Gunnar Kunz

Krähen über Niflungenland


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würde? Er vergewisserte sich, dass das Amulett um seinen Hals hing, und spürte zu seiner Beruhigung die Macht von ansuz, der Rune des Asen, in seiner Hand.

      Ohne Übergang befanden sie sich außerhalb des Waldes. Schlagartig ließ das Unwetter nach, als respektiere Wodan ihren Mut. Vielleicht hatte er auch nur ein lohnenderes Ziel für seinen Zorn entdeckt. In der Ferne preschte das Wilde Heer vorüber. Die dunklen Wolken machten den ersten hellen Flecken am Himmel Platz, die Sonne brach hervor und brachte das Land zum Dampfen. Erschöpft ließen sich die drei Menschen ins Gras fallen.

      4.

      Axtschläge wiesen Grimhild den Weg. Mit wehenden Haaren stürzte sie in die Baracke, in der die Niflungen das Feuerholz zum Trocknen lagerten. Dort fand sie ihren Lieblingsbruder beim Holzspalten. »Gislher«, rief sie, »ist dir etwas passiert?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fiel sie ihm um den Hals und fing an zu schluchzen.

      Gislher hatte sein lebensgefährliches Abenteuer schon halb vergessen. Seine Gedanken kreisten um andere Dinge. Übermorgen, am Abend vor Mittsommer, würde wie alle Jahre das Sonnenwendfeuer entzündet werden, ein Riesenspaß! Jeder musste seinen Teil dazu beitragen, um die Götter versöhnlich zu stimmen, deshalb schlug er Feuerholz. Grimhilds Gefühlsausbruch überrumpelte ihn. Er legte die Axt beiseite und hielt seine Schwester fest. »Ist ja alles in Ordnung«, beruhigte er sie und kam sich sehr erwachsen dabei vor.

      Grimhild rang um Beherrschung. »Ich bin so froh, dass du lebst!«, sagte sie und fing vor Erleichterung wieder an zu schluchzen. Schließlich wischte sie die Tränen fort und nahm ihren Bruder in Augenschein, um sicherzugehen, dass ihm auch wirklich nichts fehlte. Sie zauste ihm das Haar, eine Angewohnheit, die sie von ihrer Mutter hatte und die Gislher zutiefst verabscheute, aber angesichts ihrer rührenden Besorgtheit verbiss er sich eine Unmutsäußerung. »Hattest du keine Angst?«, wollte sie wissen.

      »Überhaupt nicht.«

      Sie sah ihn prüfend an, und nach einer Weile senkte er den Blick. Sie bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken.

      »Ich verdanke Sigfrid und Hagen mein Leben«, sagte er, um sie abzulenken. »Ich war eingeklemmt, und ein brennender Baum drohte auf mich zu stürzen. Sigfrid hatte überhaupt keine Angst, sich Wodan entgegenzustellen.«

      Rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus, als ihr klar wurde, wie nahe er dem Tod wirklich gewesen war. Und Sigfrid, ihr Sigfrid hatte ihn gerettet! »Würdest du es begrüßen, wenn Jungherr Sigfrid für immer zu uns gehören würde?«, fragte sie.

      Gislher bekam große Augen. »Er will hierbleiben?«

      »Es könnte sein.«

      »Aber er ist der Sohn des Königs von Tarlungenland. Er wird nicht Gunters Gefolgsmann werden wollen.«

      Grimhild setzte eine verschwörerische Miene auf. »Was ich jetzt sage, muss unter uns bleiben. Es könnte sein … versteh mich recht, ich bin nicht sicher, aber … es könnte sein, dass Sigfrid mich bei Gunter zur Frau erbittet.«

      »Wärst du froh darüber?«

      Sie nickte zurückhaltend.

      »Dann wären wir von einer Sippe!«, rief Gislher aus. »Vielleicht könnte Sigfrid mir beibringen, so gut mit dem Schwert zu sein wie er.«

      Grimhild dämpfte seine Begeisterung. »Ich weiß nicht, wie Gunter darüber denkt. Vielleicht hält er Sigfrid nicht für würdig, um mich zu werben. Vielleicht hat er andere Pläne mit mir.« Obwohl sie kaum glaubte, dass ihr Bruder ihr einen Mann aufzwingen würde, und obwohl sie nicht vorhatte, es widerspruchslos hinzunehmen, falls er dergleichen plante, bestand selbstredend die Möglichkeit, dass er sie aufgrund einer politischen Überlegung jemand anderem geben wollte.

      Gislher legte ihr die Hand auf den Arm. »Überlass das mir! Ich rede mit Gunter.« Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Sieh mich nicht so an, Schmiedeauge! Du kannst unbesorgt sein, ich werde ihm von unserem Gespräch nichts sagen. Ich werde bloß erwähnen, wie gut es wäre, jemanden wie Sigfrid zum Verbündeten zu haben.«

      Grimhild gab ihm einen Kuss. »Danke. Jetzt ist mein Herz wieder ruhig.« Noch einmal überzeugte sie sich, dass er auch wirklich keine Verletzung davongetragen hatte, dann ging sie zur Tür.

