Gerhild Decker

Hängematten-Lektüre


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      Im Strudel uns’rer lauten Zeit.

       Caféhaus-Momente

      Oh weh, ist die Nacht etwa schon wieder vorüber?

      Mein Wecker – ein dröhnender und zischender Kaffeeautomat – bestätigt es mir.

      Gleichzeitig nehme ich den ersten Kaffeeduft wahr. Für mich sind das die täglichen Rituale und Zeichen, mit denen mein Arbeitstag beginnt.

      Die Inhaberin des Cafés ist stets das erste menschliche Wesen, das ich zu Gesicht bekomme.

      Sie heißt Marion, ist eine recht Nette und hat immer gute Laune. Ab und zu streichelt sie mich sogar, meistens dann, wenn sie auf mir einen Krümel entdeckt.

      Brrrh, heute Morgen ist es irgendwie besonders ungemütlich. Draußen scheint es kalt zu sein, ich fröstele. Doch ich kann nicht klagen, mein Stammplatz direkt am Fenster ist soweit o.k. Hier sehe ich auch etwas von der übrigen Welt. Manche meiner Kollegen sind da viel schlechter dran. Sie müssen mit spärlich beleuchteten Ecken vorlieb nehmen. Besonders bedauere ich einen Mitstreiter, dem stets der Garderobenständer im Nacken sitzt. Die dort aufgehängten Mäntel und Jacken müffeln mitunter stark. Da trifft dann schon mal Knoblauchgeruch auf Frittenfett und vermischt sich mit schwerem, süßem Parfumduft aus einer Damenjacke. Außerdem wird er oft genug von Gästen angerempelt, die es eilig haben auf dem Weg zur Toilette, deren Türen ebenfalls in seinem direkten Umfeld sind. Er hat den schlechtesten Arbeitsplatz von uns allen.

      Besuch bekommt er so gut wie nie. Allenfalls, wenn alle Tische im Café besetzt sind, wird ihm als Notstopfen die Ehre eines Gastes zuteil.

      Oh, die Eingangstüre öffnet sich! Ein älterer Herr tritt ein, schaut sich suchend um und wählt mich zum Objekt seines Begehrens aus. Mit einem Seufzer lässt er sich nieder.

      Marion kommt an den Tisch, fragt nach seinen Wünschen. Mein Besetzer erzählt, dass er noch nüchtern sei, gerade vom „Vampir“ – dem Arzt gegenüber – käme und sich nun auf ein Frühstück freue. Diabetes habe er, müsse häufig zur Blutkontrolle ... Ähnliche Geschichten habe ich schon oft gehört. Meistens beginnt mit diesen auch mein Arbeitstag. Der heutige Gast ist Gott sei Dank eher ein Leichtgewicht, da piekst es nicht so, wenn sich die Brötchenkrümel auf mir breit machen. Am frühen Morgen bin ich da besonders empfindlich.

      Der mir sympathische Vampirgeschädigte hat sein Frühstück ziemlich hastig eingenommen und verlässt mich wieder. Schade, gerne hätte ich ihm länger Asyl gewährt.

      Nach und nach füllt sich das Café. Das Stimmengewirr nimmt zu. Viele Angestellte aus den umliegenden Bürogebäuden nehmen hier ihr Mittagessen ein und die Luft wird zunehmend stickiger. Heute ist wieder „Kasseler mit Grünkohl-Tag“, da ist es immer besonders schlimm. Dieser gewöhnungsbedürftige Geruch setzt sich stets hartnäckig in meiner Kleidung fest!

      Außerdem brennt mir jetzt zusätzlich die Sonne kräftig auf den Rücken – kein schöner Tag!

      Solch ein Fensterplatz hat also doch Schattenseiten!

      Am Nachmittag lässt sich ein munteres Damenkränzchen an meinem Tisch nieder.

      Die – Verzeihung – stärkste Dickmamsell wählte ausgerechnet mich zur lastentauglichen Sitzgelegenheit aus. Ich fürchte, das wird eine langwierige Geschichte, denn es mangelt den vier Damen nicht an Gesprächsstoff. Nicht alles ist dabei wirklich ladylike und am schlimmsten sind ihre schrillen Stimmen, die nur von Lachanfällen bis zur einsetzenden Luftnot unterbrochen werden. Die Beschallung ist fast unerträglich! Nein, das ist heute nicht mein Tag!

