Ihre Mutter Thelma, ihre Halbschwester Denise und ihr Halbbruder Kevin. Es fehlten ihr Vater Martin, der sich beruflich im Ausland aufhielt, und ihr Stiefbruder Kai.
Kai hasste seine Stiefmutter Thelma wie auch seine Stiefschwester Mona. Es war eine Mischung aus Neid, Arroganz und Fremdenhass. Mit ein Grund war aber das Verhalten seines Vaters Martin, der seine Geschwister, insbesondere Mona, ihm gegenüber immer als vorbildlich hinstellte. Er, der ewige Student, bekam weder die Stellung noch die Anerkennung bei seinem Vater, die er für sich als ältester Sohn beanspruchte.
Mona schloss die Tür auf, legte Mütze und Mantel ab und begrüßte fast überschäumend ihre Familie. Sie setzte sich mit an den Tisch. Es sprudelte förmlich aus ihr heraus. „Hört mal alle zu! … Ich habe mich verliebt und …“
„Wissen wir, in Tom, ist doch nichts Neues!“, unterbrach sie Denise. „Der alte Vollhorst, nichts in der Birne aber dafür viel in der Hose.“ Das war schon eine heftige Beleidigung. Kevin konnte Tom – Monas Freund – überhaupt nicht leiden. Er hielt ihn für ungebildet und oberflächlich. „Kinder, beherrscht euch alle mal ein bisschen und du Kevin weißt genau, dass ich solch abfälliges Gerede hier im Haus nicht hören will. Dass Kai ständig so dumm daher redet, ist schon schlimm genug, ihr müsst euch nicht auch noch diesem Niveau anschließen.“
Das war für Mona die Chance wiederum das Wort zu ergreifen. „Nein es ist nicht Tom, der ist Vergangenheit.“
„Welch weiser Entschluss.“
„Kevin, lass mich endlich mal ausreden, ja. Ich habe auf der Berlinale einen Mann kennengelernt. Der ist so nett, gebildet, einfühlsam, hat gute Manieren und ist ein … Weißer!“
„Oh, ich dachte du stehst nur auf schwarze Jungs oder zumindest Latinos. Der muss ja wirklich was ganz Besonderes sein“, gab Kevin zum Besten. „Ist er auch.“ Mona zögerte und stellte fast beiläufig fest, nicht ohne alle genau zu beobachten: „Stellt euch vor, er heiratet in drei Wochen!“
Alle drei reagierten betroffen. „Wen, dich?“, wollte Denise wissen. „Wie, was, du heiratest?“, auch Kevin dachte in die gleiche Richtung. „Nun redet mal nicht alle durcheinander. Mona, dein neuer Freund heiratet also, nicht dich nehme ich an. Wie kannst du dich in so einen verlieben? Hast du dir das auch überlegt? Denk an deine bisher gemachten Erfahrungen! Ich weiß jetzt nicht ob ich lachen oder weinen soll?“, warf Thelma ein und schüttelte den Kopf. „Ich habe dich für besonnener gehalten.“
Mona genoss das Schauspiel und wartete darauf, bis ihre Mutter ausgeredet hatte. Amüsiert lehnte sie sich zurück. „Ja, und das ist noch nicht alles!“
„Nein?“
„Nein! Ich fahre am Wochenende mit ihm zusammen nach Süddeutschland. Er wird wegen mir, … habt ihr gehört, nur wegen mir seine Hochzeit absagen! Ach, übrigens, er heißt Mike und ist Schwabe.“ Thelma nickte wohlwollend. „Alle Achtung, na dann kann er so verkehrt nicht sein! Das ist ein sehr mutiger und nicht alltäglicher Schritt, der viel Ärger einbringen kann. Hoffentlich fällt er nicht um. Du solltest dich auf einiges gefasst machen, aber damit hast du ja Erfahrung.“
Thelma spielte dabei auf eine sehr negative Erfahrung Monas mit einem früheren ebenfalls weißen Freund an, der sie vor seiner Familie zutiefst gedemütigt hatte. Damals hatte sich Mona geschworen, nie mehr eine Beziehung mit einem Weißen einzugehen. „Mit Mike passiert das nicht. Da bin ich mir sicher.“
„Ich wünsche es dir von ganzem Herzen.“ Thelma stand auf und umarmte ihre Tochter. Der Abend endete schließlich in einer fröhlichen Runde. Mona verteilte die übrigen Kinotickets der Berlinale an ihre Geschwister, Tom brauchte sie jetzt nicht mehr.
