Jork Steffen Negelen

Vinus und das Auge der Zyklopen: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 4)


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Die Königin saß an einem Tisch und lass in einem Brief, als Helena und Vinus hereinkamen. Ohne viele Umstände bat sie den Kobold, sich in einem bequemen Sessel zu setzen. Dann bot sie Vinus einen guten Wein in einem Kelch an und trank selbst einen Schluck.

      Helena hatte das Zimmer verlassen und der Kobold leerte den Kelch in einem Zug. Dann stellte er ihn auf den Tisch.

      Die Königin sah ihn aufmerksam an. „Mein lieber Vinus, dein Durst scheint nicht schwächer zu werden. Seid unserer letzten Begegnung ist sehr viel Zeit vergangen, doch du bist nicht um einen Tag gealtert. Ist das bei euch Kobolden so üblich?“

      In Vinus Kopf arbeiteten die Gedanken, doch er lächelte und antwortete der Königin. „Wir Kobolde sind von einer besonderen Art. Uns gibt es nur sieben Mal in dieser schönen Welt. Warum sollten wir es also eilig mit dem Alter haben. Das kommt bestimmt noch früh genug.“

      Die Königin sah auf den Tisch und zeigte mit einer Gänsefeder auf die vielen Briefe und Berichte, die vor ihr lagen. „Das alles sind Schriftstücke, die ich von Königen und Fürsten bekomme. Manche sind auch von Kaufleuten und Handwerkern. Sie alle berichten mir, was sich in dieser Welt zugetragen hat. Krieg, Frieden, Glück und unsägliches Leid sind da oft eng beisammen. Was dem einen Kaufmann Wohlstand bringt, das lässt den anderen Kaufmann arm werden. Viele möchten einen guten Rat von mir, oder sogar dringende Hilfe.“ Theodora sah dem Kobold in die Augen und sprach weiter. „Doch jetzt brauche ich selbst einen guten Rat und dringende Hilfe. Verstehst du das, Vinus?“

      Der Kobold holte tief Luft und zog ein Bündel aus seiner Manteltasche. Er wickelte es aus und der Becher des Schöpfers kam zum Vorschein. Vorsichtig stellte er ihn auf den Tisch. „Als ich vor langer Zeit von Euch ging, Königin Theodora, da wollte ich unbedingt der Wächter dieses edlen Gefäßes sein. Ich wollte ihn beschützen und dachte, wenn ich ihn hätte und nicht ihr, dann wäre Eure Macht nicht so groß und ihr könntet sie dann auch nicht falsch gebrauchen. Doch nun hat sich der Wein, der immer im Becher war, in Blut verwandelt. Ich bin also zu Euch geeilt, weil auch ich Rat und Hilfe suche.“

      Die Königin sah in den Becher und erschrak. „Seit der Zeit der ersten Feen ist dieser Becher in unserer Welt. Er hat dem durstigen Wanderer immer Wein gespendet, so wie der Feenbecher Wasser aus den heiligen Quellen unserer Grotte gibt. Wir Feen konnten früher die Wege des Schicksals genau vorherbestimmen, doch die Zeit der Orakel ist vorbei. Jetzt sind wir auf die Hilfe von weißen Elfen und Riesen angewiesen und wir können unsere Stadt nicht mehr selbst schützen. Wenn du mir den Becher des Schöpfers überlässt und ich ihn mit der Altartafel vereinen kann, wird sich meine Kraft so stark vermehren, dass ich wieder die Wege des Schicksals erkennen kann. Dann werde ich nicht nur eine Feenkönigin sein, dann bin ich viel mehr.“

      Sie sah den Kobold eindringlich an. „Verstehst du es? Ich werde wieder meine alten Kräfte haben und ein Orakel sein. Doch da ich es noch nicht bin, vermag ich dir auch nicht zu sagen, was den Wein des Bechers in Blut verwandelt hat. Es muss eine dunkle Macht dahinter stecken.“

      Vinus nickte bedächtig. „Wenn Ihr das Ritual des Schöpfers vollzogen habt und sich der Becher von selbst auf die Tafel stellt und wenn er wieder Wein von sich gibt, dann wird die alte Kraft der Feen zu Euch zurückkehren. Doch vorher habe ich noch eine Frage. Was war das vorhin für ein seltsamer Urteilsspruch?“

      Die Königin verzog das Gesicht, als hätte sie in etwas sehr saures gebissen. „Das war nichts weiter. Der Fürst und ich, na ja, wir haben da so eine kleine Meinungsverschiedenheit. Er ist der Anführer der Kriegergilde und der Wachen. Das bedeutet, dass er eigentlich auch als Richter die Urteile über die Verbrecher fällt. In letzter Zeit haben wir uns ein wenig gestritten. Aber ich halte ihn trotzdem für einen treuen Freund und vertraue ihm.“

      Vinus stand auf und sah zum Fenster. Es wurde langsam hell und er hatte seine Aufgabe erfüllt. Das war sogar schneller geschehen, als er es wollte. Sein Blick wanderte zum Becher auf dem Tisch und er spürte, dass es ein endgültiger Abschied von ihm war. „Königin Theodora, Ihr könnt den Becher behalten. Ich überlasse ihn Euch. Hoffentlich gehen Eure Wünsche in Erfüllung.“

      Mit einem gütigen Lächeln verabschiedete sich die Königin von dem Kobold. „Mein lieber Vinus, du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde gut auf den Becher achten. Das verspreche ich dir. Bleib in der Stadt, solange du willst. Ich lasse dir im Tempel ein Zimmer herrichten. In einigen Tagen ist Vollmond. Dann können wir das Ritual vollziehen und du wirst sehen, dass es nichts gibt, was dir Sorgen bereiten könnte.“

      Vinus dankte der Königin für ihre Worte, doch ein kleiner Zweifel blieb zurück.