      Nach zwei Stunden kann meine Dickmamsell offensichtlich nicht mehr richtig sitzen. Ständig rutscht sie hin und her. Meine Beine werden langsam zittrig. Auch habe ich berechtigte Angst um mein Outfit, das an einer Stelle sowieso etwas angegriffen aussieht. Bin ja immerhin schon etwas in die Jahre gekommen. Eine Aufpolsterung mit Botox, von der eine der Möchtegernschönen eben so lautstark schwärmte, käme für mich nie in Frage!

      Marion versucht durch musikalische Untermalung Wohlfühlstimmung zu vermitteln. Sie hat diese „ganz spezielle“ Wellness-CD aufgelegt, die ich schon in- und auswendig kenne und die mich immer sooo müde macht.

      Bei den Damen zeigen sich keine Müdigkeitssymptome. Oder haben sie gerade Proseco bestellt, damit sie nicht in einen unerwünschten Entspannungszustand gleiten?

      Jetzt tut sich etwas am Nebentisch. Eine sichtlich nervöse Dame mittleren Alters nimmt dort Platz. Am Revers ihres Blazers trägt sie eine weiße Stoffrose. Für meinen Kennerblick ein klarer Fall, eine „Blind-Date-Kandidatin“!

      Sie hat ihren Platz, wie zu erwarten, mit Blick auf die Eingangstür gewählt. Immer, wenn sich diese öffnet und ein Mann eintritt, taxiert sie ihn unverhohlen und mehr oder weniger interessiert.

      Nervös stochert sie an einem Stück Kuchen herum, bis sie schließlich vor leerem Teller sitzt. Auch dem Kaffeekännchen ist kein Tropfen mehr zu entlocken. Ebenfalls leer bleibt der Platz neben ihr. Ihr Gesicht ist gerötet, als sie schließlich zahlt und geht. Irgendwie tut sie mir leid.

      Meine Tischgesellschaft kommt jetzt offensichtlich in Aufbruchstimmung.

      Beim Bezahlen der Rechnung geben sie sogar „großzügig“ 50 Cent Trinkgeld!

      Als sie endlich laut schnatternd das Café verlassen, atme ich erleichtert auf.

      Nach und nach wird es immer ruhiger und gerade schließt sich mit leisem Quietschen die Eingangstüre hinter dem letzten Gast.

      Marion wischt die Steinplatten der Tische ab und rückt die Zuckerdosen und Blumenväschen zurecht. Sie sieht müde aus. Mit ihr freue auch ich mich auf den wohlverdienten Feierabend.

      Ganz zur Ruhe komme ich allerdings noch nicht, denn die Putzfrau rückt mir bereits mit ihrem dröhnenden Staubsaugerungetüm auf den Pelz.

      Uuuiiii, heute meint sie es aber besonders gut! Sie massiert hingebungsvoll mein Polsterkleid mit einer kuschelweichen Vorsatzbürste. Jaaaaa, das könnte ich noch stundenlang genießen! Meine stark beanspruchten Muskeln entspannen sich langsam.

      Eigentlich ist mein Leben doch gar nicht so schlecht!

      Kurz bevor ich einschlafe, nicke ich dem Stuhl am Garderobenständer noch tröstend zu.

      Er soll wissen, dass ich an ihn denke.

      – Hoffentlich werden wir beide nie vertauscht! –

       Begegnungen

      Begegnungen sind wunderbar,

      wenn wir sie zu schätzen wissen;

      denn Gefühle sind gut teilbar –

      schade, müssten wir dies missen.

      Viel liegt es in unserer Macht,

      alles innig zu gestalten.

      Stets hat Segen es gebracht,

      lässt statt Hass man Liebe walten.

       Zweisamkeit

      - Akrostichon -

      Z usammenhalten

      W orte prüfen

      E infälle ausleben

      I deen kreieren

      S