      Gislher nahm seine Axt wieder auf, doch es lag ihm noch etwas auf der Seele. Er konnte nicht besonders gut lügen, und am allerwenigsten wollte er seine geliebte Schwester anschwindeln. »Grimhild!«, rief er ihr nach.

      Sie drehte sich um.

      »Ein ganz kleines bisschen habe ich schon Angst gehabt.«

      Sie lächelte.

      »Nur ein ganz kleines bisschen.«

      5.

      Sigfrid hatte den Stallburschen fortgeschickt und sich eigenhändig um sein Pferd gekümmert. Nun, da Grane versorgt war, holte der Sachse sein Amulett hervor und betrachtete es nachdenklich. Er konnte die Kraft fühlen, die ihm entströmte. Es war aus geschmiedetem Eisen, erdmegin floss darin. Hatte Wodan sie wegen des Schutzzaubers verschont?

      Sigfrid war immer sicher gewesen, dass ihm alles im Leben gelingen würde. Wenn der Ase die schützende Hand über seine Sippe hielt, was brauchte er da zu fürchten? War sein Vater ihm nicht leibhaftig begegnet, damals, bei der Entscheidungsschlacht gegen einen feindlichen Sachsenkönig um den Besitz von Tarlungenland? Ein Fremder erschien plötzlich auf dem Schlachtfeld, so pflegte Sigmund zu erzählen, und ging furchtlos mitten durch die Krieger, ohne sich um Äxte oder Schwerter zu kümmern. Er war einäugig – jedermann wusste, dass Wodan ein Auge hingegeben hatte, um Weisheit aus dem Mimirsbrunnen zu erlangen – und wurde von zwei Raben und zwei Wölfen begleitet. Als der Sachsenkönig nach dem Ger schlug, den der Fremde gegen ihn hob, zerbrach sein Schwert in zwei Stücke. Da wich das Heil von ihm, und das Schlachtenglück wandte sich. Der König erlitt eine schmachvolle Niederlage und starb auf dem Schlachtfeld. Als Sigmund demütig vor dem Einäugigen niederkniete, hängte der ihm ein Amulett mit der Wodansrune um den Hals. Und Sigmund wusste, das Heil des Asen ward ihm gegeben.

      Das Knarren der Tür kündigte Besuch an. Hastig steckte Sigfrid das Amulett wieder ein, als hätte er etwas Verbotenes getan.

      Grimhild kam herein. Der Anblick des Sachsen machte sie befangen. Ihr Herz klopfte, ihre Knie zitterten. Es war nicht gerecht, dass ein Mann so etwas in ihr auslösen konnte! »Ich … ich möchte Euch für die Rettung meines Bruders danken, frō Sigfrid«, stotterte sie. »Er ist mir das Liebste auf der Welt. Wenn ihm etwas geschehen wäre …«

      Auch Sigfrid war verlegen. Wie sie so dastand, mit vor Erregung geröteten Wangen und einer Brust, die sich aufgeregt hob und senkte, verspürte er den Wunsch, loszureiten und Heldentaten für sie zu vollbringen, um den Ausdruck von Dankbarkeit, mit dem sie ihn bedachte, ewig auf ihrem Gesicht zu halten. »Ich habe es nicht allein getan«, stammelte er. »Ohne Euren Waffenmeister wäre ich zu spät gekommen.«

      »Ich … möchte Euch trotzdem danken.« Sie gab ihm einen Kuss auf die verhornte Wange. Ungerufen drängte sich die erregende Vorstellung, wie seine raue Haut über ihre glitt, in ihre Gedanken. Sie wurde rot und löste sich von ihm, ehe ihr Atem sie verraten konnte.

      »Bleibt eine Weile, frūa!«, bat er. Seine Wange brannte, wo ihre Lippen ihn berührt hatten.

      Unschlüssig wanderten ihre Augen zwischen ihm und der Stalltür hin und her. »Es ist nicht recht«, murmelte sie. »Wenn man uns sieht …«

      Der Druck zu sagen, was er fühlte, wurde übermächtig. Impulsiv ergriff er ihre Hand. »Ich möchte Euch zum Weibe nehmen. Wenn … wenn Ihr mich haben wollt.«

      Wenn sie ihn wollte? Grimhild konnte kaum einen klaren Gedanken fassen vor Glück. Er freite um sie! Ihr überstürzt ausgeführter Plan, geboren aus einer unverdauten Mischung aus Furcht und Sehnsucht, ging zu ihrer eigenen Überraschung auf! Sie musste zweimal schlucken, ehe sie antworten konnte. »Ich wäre mehr als erfreut.«