sie gar nichts“, konterte Erna und legte auf.
Was für ein verrückter Tag, leider kein Aprilscherz.
NETZANBIETER
Obwohl Erna schon einige Jahre Rentnerin war, hatte sie die Exaktheit, die ihrem Charakter eigen war, beibehalten. Nun musste sie zu einer Operation ins Krankenhaus. Um den gewünschten Erfolg zu erzielen, war sie danach viele Wochen so gut wie bewegungsunfähig. Ihre Kinder wohnten einige hundert Kilometer weiter. Daher war von ihnen höchstens mal ein Wochenendbesuch zu erwarten. Dass sie noch öfter E-Mails schreiben oder telefonieren würden als sonst, war selbstverständlich. So organisierte Erna bei Verwandten, Freunden und Bekannten ihr Leben nach dem Krankenhausaufenthalt. Tiefkühlfächer und der Kühlschrank waren voll. Dosen mit fertigen Suppen und Gemüse warteten auf den Verzehr. Erna wollte fremde Hilfe nur in Anspruch nehmen, ließe es sich nicht vermeiden.
Sie legte ein Blatt Papier bereit, auf dem sie alles aufschrieb, was sie erledigen wollte. Systematisch wurden die Punkte abgearbeitet.
Erna glaubte, an alles, was vorausschaubar war, gedacht zu haben, nur an eines nicht; nämlich, dass man als moderner Mensch beim heutige Stand der Technik zwei Telefone braucht. Sie war immer Kundin beim Anbieter IMMER GUT VERBUNDEN. Doch dann wurde er ihr zu teuer und sie wechselte zu PREISWERT GLÜCKLICH. Nach Anfangsschwierigkeiten klappte es. Seit etlichen Tagen war sie wieder zu Hause, als eine Freundin ganz aufgeregt auf ihrem Handy anrief: „Was ist los, brauchst du Hilfe?“
Erna verstand die Frage nicht. Schließlich erfuhr sie, dass sie auf ihrer Festnetznummer nicht erreichbar wäre. Nun staunte Erna. Seit Jahren hatte sie diese Nummer. Probleme gab es nie. Außerdem hatte sie vor ein paar Minuten gerade noch damit telefoniert. Sie wusste noch nicht, dass es mit diesem Telefon und der Nummer ihr letztes Gespräch gewesen sein sollte.
„Mach dir keine Sorgen“, tröstete sie die Freundin, „ich kümmere mich darum. In der Zwischenzeit kannst du mich auf dem Handy anrufen, da gibt es ebenfalls eine Festnetznummer.“
Erna suchte die Nummer des Kundenservices von PREISWERT GLÜCKLICH. Aus dem Festnetz sollte die Minute vierundzwanzig Cent kosten.
„Bezahlen für eine Störungsmeldung? Erna, was hast du da wieder angestellt?“, fragte sie sich selbst. Sie griff zum Telefon und wählte die Nummer. Aber es gab weder ein Frei- noch ein Besetztzeichen und auch keine Verbindung. Leicht verärgert starrte sie das längliche Kästchen in ihrer Hand an. „Wohl altersschwach“, murmelte sie. „Es geht doch nichts über eine E-Mail“, schaltete den Computer ein und wollte die Verbindung zum Internet herstellen. Der Bildschirm zeigte an: „Kein Internet, keine Telefonie, überprüfen sie ihre Anschlüsse.“
Erna wusste, dass bei ihr alles in Ordnung war. Man konnte nichts falsch machen, weil sonst die Stecker nicht passten und bestimmte Lampen auf der DSL-Box nicht leuchten würden. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als die Störung über ihr Handy zu melden. Kaum hatte sie die Vorwahl gewählt, erklärte ihr ein Ansagetext, dass die Minute 89 Cent kostet.
„Möchten sie trotzdem verbunden werden, dann drücken sie die Eins. Möchten sie das Gespräch beenden, drücken sie die Zwei.“ Obwohl Erna erst mal schluckte, wollte sie verbunden werden.
Es folgte eine weitere Computeransage: „Möchten sie Hinweise zu unseren Produkten, können sie sich selbst informieren über www…, haben sie Fragen zu ihrem Vertrag, möchten sie eine Störung melden oder gibt es Beanstandungen zu ihrer Rechnung, dann sagen sie bitte Produkte, Vertrag, Störung oder Rechnung.“
„Störung“, sagte Erna.