       Die Geheimnisse der Stadt

      Der Kobold war von dem Wirtshaus in den Tempel umgezogen und bewohnte jetzt ein geräumiges Zimmer neben den Gemächern der Königin. Das gefiel ihm schon besser. Die weitläufige Tempelanlage war das Erste, was er sich an diesem sonnigen Tag in aller Ruhe ansah. Dabei begleitete ihn Prinzessin Helena.

      Im Garten stand zwischen einigen Bäumen und Sträuchern ein kleines Häuschen. Davor standen ein steinerner Tisch und eine steinerne Bank. Dort setzten sie sich hin und ließen sich von den Dienerinnen der Königin bewirten. Diese Dienerinnen waren ebenfalls Feen. Mit ihren langen weißen Gewändern schienen sie zu schweben und mit ihrem lieblichen Lächeln hatten sie wohl schon so manchen Gast des Tempels in ihren Bann gezogen.

      Vinus beachtete sie kaum, denn er betrachtete immer wieder den Tisch und die Bank. Dann schüttelte der Kobold verwundert den Kopf. Er rückte sich seinen dreieckigen Hut zurecht und fragte schließlich die Prinzessin nach der Herkunft dieser sonderbaren Möbel.

      Helena lachte, denn sie fand den Kobold einfach lustig. Dann beantwortete sie seine Frage. „Diese beiden Dinge stehen hier schon immer. Sie sind älter als die Stadt, denn sie stammen aus der Zeit der Erz-Elfen.“

      Vinus war erstaunt. „Ach wirklich, von diesen Erz-Elfen habe ich schon in den Büchern meines Bruders Artur gelesen. Waren die nicht unsterblich?“

      Helena nickte und zeigte mit einer Gabel auf die Bank. „Hier haben sie einst gesessen und genau wie wir gegessen und getrunken. Viele sagen, es wäre eine schöne Zeit gewesen. Doch ich habe im Archiv unseres Tempels die Schriften über diese Erz-Elfen gelesen und ich sage dir, sie haben sich gestritten und bekämpft. Es ging, wie immer, um Macht und Liebe. An dieser Zeit war nichts schöner oder gar besser als an unserer Zeit. Einige von ihnen waren mächtige Magier. Sie zeugten viele Nachkommen und zogen in zahlreiche Kriege. Am Ende haben sie sich dann gegenseitig vernichtet. Übrig geblieben sind nach den Kriegen nur noch einige ihrer Nachkommen. Das waren die Hoch-Elfen. Sie waren nicht mehr so mächtig und die meisten kannten auch nicht mehr das Geheimnis der Unsterblichkeit. Sieben weiße Männer dieser Hoch-Elfen überlebten alle Kriege. Sie wurden zu Zauberern und sollen sich in einem magischen Zirkel vereint haben. Keiner weiß noch, ob das wahr ist. Doch von den Hoch-Elfen stammen die weißen Elfen ab und auch wir, die weißen Feen. Viele nehmen an, dass wir unsterblich sind. Doch das stimmt nicht. Wir werden nur verdammt alt.“

      Vinus zerteilte mit seinem Messer einen Apfel und gab eine Hälfte der Prinzessin. „Ich würde gern noch ein wenig mit dir durch die Stadt gehen und mich in ihrer Umgebung etwas umsehen. Möchtest du mitkommen, Helena.“

      Die Prinzessin schüttelte den Kopf und ihr weißes, lockiges Haar flog durch die Luft. „Nein, das geht nicht. Ich muss nach meiner Mutter sehen. Bestimmt hat sie wieder eine Aufgabe für mich.“

      Das verstand Vinus gut. „Ich weiß, du hast viele Pflichten zu erfüllen. Ich werde mich also allein auf den Weg machen. Bis zum Abend bin ich im Tempel zurück. Dann können wir ja noch einen guten Tropfen trinken.“

      Helena lachte, doch ihre Augen verrieten dem Kobold ihre heimlichen Sorgen. Sie ließ den Kobold allein im Garten zurück. Kaum war sie gegangen, da rückte Vinus sich seinen Hut auf seinem Kopf zurecht und flüsterte vor sich hin. „Diese Feen denken wohl, sie können einen Kobold zum Narren halten. Selbst dieser Barbaron würde sie sofort durchschauen und erkennen, dass hier so einiges nicht stimmt. Jetzt sehe ich mir die Stadt an. Bestimmt finde ich einen Hinweis. Ich muss nur gründlich genug suchen.“

      Der