mich verzweifelt fragen.
Der Herr Verleger schaut aus dem Fenster, dann zu mir, danach in eine Zeitschrift, die er vor sich aufgeschlagen hat. »Haben Sie sich schon einmal die Bestsellerlisten angeschaut, Jischinski?«
»Nein. Das mache ich ganz bewusst nicht, um mich nicht unter einen kommerziellen Druck setzen zu lassen und dem Mainstream will ich auch nicht blind folgen. Ich will mit meinem Herzen schreiben.«
Er mustert mich wie etwas, das er nach einem carnivorischen Festmahl aus seinen Zahnzwischenräumen pult.
»Jischinski, sind Sie wirklich so naiv? Mit dem Herzen schreiben! Nun hören Sie doch auf! Schauen Sie sich einmal an, was wirklich gelesen wird! Erotik, Kochbücher, Krimis, phantastische Bücher und Tiere. Tiere gehen auch immer. Sie könnten mit Ihrem Psychogedöns was über die Psyche der Hunde schreiben. Oder machen Sie was im Ratgeberbereich. Sport und so. Die Leute werden immer fetter. Was aber kein Wunder ist. Erst kaufen sie sich die Kochbücher und fressen wie blöde, dann geht es in die Lifestyle- und Sportabteilung und als letzte Hoffnung bleibt die Erotik in Gedanken, die sie in einem Heim unter Fetten nicht mehr haben.«
Ich sehe durch ihn hindurch.
»Jischinski? Was ist nun mit Sport und Tieren? Haben Sie da was?«
»Ich könnte mir auch einen Hund zulegen und mit ihm Synchronschwanzwedeln üben. Wenn ich dann noch schreibe, dass mir das dabei hilft, meine Komplexe zu verarbeiten, mit Frauen zu kommunizieren, könnte das was werden.«
Der Verleger schaut nachdenklich an die Decke. »Hört sich interessant an. Können Sie auch Krimis?«
»Ich habe da schon länger eine Idee. Ein Gera-Krimi.«
»Ach du heilige Scheiße! Hören Sie bitte damit auf. Das liest kein Mensch. Ich habe mal ein Bild von der Oberbürgermeisterin gesehen, da kam mir der Jugendweihekaffee hoch. Wie heißt die gleich? Kapaun?«
»Hahn.«
»Hm. Ist ja auch egal, irgendwas ohne Eier halt. Aber die musst du in einem politischen Amt haben! Und als Schriftsteller übrigens auch, Jischinski! Und da wir gerade bei Eiern sind. Wie steht es mit Erotik oder Kochbüchern?«
»Ich glaube, dass Erotik nicht so mein Ding ist.« Während ich das sage, überlege ich, mir ein Pseudonym zuzulegen und dann richtig vom Leder zu ziehen. »Angus Cock« schreibt den Bestseller »Die Sakrale Pforte« über den schwulen Geistlichen Helmut Wimmerl, der sein Comingout während einer Trauung erfährt und sich unsterblich in den Bräutigam verliebt. Der Messdiener Fred Sauerbier wird eifersüchtig, verliebt sich auch in den Bräutigam, der aussieht wie Westerwelle und zu dritt treten sie in die FDP ein. Den Schluss sollte ich vielleicht noch überdenken, aber der Plot steht. Der Verleger inzwischen auch. Er stützt sich auf den Schreibtisch und kommt mit seinem Gesicht ganz nah zu mir. Ich kann seinen widerlichen Raucheratem riechen, während er flötet:
»Krimi geht nicht und Erotik auch nicht. Können Sie mit einem Kochbuch dienen? Macht heute eigentlich jeder Idiot. Für eine Autobiographie sind Sie noch zu jung. Außerdem haben Sie nichts zu erzählen. Also, was kochen Sie so? Oder backen Sie? Weihnachten ist ja bald.«
»Meine Mutter ist Bäckerin!«, entfährt es mir hoffnungsvoll.
»Jetzt lassen Sie aber mal Ihren Mutterkomplex beiseite und beantworten Sie mir meine Fragen.«
»Ja, ich kann backen und kochen.«
»Dann schreiben Sie was darüber. Handwerklich sauber und nachvollziehbar. Dann schauen wir mal, ob es was taugt. Mögen Sie etwas ganz besonders?«
»Ja! Für Granatsplitter könnte ich töten!«
Der Verleger sitzt nun wieder, hat sich einen Stift aus einem Köcher geangelt und kaut darauf herum.
