Erwachsener. Der wahre Ernst des Lebens begegnet mir allerdings wenig später an der Kasse. Ich lege meine Einkäufe auf das Band, und nachdem mich der Blick der hinter mir wartenden Rentnerin lange genug gestraft hat, teile ich meine Waren von den ihrigen mit so einem Teil ab, für das es nicht einmal einen anständigen Namen gibt. Auf jeden Fall ist Zigarettenwerbung drauf. Also möglicherweise handelt es sich um ein Kippenkantholz oder einen Tabakriegel.
Dann komme ich an die Reihe. Die Kassiererin schiebt alles brav über den Laser und Piep um Piep wird die Rechnung länger.
Sie teilt mir den Zahlbetrag in einer Lautstärke mit, die auch jemand vernehmen kann, der sich am anderen Ende des Marktes mit dem Kopf voran in der Tiefkühltruhe nach einer Pizza reckt.
Ich gebe ihr meine EC-Karte, die sie flink durch ihr Gerät zieht und sie legt mir einen Zettel zum Unterschreiben hin. Ich unterschreibe, packe meine Sachen zusammen, in Gedanken schon gar nicht mehr im Laden.
Sie aber schaut auf meine Karte und vergleicht die beiden Unterschriften. Wieder und wieder. Dann sieht sie mich missbilligend an. »Die ähneln sich aber nicht sehr!«
»Na und? Sind Sie Graphologin und verdienen sich hier nur was dazu?«
»Jetzt werden Sie mal nicht frech! Die beiden Unterschriften gleichen sich nicht annähernd. Schauen Sie doch mal!«
Und schon hält sie der Alten den Zettel vor die brillenbewachten Augen. Ich denke noch, dass diese Gläser definitiv durchschusssicher sind, da erkenne ich ganz weit hin-Ter den Gläsern zwei winzige, auf mich gerichtete Augen.
»Stimmt!«, krächzt die Alte.
Wo bin ich denn bitteschön gelandet? Eine Discountfachkassiererin und eine Rentnerin bezweifeln die Richtigkeit meiner Unterschrift! Wahrscheinlich werden sie noch die übrigen im Markt zu findenden Passanten befragen, und wenn sie sich zu einem endgültigen Urteil durchgerungen haben, wird weißer Rauch über dem Discounter aufsteigen! Vielleicht doch nicht mehr zum Billigladen? Sollten es mir die paar Cent in Zukunft wert sein?
»Was machen wir denn nun?«, frage ich die Kassiererin, die meine Karte noch immer wie Beweisstück Nummer eins im Prozess Penny gegen Jischinski in ihrer Hand hält.
Derweil krame ich in meinem Bargeld herum, stelle aber fest, dass ich sie leider auch auf diese Art nicht glücklich machen kann.
»Ich frage mal den Filialleiter«, entfährt es meiner Sherlocke Holmes. Die Rentnerin schaut mich inzwischen wie etwas an, was sie sonst nur bei »Aktenzeichen XY ungelöst« sieht.
Vielleicht ist alles nur die gerechte Strafe für diesen blöden Gedanken. ›Hey, Kleiner, nun fängt der Ernst des Lebens an!‹ Dieser doofe Ernst holt dich schneller ein, als du denkst. Und vor allem ist er gänzlich humorlos. Meine Sherlocke kommt wieder zurück. Für einen winzigen Moment habe ich das Gefühl, als sei ihr eine Erleuchtung gekommen. Als hätte sich der böse Gedanke an einen Trickbetrüger wie ein Sandkorn in ihrem Hirn eingenistet und in den wenigen Minuten des Weges bis zum Filialleiter hat das Perlmutt ihres Hirns daraus eine wahre gedankliche Perle entstehen lassen. Doch das, was aus ihrem Mund perlt, ist reichlich schal.
»Sie sollen die Sachen hier lassen und Sie können sich später alles gegen Bargeld abholen.«
Ich schaue böse in Richtung dieses Spiegelglases. Sitzt dahinter der Messias? Der Hausmeister vom Landgericht? Oder doch Barbara Salesch?
Es gibt Verschwörungstheorien zum 11. September, zur Mondlandung und zum Mord an Kennedy. Aber an den kleinen Mann im Supermarkt denkt keiner. Ich verlasse das Geschäft, steige in mein Auto und fahre in den nächsten Laden. Dort angekommen, suche ich die gleichen Sachen wie vorher zusammen, lege sie aufs Band, bezahle mit meiner Karte, unterschreibe und nichts passiert. Es kann sich eben nicht jede Kette eine Graphologin als Kassiererin leisten, denke ich noch, während mich meine Bekannte anspricht: »Na, hast du vorhin auch nicht alles bekommen?«
»Im Grunde schon! Die Kassiererin hat meine Karte aber leider nicht akzeptiert. Ist ’ne längere Geschichte. Aber jetzt habe ich ja alles.« Ich schaue auf den Kleinen, der an einem Lutscher schleckt. »Wie gefällt es dir denn in der Schule?«, frage ich höflich. »Geht so«, nuschelt er mir entgegen.
