. Sie rieten Albaron von seinem Vorhaben ab und zogen sich in die Berge zurück. Aber dadurch fühlte sich der König nur noch mehr verraten. An der Spitze seines Heeres zog er in die Schlacht. In dieser Schlacht traf er auf meinen Vater. Sie waren beide von Hass und Rache getrieben und sie ahnten wohl, dass die Zeit der Erz-Elfen vorbei war. Am Ende dieses furchtbaren Tages suchte ich das Schlachtfeld nach Ihnen ab. Mein Vater und der König Albaron lagen tot neben ihren Pferden. Der König hatte seinem einstigen Jagdmeister sein Schwert in die Brust gerammt und mein Vater hatte ihm mit seiner Jagdlanze aufgespießt. Ich werde diesen Anblick niemals vergessen. Die überlebenden Hoch-Elfen suchten überall, doch sie fanden keinen einzigen lebenden Erz-Elfen mehr. Albaron hatte sogar die Frauen und die Kinder mit in die Schlacht genommen und mein Vater hatte es ebenso getan. An diesem Tag gab es keine Sieger.“

      Orbin stöhnte auf. Seine Erinnerungen versuchten, mit aller Macht wiederzukommen. Doch etwas blockierte sie offenbar. Zitternd stand er vor dem Tisch und er drückte seine Hände gegen seine Schläfen. „Vinus hilf mir. Da ist etwas in meinem Kopf. Ich habe Schmerzen … ich habe … ich … äh …“

      Orbin verlor das Bewusstsein und brach zusammen. Der Kobold hatte Mühe ihn aufzufangen. Er legte ihn auf den Fußboden und sah eine kleine schwarze Rauchwolke aufsteigen. Sie verschwand sehr schnell, denn die Aura der Feenkönigin ließ keine schwarzen Geister in der Stadt zu.

      Meerland