Angelika
Es war soweit, der von Mike gefürchtete Tag war gekommen. Die Absage der Hochzeit und die Aufhebung der Verlobung standen bevor. Ziel der Fahrt war die typisch schwäbische Kleinstadt Lorch im Remstal, 40 km östlich der Landeshauptstadt Stuttgart gelegen. Zahlreiche Fachwerkhäuser prägen das Stadtbild. Stolz ist die Stadt auf ihre Vergangenheit, die mit sehenswerten Denkmälern schon in der Römerzeit beginnt, über die Stauferära mit seinem romanisch-gotischem Kloster reicht und in der Neuzeit Friedrich Schiller als Kind beherbergte. Seinem damaligen Lehrer, dem Pfarrer Phillip Moser setzte er mit seinem Drama ‘Die Räuber’ ein literarisches Denkmal.
Mona hielt ihr Versprechen und begleitete Mike. Gekleidet, wie einem Modemagazin soeben entsprungen, mit beigefarbener Stoffmütze und einer eleganten beigefarbenen Jacke, machte sie auf Mike mächtig Eindruck. Nach kurzer aber umso intensiverer Begrüßung nahm sie ihre Mütze ab, warf diese auf den Rücksitz und schüttelte ihre Haare. Mike saß neben ihr mit offenem Mund. „Was ist, gefallen dir meine Haare nicht?“ Sie genoss die gelungene Überraschung.
Glatte lange – fast schwarze – Haare umrahmten ihr Gesicht. Ein durch die Windschutzscheibe des Autos fallender Sonnenstrahl ließ einen türkisfarbenen Schimmer erahnen. Ihre Haare umspielten ihre Wangen, eine Strähne hing keck ins Gesicht. Die Lippen hatten einen ähnlichen Farbton wie die Haare. Mike liebte lange Haare bei Frauen, nur mit einer solchen Länge hatte er nicht gerechnet. Sie reichten ihr weit über die Schulter hinab.
Mike musste sich erst wieder fassen. „Mein Gott, bist du schön!“, sagte er leise. „Und so was sitzt nun neben Mike und ist seine Freundin, unglaublich!“
„Dann gefalle ich dir also, ich habe gedacht, ich geh mal weg vom Black-Beauty-Outfit. Lass uns endlich losfahren, sonst kommen wir nie an!“ Nichts passierte. Mike sah sie weiterhin fasziniert an, außerdem wollte er noch was von ihr. „Darf ich mal anfassen?“ Lächelnd sagte sie leise. „Na, mach schon!“ Vorsichtig fuhr Mike mit seiner rechten Hand durch ihre Haare. „Die fühlen sich an wie Seide. Wahnsinn!“
Sie fuhren die A9 über Nürnberg nach Süden. In der Höhe von Ansbach legten sie auf einer Raststätte eine kurze Kaffeepause ein, um einen Fahrerwechsel vorzunehmen. Nach der Pause fuhr Mona weiter, so hatte Mike viel Zeit, sie in aller Ruhe zu betrachten. „Und, zufrieden mit deiner schwarzen Freundin?“
„Mona, mir fehlen die Worte.“
„Das glaube ich nicht, du kannst doch gar nicht still sein.“
„Ist ja auch nur eine Redewendung. Ich versteh das gar nicht, du wirst bei jedem Wiedersehen immer noch schöner.“
„Mike, nicht übertreiben. Du kannst so wunderbare Komplimente machen, nur überziehen darfst du nicht. Verstanden?“
„Okay, auch wenn’s schwer fällt. Trotzdem gefallen mir deine Haare so viel besser.“
Nach sechs Stunden Fahrzeit erreichten sie endlich ihr erstes Ziel in Lorch, das Haus von Angelikas Eltern auf dem Kellerberg, einer Neubausiedlung in Halbhöhen- und Höhenlage mit herrlichem Ausblick über das gesamte Remstal in Richtung Stuttgart. Die Sonne schickte ihre ersten wärmenden Strahlen auf dieses schöne Fleckchen Erde.
„Du wartest im Auto, wie besprochen.“
„Ich möchte aber mit.“
„Ist besser so, glaub es bitte!“
„Nur unter Protest, ich wünsch dir viel Glück.“ Ein Kuss zur Stärkung und das „Unternehmen Entlobung“ begann. Mike ging langsam mit schweren Beinen durch das Gartentor zum Hauseingang. Er klingelte, nichts passierte. Heimlich hoffte er, dass sie ihn vielleicht überhaupt nicht sehen wollte. Er klingelte ein zweites Mal. Die Tür öffnete sich langsam. Es war Angelikas Mutter. „Grüß Gott Mike. Komm rein. Kannscht gleich nach oben gehen, Angelika wartet schon auf dich.“
Mike klopfte. „Herein!“ Er öffnete langsam die Tür und trat sichtlich gehemmt ein. Vor ihm saß Angelika mit verheulten Augen und schaute ihn traurig an. Wenn sie nicht so vergrämt ausgesehen hätte, käme die Schönheit dieser jungen Frau mit ihren langen welligen rotblonden Haaren und den grünen Augen viel besser zur Geltung. Mike versuchte ein zaghaftes „Grüß dich“ auszusprechen, welches er aber halb