Jork Steffen Negelen

Vinus und das Auge der Zyklopen: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 4)


Скачать книгу

tun würdest. Orbin muss sich heftig gegen ihn gewehrt haben, sonnst hätte dieser Geist ihn niemals freiwillig verlassen. Wahrscheinlich kommt er nicht weit. Die Aura wird ihn schnell zerstören. Wir müssen unseren Freund wieder aufwecken. Er kann uns vielleicht sagen, woher er diesen Geist hat.“

      Vinus winkte nur ab. „Unser Freund ist gleich wieder bei uns. Dieser Geist muss eine Art Absicherung von seinem ehemaligem Herrn Dämonicon sein. Ich habe vorhin schon gespürt, dass da noch etwas in ihm ist. Mit ein wenig Glück können nun seine Erinnerungen schnell zu ihm zurückkehren. Das hoffe ich jedenfalls.“

      Meerland stimmte dem Kobold zu. „Du hast recht. Orbin war früher ein zäher Bursche. Du solltest ihn wachrütteln und ihm etwas zu trinken geben. In dem Regal hinter dir findest du einige Flaschen mit leckerem Wein. Der ist zwar schon alt, aber er wird seinen Zweck erfüllen.“

      Vinus sah sich das Regal an und grinste. Er zog eine bauchige Flasche heraus und pustete den Staub herunter. Dann las er das Etikett. „Zwergenblut. Das muss wahrhaftig ein alter Wein sein. Ich werde ihn erstmal probieren.“

      Der Kobold zog mit aller Kraft den Korken aus der Flasche und nahm einen Schluck. „Oh, das ist ein leckerer Tropfen. So einen Kräuterwein habe ich ja noch nie getrunken.“

      Meerland sah Vinus zu, wie er Orbin mit der Hilfe des Weines wieder auf die Beine brachte. Er freute sich und kicherte leise. Seufzend setzte sich Orbin in den Sessel hinter dem Schreibtisch und sah sich im Schein der Kerze sein Gewand an. Es veränderte sich schon wieder. Aus der weißen Tracht eines weißen Zauberschülers war nun der rote Mantel eines Meisters der Nekromanten geworden. Auch sein Zauberstab hatte sich noch einmal verändert. Er war jetzt größer und der Kristall an seiner Spitze leuchtete heller als die Kerze. Seine Gestalt hatte nun die Größe und das Aussehen eines Hoch-Elfen.

      Meerland nickte zufrieden. „So ist es richtig. Orbin, du siehst jetzt wieder wie ein Mitglied des Zirkels der Nekromanten aus. Benutze deinen Zauberstab und du wirst dich an alles erinnern, was du jemals erlebt hast.“

      Orbin zauberte sich einen Spiegel herbei und betrachtete sich. Seine Mine hellte sich auf und er rief. „Schaut mich an, meine Freunde. Ich habe wieder meinen langen weißen Bart und die buschigen Augenbrauen. Sogar die silberne Kappe befindet sich auf meinem Haupt. Jetzt bin ich wieder ein richtiger Nekromant. Nun muss ich nur noch wissen, ob ich auch alle meine Erinnerungen in meinem Kopf habe.“

      Orbin schloss seine Augen. Er berührte mit seinem Zauberstab seine Stirn und kleine magische Blitze durchzuckten für einen Moment seinen ganzen Körper. Er legte den Zauberstab vor sich auf den Tisch und schlug die Augen auf. „Meine lieben Freunde. Es gibt doch nichts Besseres, als ein perfekt funktionierendes Gedächtnis.“

      Der Kobold klatschte in die Hände und Meerland schwebte eine Runde durch die Stube. Vinus trank noch einen Schluck vom Wein und rief. „Nun Orbin, jetzt sag uns, wie wir die gute Seele deines alten Meisters von diesem Ort erlösen können.“

      Orbin hob beschwichtigend die Hände. „Nicht so schnell, mein kleiner Kobold. Erst möchte ich noch erzählen, wie ich zum schwarzen Hexenmeister wurde. Das sollte Meerland wissen, bevor ich ihn in das Seelenreich der Elfen schicke. Ihr werdet beide staunen.“

