Urschitz Josef

Stillstand


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AK, ÖGB, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer und bei der ÖVP zusätzlich die drei großen Bünde Bauernbund, Wirtschaftsbund und ÖAAB Einfluss nehmen. Ein Abgeordneter ist also primär diesen Organisationen gegenüber verantwortlich und muss darauf achten, die Interessen seiner „Entsender“ zu vertreten, wenn er sich bei der nächsten Wahl wieder an wählbarer Stelle finden will. Zusätzlich ist er der sogenannten „Fraktionsdisziplin“ unterworfen, darf also sein freies Mandat, das er vom Wähler angeblich erhalten hat, gar nicht ausüben. Der Wähler selbst hat so gut wie keine Möglichkeit, diese Listen zu beeinflussen. Die wenigen Ausnahmen, in denen Vorzugsstimmenkampagnen zu signifikanten Umreihungen geführt haben, bestätigen eher diese Regel.

      Die Auswahl der Regierungsmitglieder läuft nach demselben Schema. Allein dieses Auswahlverfahren garantiert, dass Regierungsmitglieder bei Reformen, die Kerninteressen der Länder oder der Sozialpartner treffen könnten, völlig chancenlos sind. Das Problem bei einer derartigen Konstruktion: Die eigentliche Macht liegt nicht bei einer Bundesregierung, welche gesamtstaatliche Interessen zu vertreten hat, sondern bei Teilorganisationen, die die Interessen ihrer Klientel im Blick haben und diese jedenfalls vor das gesamtstaatliche Interesse stellen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Die Sozialpartner etwa sind ja dazu da, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Zumal diese überwiegend (mit Ausnahme der Gewerkschaft) Zwangsmitglieder sind und gar keine Wahl haben. Und dass ein Landeshauptmann primär die Interessen seines Landes vertritt, kann man ihm auch nicht wirklich übel nehmen.

      In einem gesunden politischen System würde eine Regierung diese Partikularinteressen selbstverständlich berücksichtigen und bewerten. Dann aber in ein Gesamtkonzept einbringen, in dem das gesamtstaatliche Wohl im Vordergrund steht. Auch wenn das die Interessen einzelner dieser Lobbygruppen tangiert. In so einem System wären umfassende Reformen, die auch in die Strukturen eingreifen, kein großes Problem. In einem sklerotischen politischen System wie dem österreichischen funktioniert das jedoch nicht. Ein solches System führt, wie wir das anhand der Theorie der institutionellen Sklerose von Mancur Olson schon festgemacht haben, zwingend zu gegenseitigen Blockaden.

      Das Ergebnis ist Reformstau. Wie groß der Stau schon geworden ist und wie schnell der Pegel steigt, zeigt die Geschichte der Reformempfehlungen des Rechnungshofs. Dessen damaliger Präsident Josef Moser hatte erstmals 2009 ein rund 400 Vorschläge umfassendes Vorschlagspaket für eine dringend notwendige Verwaltungsreform geschnürt. Die überarbeitete Neuauflage 2011 enthielt dann die berühmt gewordenen 599 konkreten Vorschläge für die Umsetzung dieser Verwaltungsreform. Als Moser fünf Jahre später in Pension ging, war die Zahl der Vorschläge auf mehr als 1000 angewachsen. Umgesetzt war von den ursprünglichen Vorschlägen wenig. Politiker sehen das freilich anders: Nationalratspräsidentin Doris Bures hatte vor einiger Zeit einmal öffentlich erklärt, sie verstehe die Aufregung um die Rechnungshofvorschläge grundsätzlich nicht. Schließlich setze die Regierung 80 Prozent der Empfehlungen dieses parlamentarischen Kontrollorgans um. Das stimmt. Allerdings betrifft die Umsetzung überwiegend Kleinigkeiten aus Randbereichen. Die wirklichen Reformvorschläge, die, die in die Tiefe der Strukturen gehen, greift niemand an. Und wenn ein Regierungsmitglied einmal vorwitzig wird, wie beispielsweise der Finanzminister beim jüngsten Finanzausgleich, holt es sich bei der Betonfraktion mit einiger Sicherheit einen blutigen Kopf.

      Dabei wäre gerade dort das große Geld beziehungsweise der große Kick für die Wirtschaft zu holen. Man müsste nicht einmal die Welt neu erfinden. Detaillierte Vorschläge für eine Modernisierung des Staates liegen zuhauf in den diversen Regierungsschreibtischladen herum. Man müsste sie nur herausziehen und umsetzen. Schließlich war der Rechnungshofpräsident ja nicht der Einzige, der sich Gedanken über die notwendige große Staats- und Verwaltungsreform gemacht und vor dem Weg in die Pension noch 1007 Vorschläge dafür hinterlassen hat. Es gibt auch ein umfassendes Reformkonzept des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO. Es gibt detaillierte Reformvorschläge von anderen Wirtschaftsforschungsinstitutionen. Es hat noch unter Schüssel einen Staatskonvent gegeben, von dem so gut wie alle Reformvorschläge unverwirklicht geblieben sind. Und es haben ein paar von den jeweiligen Regierungen eingesetzte Reformkommissionen sowie Kommissionen zur Evaluierung der Arbeit dieser Reformkommissionen gewerkt. Nur: Geschehen ist halt leider so gut wie nichts. Es war im Prinzip nicht mehr als teure Beschäftigungstherapie für Wirtschaftsforscher und regierungsnahe Experten.