»Jischinski, ich habe da eine Idee. Den Titel haben Sie gerade gesagt und dann machen Sie sich an ein politisches Kochbuch. Ganz aktuell, die NSA unter den Kochbüchern gewissermaßen. Rezepte für Amerikaner, die Sie auf einen Kameruner legen und schließlich backen Sie einen Granatsplitter, damit es kracht. Und wenn Sie den Granatsplitter noch im Teigmantel kreieren, haben Sie einen muslimischen Schläfer. Der Schiite sozusagen. Die Leipziger Lerche können Sie mit einem Berliner unterbuttern und so weiter.«
Er schaut mich streng an. »Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich der Schriftsteller oder ich? Ich liefere Ihnen hier Ideen für echte Bestseller und Sie schweigen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich mache dann doch das mit dem Hund«, höre ich mich sagen, während ich mich erhebe.
»Wie auch immer«, sagt mein Verleger, »die Abrechnung für das erste Halbjahr der gedruckten Bücher kommt nächste Woche per Post und die E-Book-Abrechnung habe ich hier … Moment … «
Er wühlt in seinen Papieren. »Ein Euro Sechsundsechzig! Was sagen Sie nun?«
»Ich nehme den Granatsplitter.«
Auf der Suche nach dem Bestseller
Der Herr Verleger ruft an.
»Na, Jischinski, wie geht es mit dem neuen Projekt voran?«
Ich, noch erschrocken über das Klingeln des Telefons und mich langsam auf dem Sofa aufsetzend: »Geht so. Bin gerade bei der genauen Figurenentwicklung. Aber der Plot steht, und die ersten Seiten sind auch schon fertig.«
Auf dem Rechner schaue ich auf das Blinken eines schmalen schwarzen Striches auf einem weißen Blatt Papier ganz oben links.
»Ich habe nochmal nachgedacht über das kundenorientierte Schreiben!«, brüllt der Verleger durch den Hörer.
«Und?«, frage ich, weil ich das Gefühl habe, dass ich in dieser Pause etwas sagen muss.
»Wir müssen uns mehr auf die Zielgruppen einstimmen. Also, wer liest eigentlich unsere Bücher?«
»Frauen!«, entfährt es mir in der Hoffnung, fünfzig Prozent aller Konsumenten auf einen Streich zu erschlagen. Ich kann das Stirnrunzeln des Verlegers durch das Telefon hören.
»Jischinski, so platt geht das nicht. Wir müssen schauen, ob wir die multioptionale, effizienzorientierte Leistungselite, das adaptiv-pragmatische Milieu, die liberal-intellektuelle Bildungselite mit postmateriellen Wurzeln oder doch eher die spaß- und erlebnisorientierte untere Mittelschicht erreichen wollen.«
Ich starre auf den Bildschirm und finde nun auch durch meinen Mund keine Worte mehr.
»Jischinski, wir müssen die Zielgruppe so segmentieren, dass sie möglichst gleichartige Reaktionen auf unsere Marketingmaßnahmen zeigen, denn nur so ist erfolgreiches Produzieren, Publizieren und Vermarkten möglich!«
»Manchmal glaube ich, dass Sie der Einzige sind, der meine Bücher liest. Und sie auch noch mag«, entfährt es mir schon leicht bedrückt.
»Papperlapapp, Jischinski, ich habe in den letzten drei Monaten eins von Ihren Büchern verkauft. Es gibt da schon noch welche, die solche Bücher lesen, da draußen in der Milieuwelt.«
»Hmm, nur wissen wir nicht, wer. Sollte ich nicht für möglichst alle lesenden Zielgruppen schreiben? Also im Grunde für Frauen?«
»Sie immer mit den Frauen, Jischinski! Glauben Sie denn, dass Männer nicht lesen?«
»Ich habe neulich mit einer Freundin gesprochen, die mir erzählt hat, dass ihr Freund, wenn er überhaupt mal Zeit hat, Sport macht, sie befummelt oder Fernsehen schaut. Zeit der Komplentation verbringt er damit, dass er isst oder aber auf dem Sofa liegt und einen fahren lässt. Für das Lesen ist da kaum Raum und Zeit.«
»Aber Jischinski, wir reden doch hier über die Bildungsbürger, nicht über die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht!«
Nun runzle ich die Stirn. »Sie sollten bedenken, dass wir Männer aus Frauensicht ALLE zu dieser Schicht gehören!«
»Da könnten Sie Recht haben, Jischinski. Schreiben Sie halt was für das klassische Establishment