      Vinus zog sich einen bequemen Stuhl zum Tisch und Meerland schwebte über ihm. Sie schauten beide wie gebannt zu Orbin. Der nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, tupfte sich mit einem Tuch den Wein von den Lippen und begann zu erzählen. „Also Freunde, ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich mit dir, Meerland, zu den Ruinen von Illwerin unterwegs war. Du hattest mich gebeten, dich zu begleiten. Zu dieser Zeit war der Zirkel der Nekromanten nicht mehr vollständig. Nur der erste Magier Albanarius und ich waren noch übrig. Du, Meerland, du wolltest ja nie in unseren Zirkel eintreten. Doch wir trafen uns mit Albanarius vor den Ruinen und vereinbarten mit ihm, ein Heer aufzustellen, um Dämonicon zu vernichten. Aber auf dem Rückweg nach Bochea liefen wir in eine Falle. Mich konnte der schwarze Zauberer mit der Hilfe einer Bande von hinterhältigen Erdtrollen lebend fangen, aber dich, Meerland, dich hat er im Kampf getötet. Du warst der schwarzen Magie dieses dämonischen Prinzen nicht gewachsen. Er war zu dieser Zeit so mächtig, dass selbst die Drachen ihn fürchteten. Dämonicon zerschmetterte deinen Körper an den Felsen des Drachengebirges und deine Seele floh zurück in dein Haus. Da ich ein Nekromant war, tötete er mich nicht. Er versklavte mich, in dem er aus mir einen Iht-Dag machte. Das heißt, ich war sein persönlicher Sklave, und ich musste ihm als schwarzer Hexenmeister dienen. Die weiße Magie war mir verwehrt und die schwarze Magie machte aus mir viele Jahre später einen Untoten. Dadurch konnte ich nur noch in der Nacht meinem Herrn dienen. Ich bekam eines Nachts von Dämonicon den Auftrag, die Stadt Darontyn auszuspähen. Ich sollte eine schwache Stelle in ihren Verteidigungsanlagen finden. Doch ich kam überhaupt nicht an die Stadt heran. Alfagil, ihr König, hatte mich schon vorher mit einer Gruppe seiner besten Krieger gestellt. Er trug einen geweihten Speer bei sich. Gegen die weiße Magie dieser Waffe konnte ich nicht lange ankämpfen. Sie sperrten mich in einen riesigen Krug ein. Den Deckel versahen sie mit einer eisernen Kette. Ich wurde in ein tiefes Loch gestoßen und mit einem sehr starken Bannfluch belegt. Dieser Alfagil war sehr schlau. Er hatte beim Kampf bemerkt, dass ich nicht sterben würde und mir deshalb dieses Schicksal auferlegt. Die ersten dreihundert Jahre habe ich ihn dafür verflucht, die nächsten dreihundert Jahre habe ich ihn nur noch verachtet und die letzten dreihundert Jahre habe ich dann verschlafen.“

      Meerland schwebte dicht an Orbin heran. „Mein alter Freund, ich bin nur eine Lichtgestalt und kann keine Tränen weinen. Doch wenn ich das könnte, so würde ich es tun und einen See mit ihnen füllen. An das, was du soeben erzählt hast, erinnere ich mich gut. Ich weiß jetzt, dass du mich beerben kannst. Beim ersten Strahl der Sonne öffnest du morgen früh alle Fenster und Türen dieses Hauses und sprichst für mich ein Gebet. Durch dein Gebet kann ich mich von diesem Haus trennen und in das Seelenreich der Elfen gelangen. Dann gehst du zu deiner Schwester und zeigst ihr einen Brief von mir. Du findest ihn zwischen den Seiten meines großen Buches auf dem Tisch. Gib ihr diesen Brief, sie muss ihn lesen. Darin steht, dass du mein Erbe bist.“

      Orbin erhob sich und blätterte im Buch, bis er den Brief fand. Er betrachtete das Siegel auf dem Pergament und sah zu Vinus. „Mein lieber Kobold, du wirst mich doch zu meiner Schwester begleiten?“

      Vinus lächelte und stimmte zu. „Mit dem größten Vergnügen, mein lieber Meister Orbin.“

      Der erste Schrei eines Hahnes ließ die drei Freunde aufhorchen. Das Tier war bestimmt nicht weit von Meerlands Haus auf dem Hof eines Händlers und kündigte recht laut den nahenden Sonnenaufgang an. Orbin steckte den Brief ein und Vinus nahm die Flasche mit dem Wein an sich. Dann verließen sie die geheime Schreibstube so, wie sie gekommen waren.

      In dem Raum daneben erwartete sie bereits Meerland. Er schwebte durch jede Ritze seines Hauses. Bei einem der Fenster konnten sie nach Osten sehen. Orbin zog die staubigen Vorhänge zur Seite und nur wenige Minuten später warf die Sonne ihren ersten Strahl hinein.

      Der Nekromant sah zur Lichtgestalt seines einstigen Meisters. Der lächelte ihm zu. „Nun öffnet die Türen und Fenster. Sobald das Gebet gesprochen ist, werde ich euch verlassen.“

      Schweigend stießen Orbin und Vinus alle Türen und Fenster auf. Die frische Luft durchströmte alle Räume und der Nekromant sank auf die Knie. Er richtete seinen Blick nach Osten zur aufgehenden Sonne und faltete seine Hände. Dann sprach er sein Gebet. „Oh Herr, der du mein Schöpfer bist. Deiner Gnade vertraue ich die Seele meines Herrn und Meisters Meerland an. Er hat dir bis zum Tod treu gedient. Ich bitte dich, lass ihn in das Seelenreich seiner Ahnen gehen. Ich schwöre dir dafür ewige Treue und ich werde dir immer dienen.“

      Die Strahlen der Sonne erfassten die Lichtgestalt und zogen sie aus dem Raum. Immer weiter entfernte sich Meerland von den beiden Freunden und das Letzte was sie von ihm hörten war sein Gruß. „Ich danke euch beiden und ich werde meinen Ahnen von euch berichten.“

      Langsam stand Orbin auf und Vinus stellte sich neben ihn. „Mein lieber Freund, ich glaube, nun bist du erst richtig wieder bei den Lebenden angekommen. Diesen Tag wird dir niemand aus deinem Gedächtnis stehlen können.“

      Als Meerland völlig verschwunden war,