Werner Rosenzweig

Karpfenkrieg


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zu einer attraktiven Urlaubsregion aufzubauen – im Mittelpunkt der Aischgründer Spiegelkarpfen, kulinarische Spezialität und Zugpferd im Land der tausend Teiche. Böse Zungen behaupten allerdings, dass Margot nur deshalb zur Präsidentin gewählt wurde, weil sie selbst einem Aischgründer Spiegelkarpfen zum Verwechseln ähnlich sieht. „Sie hat ein Maul wie ein Karpfen“, sagen viele. „Und an Buckl hats a“. Kurz nach ihrer Wahl zur Vereinspräsidentin versuchte ein einheimischer Karpfenzüchter ihr zu erklären, dass der Aischgründer Spiegelkarpfen nur ganz wenige Schuppen habe. Als sie daraufhin antwortete: „Ach wie niedlich, ich habe gar nicht gewusst, dass der Fisch auch Haare hat“, galt sie auch als brunzdumm. Natürlich hat Margot auch Neider. „Eine Preußin als Vereinspräsidentin, des geht doch net gut.“ Doch mit neununddreißig Jahren und ihrer preußischen Hartnäckigkeit steht Margot Segmeier über den Dingen, und gute Marketing-Ideen hat sie tatsächlich.

      *

      Die komplette Familie saß im Wohnzimmer versammelt: Hanni der Hammer, seine Frau Jana und Tochter Chantal. Kommissar Fuchs hatte darauf bestanden. Er und Sandra Millberger wollten sich ein Gesamtbild machen. Vielleicht hatte ja doch eines der Familienmitglieder eine wichtige Beobachtung in der besagten Nacht gemacht, als Horst Jäschke erstochen wurde. „Wenn wir die Situation richtig verstehen, Frau Hammer, haben Sie letzten Samstag Ihren Mann dabei unterstützt, das Grillfest zu organisieren, beziehungsweise ihm bei der Speisenzubereitung geholfen. Kann man das so sagen?“

      Ein zustimmendes „Hm“ war alles, was ihr der Kommissar entlocken konnte.

      „Haben Sie an dem Abendessen teilgenommen?“

      „Mhmh“, und ein dazugehöriges Kopfschütteln sollten eine Verneinung bedeuten.

      „Etz Kreiz nochamol, Jana“ fuhr ihr Mann dazwischen, „etz mach halt amol dei Schleppern auf! Was solln der Kommissar mit Hm und Mhmh ofanga?“ Jana Hammer zuckte bei den scharfen Worten ihres Mannes zusammen.

      „Schrei doch die Mama nicht so an“, ging Chantal Hammer dazwischen und sah ihren Vater mit wütenden Augen an.

      Sandra Millberger erkannte sofort, dass in dieser Familie jegliche Harmonie fehlte. „Das ist eine, am täglichen Leben zerbrochene Frau. Kein Wunder, bei der Ehe mit diesem Mann, und die Tochter hasst ihren Vater“, ging es ihr durch den Kopf. Jana Hammer saß mit auf den Oberschenkeln aufgelegten Armen auf dem Sofa, die Blicke auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden gerichtet. Die Augen der Polizistin wanderten durchs Zimmer. Ein riesiges Holzkreuz mit dem gekreuzigten Jesus hing an der Wand. In einem kleinen Porzellanschälchen lag ein wertvoller Rosenkranz aus Jade, gleich daneben ein Gebetbuch in einem weißen, ledernen Umschlag. „Sie ist bestimmt eine überzeugte Katholikin“, war sich Sandra Millberger sicher.

      „Haben Sie irgendetwas Auffälliges bemerkt?“, bohrte ihr Chef weiter.

      Jana Hammer hatte die Frage gar nicht richtig registriert. Erst als ihr Mann sie anstieß, besann sie sich. „Na“, antwortete sie mit feiner, brüchiger Stimme, „ich bin um halba neina vo die Fürbitten ham kumma. Dann hab ich den Fernseher eigschaltn. Wenn Sie mich aber fragn, welche Sendung ich angschaut hab, dann kann ich Ihna des gar net amol sagn. Mei Mann und seine Gschäftsfreund warn da am Feiern. Jedenfalls hab ich ihre Stimmen ausm Gartn ghört. So ummera dreiundzwanzig Uhr bin ich dann ins Bett ganga. Wie lang die Männer zamm warn, waß ich net. Da hab ich schon längst gschlafn. Am nächstn Morgen ham mich dann Martinshörner gweckt. Der Lärm muss vo der Schulstraß kumma sei. Ich hab aber ka Ahnung ghabt, was da gschehn is.“

      „Wann haben Sie Ihren Mann tags zuvor das letzte Mal gesehen?“, wollte Sandra Millberger wissen.