»Tja, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!«, flötet seine Mutter und haut ihm eine Hand auf die Schulter. Im Weggehen schaue ich traurig auf den Kleinen. Er lächelt noch und seine Augen leuchten. Wenn die alle wüssten, wie ernst es wirklich wird, sie würden sich mit Freude totlachen.
Gute Vorsätze
Ich laufe durch diese Bar und die Blicke der Frauen treffen mich wie etwas, das mich streichelt und zu sich zieht. Es ist bloß der Rückweg von der Toilette, aber ich laufe wie auf dem Catwalk. Es fühlt sich gut an, wie sich das Training der letzten Wochen auswirkt. Ich muss den Bauch kein bisschen einziehen, sondern laufe einfach so durch die Gegend. Ja, regelmäßiges Training, weniger Stress, mehr Schlaf, so einfach ist das. Ich komme zurück zu meinem Barhocker und setze mich. Die Hose spannt nirgends und ich kann auf einen wundervollen Tag zurückblicken. Alle Arbeit ist getan, noch dazu mit Freude, und morgen werde ich wieder aufstehen und wissen, dass alles möglich ist. Der Gemüsecocktail vor mir schmeckt zwar wie eine alte Biosandalette, aber er wirkt, als würde ich ein Serum für Männlichkeit und Wohlbefinden in mich aufnehmen. Durch das Menschengetümmel hindurch kann ich sie sehen. Sie hört sich das Gelaber von irgend so einem Typen an, wirkt dabei furchtbar gelangweilt, ist aber trotzdem so höflich, alles über sich ergehen zu lassen. Als er endlich weg ist, gehe ich zu ihr.
»Hallo«, sage ich, ohne meine Stimme zu verstellen, »das mag jetzt überraschend sein, aber ich sehe keine Möglichkeit, es dir schonend beizubringen. Also, ganz direkt. Ich stehe hier vor dir, weil ich dich interessant finde und dich kennenlernen will. Ich bin den weiten Weg von meinem Platz dort drüben zu dir gekommen, um dich anzubaggern.«
Sie lacht mich an: »Und wann geht es los?«
»Jetzt gleich.«
Wir unterhalten uns lange und sie lacht über das was ich sage und lustig meine. Ihr Lachen verzaubert mich und ich hänge an ihren Lippen. Sie interessiert sich für mich und mein Leben. So, wie ich etwas über sie wissen will. Längst habe ich ihren Körper als eine Landkarte voller Versprechungen vermessen, wohl wissend, dass es Berge und Täler an ihr gibt, die himmlische Vergnügungen garantieren.
Natürlich bringe ich sie nach Hause bis vor ihre Tür. Aber ich zerstöre diesen wundervollen Abend nicht mit so etwas Banalem wie einem One-Night-Stand. Ich küsse sie zum Abschied in dem Wissen, dass wir uns wiedersehen werden, schon bald. Auch meine enttäuschte Erektion sieht das an diesem Abend noch ein.
Am nächsten Tag stehe ich kurz nach Arbeitsbeginn im Büro meines Chefs. Er gießt uns beiden viel zu trockenen Sekt ein, aber zu Ehren meiner Beförderung einschließlich Gehaltserhöhung lasse ich auch das über mich ergehen. Nach meinem Tagwerk sitze ich in einem Café und lese ganz in Ruhe die FAZ. Doch meine Konzentration ist getrübt, denn immer wieder sehe ich sie vor mir. Ich träume ein wenig von ihr und male mir aus, wie unser Rendezvous am Abend aussehen wird. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich ihr einen Strauß roter Rosen. Sie wird mich lieben dafür, bin ich mir sicher.
Ich rufe Tom an, um zu hören, wie es ihm geht. »Klar«, sage ich, »es ist immer schwierig, Zeit für die wichtigen Dinge im Leben zu haben, aber unmöglich ist es nicht.«
Wir reden noch über seinen bevorstehenden Umzug und den Ärger, den er mit seinen Kollegen hat. Ich baue ihn auf, und als ich auflege, glaube zumindest ich daran, dass es ihm besser geht.
Danach ziehe ich mich um und gehe ins Fitnessstudio. Knappe zwei Stunden nehme ich mir Zeit, um meine Kondition und Kraft weiter zu verbessern, auch wenn das im Moment kaum noch möglich ist. Ich dusche und salbe mich, als würde ich einen Preis für Reinlichkeit erwarten. Dabei sind Teile meiner Gedanken reichlich schmutzig, als ich wieder zu Hause sitze und die letzten Lektionen meiner Fernstudieneinheit durcharbeite.
Ich hole sie ab, aber wir kommen nicht in das Restaurant. Wir fallen übereinander her wie zwei Unwetterwolken, die sich ausregnen müssen. Wir