„Störung, ist das richtig? Sagen sie ja oder nein.“
„Ja.“
„Damit ich sie mit dem richtigen Mitarbeiter verbinden kann, sagen sie bitte ihre Telefonnummer an. Sie können sie auch mit der Tastatur eintippen.“
Erna sagte klar und deutlich ihre Telefonnummer: „0340 212223.“ Danach entstand eine Pause, die ihr ewig erschien. Dann fragte die freundliche, immer gleichbleibende Computerstimme: „Ihre Nummer ist 0349 212229. Sagen sie ja oder nein.“
„Nein.“
„Bitte wiederholen sie ihre Nummer.“
Diesmal sprach Erna noch langsamer.
„Ihre Nummer ist 0304 232129. Sagen sie ja oder nein.“
Innerlich kochte Erna. Trotzdem sagte sie ganz beherrscht: „Nein.“
„Tippen sie bitte ihre Nummer mit der Tastatur ein.“
Erna tippte: 0340212223.
„Ihre Nummer ist 0030 423129. Sagen sie ja oder nein.“
„Nein.“
„Dann ist das Gespräch damit beendet.“
Dagegen konnte sich Erna nicht wehren. Die Verbindung war unterbrochen. Sie registrierte die Anzeige auf dem Display. Dreizehn Minuten hatte der Unfug gedauert, dreizehn Minuten mal neunundachtzig Cent.
Aber das Telefon musste doch in Ordnung kommen. Nur wenige kannten ihre Handynummer und die andere Festnetznummer außer der Freundin niemand. Sollte sie es gleich noch einmal probieren oder warten? Sie entschied sich für das Letztere, denn sie wollte zuerst ihr aufgewühltes Gemüt beruhigen.
Beim nächsten Versuch hatte sie mehr Glück. Es begann wie bereits beschrieben. Ihre Nummer wurde nach der ersten Durchsage gleich erkannt und die Verbindung mit einem Mitarbeiter klappte. Er versprach ihr, die Störungsstelle zu informieren. Da sie trotzdem keine Internet- und Telefonleitung bekam, rief sie jeden zweiten Tag bei PREISWERT GLÜCKLICH an und jedes Mal wurde durch die Computeransage ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Die Damen und Herren am anderen Ende der Leitung waren sehr freundlich und höflich und versprachen immer schnelle Hilfe, die nach drei Wochen in Form eines Mitarbeiters von IMMER GUT VERBUNDEN erschien und feststellte, dass die Leitungen und alle Anschlüsse in Ordnung waren.
Telefon und Internet schwiegen weiter.
PREISWERT GLÜCKLICH schaffte es nicht, den Fehler zu finden. Was sollte, was konnte Erna tun? Ihr wurde klar, dass IMMER GUT VERBUNDEN das Monopol für die Leitungen besaß. Diese Firma konnte alle anderen Netzanbieter erbarmungslos verhungern lassen, von wegen mehr Wettbewerb durch mehr Anbieter!
Erna widerstrebte es, aber sie kündigte bei PREISWERT GLÜCKLICH und stellte einen Antrag bei IMMER GUT VERBUNDEN. Sie hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und immer pünktlich ihre Rechnungen bezahlt. So könnte in wenigen Tagen die Zeit des kommunikativen Schweigens vorbei sein.
Denkste Erna!
Anscheinend hatte sich IMMER GUT VERBUNDEN vorgenommen, ihr einen Denkzettel zu verpassen, um bei ihr ein für alle Mal weitere Wechselabsichten im Keime zu ersticken.
Wochen vergingen.
Sie mahnte öfter beim Kundendienst die Erledigung ihres Auftrages an und wies auf ihren Gesundheitszustand hin. Mit der Gelassenheit eines Schafes, das zur Schlachtbank geführt wird, ließ sie die Computeransagen über sich ergehen. Irgendwann hatte sie das Warten satt und sie schrieb den Vorstand des Unternehmens an. Dieser faselte in seiner Antwort etwas von zufriedenen Kunden und sie möchte sich noch ein wenig gedulden. Die Fachleute wären bereits informiert.
Wie lange dauerte ein wenig?
Während der ganzen Zeit des Mahnens und den Kampf gegen sich selbst, bei solcher Misere nicht aus der eigenen Haut zu fahren, setzte sich ein Gedanke in ihrem Kopf fest. Auf ihrem Handy gab es eine Festnetznummer. War es möglich, ohne Leitung ins Internet zu kommen? Dann sollte ihretwegen IMMER GUT VERBUNDEN darauf sitzen bleiben und verschmoren. Nie wieder brauchte sie sich schikanieren zu lassen und andere Netzanbieter auch nicht.
Aber wen konnte sie fragen? Würde sie sich dabei nicht ganz erbärmlich blamieren? Der Gedanke bohrte und bohrte und die Frage verlangte nach einer Antwort. Ihren ganzen Mut zusammennehmend rief sie den Netzanbieter ihres Handys an.
Fünf