      „Am Samstag?“

      „Genau.“

      „Des war, als seine Gäst kumma sen. Jedenfalls, als mei Mann den grüna Salat aus der Küchn gholt hat, war ich schon weg. Der Gottesdienst is ja a um viertl achta anganga. Wir ham es ja net weit, zum Gotteshaus von St. Mauritius. Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben. Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. Des is der Sonnengesang des heiligen Franziskus“, murmelte sie noch, dann klinkte sie sich aus dem Gespräch aus und starrte wieder auf den nicht vorhandenen Punkt auf dem Fußboden.

      „Hm“, murmelte Gerald Fuchs, „interessant“, und richtete seinen Blick auf die Tochter des Hauses. „Und Sie, was haben Sie am Samstagabend gemacht?“

      Chantal Hammer biss sich auf die Unterlippe und sah ihren Vater ganz kurz von der Seite an. „Ich war mit meinem Freund weg.“

      „Ich hab dir doch scho so oft gsacht“, brach es aus Johann Hammer heraus, „dass du mit dem Kümmltürkn …“

      „Herr Hammer!“, unterbrach ihn der Kommissar scharf und wandte sich wieder an Chantal. „Dürfen wir fragen, wie Ihr Freund heißt, und wo und von wann bis wann Sie mit ihm unterwegs waren?“

      Wieder dieser kurze Blick zu ihrem Vater. „Mein Freund heißt Jlkan Hawleri und studiert an der Uni in Erlangen Medizin. Jlkan hat mich Punkt siebzehn Uhr an der Bushaltestelle, gleich um die Ecke, abgeholt.“

      „Macht er das immer so?“, fragte die Polizistin nach. „An der Bushaltestelle?“

      „Na ja“, druckste Chantal Hammer herum, „mein Vater …“, und erntete einen wütenden Blick.

      „Verstehe“, bestätigte die Beamtin. „Und dann?“

      „Dann sind wir nach Erlangen gefahren und ins Kino gegangen.“

      „Aha, welcher Film lief denn?“

      „Monsieur Claude und seine Töchter, im Cine-Star“, kam die Antwort, kurz und präzise.

      „Und dann? Am besten erzählen Sie, was Sie mit Ihrem Freund den Abend über gemacht haben. Dann brauchen wir nicht ständig nachzufragen“, schlug Sandra Millberger vor.

      „Also“, überlegte Chantal und kratzte sich an ihrer kleinen Stubsnase, „der Film war so circa um zwanzig Uhr zu Ende. Dann hat mich Jlkan zum Sushi-Essen nach Nürnberg eingeladen. Danach, es war gerade halb elf vorbei, sind wir zu seiner Schwester und ihrem Mann nach Fürth gefahren und haben uns dort verquatscht Wir waren so gut drauf und haben gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Als Jlkan auf die Uhr gesehen hat, rief er auf einmal: Schon gleich halb drei! Jedenfalls sind wir dann kurz danach aufgebrochen und Jlkan hat mich nach Hause gefahren.“

      „Zur Bushaltestelle?“

      Chantal nickte.

      „Wie spät war es, als Sie das Haus betreten haben, und was ist Ihnen dabei möglicherweise aufgefallen“, übernahm nun der Kommissar wieder das Gespräch.

      „Es war viertel nach drei“, antwortete Chantal Hammer ohne zu zögern.

      „Haben Sie auf die Uhr geguckt?“

      „Das nicht“, antwortete sie, „aber als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hat die Kirchenglocke viertel nach geschlagen.“

      „Haben Sie Horst Jäschke noch gesehen?“

      „Nein, der muss schon weg gewesen sein. Jedenfalls haben Papa und der Bertl, der Gisbert Holzmichl, lautstark in unserer Gartenlaube gesungen. Ich müsste eher sagen, gegrölt. Atemlos durch die Nacht, aber mit einem anderen Text. Die zwei müssen ganz schön besoffen gewesen sein. Ich bin dann jedenfalls gleich ins Bett.“

      „Was machen Sie eigentlich so?“, wollte die Polizistin noch wissen.

      „So?“

      „Na ja, ich meine, gehen Sie noch zur Schule, arbeiten Sie schon? Sie sind jetzt neunzehn, richtig?“

      „Ach so, das wollen Sie wissen. Genau. Ich bin neunzehn und habe im Juni dieses Jahres mein Abi abgeschlossen. Im Moment genieße ich noch den Abstand von der Schule, ich meine die freie Zeit, denn im Oktober beginne ich mit meinem Studium an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.“

      „Fein, und was werden Sie studieren?“

      „Sinologie“