       Es geht um viele Milliarden

      Dabei geht es um viel Geld. Je nach Reformkonzept wird die theoretisch mögliche Gesamteinsparung auf insgesamt zehn bis 25 Milliarden Euro geschätzt. Letzteres entspricht ungefähr den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer oder der Lohnsteuer, also der beiden größten Steuerpositionen im Land. Nur zum Vergleich: 15 Milliarden müsste man einsparen, um die abenteuerlich hohe Steuer- und Abgabenquote auf deutsches Niveau zu senken. Das ist durchaus nicht utopisch. Immerhin erzielten die Deutschen mit einer Steuer- und Abgabenquote von 40 Prozent in den vergangenen Jahren permanent Budgetüberschüsse, während die Österreicher mit einer um fast 5 Prozent höheren Quote nicht das Auskommen fanden und die Budgetlöcher mit immer höheren Schulden stopfen mussten. Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass die Deutschen mit der „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ einen Teil der Ausgabenreformen, die Österreich schon so lange unerledigt vor sich herschiebt, bereits vor 15 Jahren durchgezogen haben. Es ist nun einmal so, dass man strukturelle Ausgabenprobleme nicht durch Schulden und höhere Einnahmen, sondern nur durch Eindämmung der Ausgaben lösen kann. Etwas plastischer: Es hilft herzlich wenig, in ein mit Löchern übersätes Fass immer mehr Wasser hineinzuschütten. Wenn man die Löcher nicht stopft, wird es immer wieder herausrinnen.

      Kritiker der vorliegenden Reformvorschläge meinen, die genannten Einsparungssummen seien Maximalwerte und völlig unrealistisch. Zumindest auf kurze Sicht kann man dem zustimmen, denn viele der strukturellen Reformen würden erst mittel- oder langfristig spürbare monetäre Auswirkungen zeigen. Das ist aber noch kein Antireformargument. Denn erstens gibt es auch Bereiche – etwa das aus den Fugen geratene Förderwesen –, in denen kurzfristig sehr viel Geld freizuspielen wäre. Zweitens: Selbst wenn man in einer ersten Stufe nur 10 Prozent des Potenzials realisieren würde, wären das bis zu 2,5 Milliarden Euro. Eine Summe, mit der man schon sehr viel Zukunftsträchtiges anfangen kann. Von der wirtschaftsbelebenden Wirkung, die ein Zurückstutzen der Bürokratie auf ein vernünftiges Maß hätte, reden wir da noch gar nicht.

      Man muss nur einmal anfangen. Das Problem ist natürlich, dass vor der Sanierung der zahlreichen Reformbaustellen eine sinnvolle Baustelleneinrichtung stehen muss: nämlich eine grundlegende Föderalismusreform und eine Neupositionierung der Sozialpartner. Der mit Abstand schwierigste Part kommt also zuerst. Denn dass Länder und Sozialpartner plötzlich im Sinne des gesamtstaatlichen Interesses agieren und zu diesem Zweck auch den einen oder anderen Nachteil für ihre eigene Kernklientel in Kauf nehmen würden, ist eher nicht sehr realistisch.

      Nehmen wir trotzdem an, dass Sozialpartner, Länder und Regierung aus Staatsräson ausnahmsweise an einem Strang ziehen, dann sind folgende Baustellen abzuwickeln:

       Der Staatshaushalt ist zu sanieren. Österreich gibt, wie schon erwähnt, seit mehr als 40 Jahren permanent mehr aus, als es einnimmt. Und das, obwohl die Steuerquote von Rekord zu Rekord eilt und die Steuerbelastung im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Es ist ein Hase-Igel-Problem: Wo immer die Einnahmen hinkommen, die Ausgaben sind schon dort.

       Die Verwaltung ist zu straffen. Österreich hat die Verwaltungsstruktur eines Großreichs in die Republik herübergerettet und beim EU-Beitritt noch eine Verwaltungsebene oben draufgepappt bekommen, ohne unten eine wegzuschneiden. Das ist teuer und wirtschaftshemmend. Bürokratie hat die Tendenz, neue Bürokratie zu erzeugen. Das Ergebnis ist eine wirtschaftslähmende Gesetzesflut.

       Das Steuersystem ist umfassend zu reformieren. Es ist belastend und wenig zukunftssicher, weil es sehr stark auf der Besteuerung menschlicher Arbeit beruht, die im Zuge der kommenden Digitalisierung schrumpfen wird. Kommt es nicht zu neuen Schwerpunktsetzungen, wackelt das gesamte Sozialsystem.

       Dieses Sozialsystem ist sehr gut ausgebaut, im internationalen Vergleich aber sehr teuer. Und es ist voll mit Fehlanreizen, wenn es etwa über Sozialleistungen Sogwirkung auf Armutseinwanderung ausübt oder zu