Gunnar Kunz

Krähen über Niflungenland


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ihnen leckten, um alles, was unrein war, abzuwaschen. Es war ein rauschhaftes Erlebnis, die Ekstase des Lebens.

      Auch Gunter sprang durch die Flammen. Sein Gesicht glühte. Der Trank des Priesters hatte ihn befreit wie einen Vogel aus dem Käfig. Ja, er konnte fliegen! Mit einem Schrei jagte er erneut auf das Feuer zu, und die Flammen trugen ihn in die Lüfte empor.

      Gernholt fühlte sich leicht und unbeschwert. Die bilisa nahm ihm die Schmerzen, und zusammen mit dem Trank des Priesters versetzte sie ihn in Euphorie. Er würde auch springen! Er würde wie die anderen vom Feuer gereinigt werden! Keuchend richtete er sich auf. Vor dem Scheiterhaufen pumpte er ein paarmal Luft, dann brüllte er plötzlich aus Leibeskräften, wild, lebensgierig, und rannte los. Jubelnd sprang er durch die Flammen. Seine Füße streiften die Zweige, Glut stob auf. Als er auf der anderen Seite aufprallte, knickten ihm die Beine weg und er schlug auf das Gesicht, aber es war ihm egal; er war glücklich.

      Hagen hockte am Feuer, ohne dessen Wärme zu spüren. Er fühlte nichts, er dachte nichts, hockte einfach nur da und existierte. Lange kauerte er in dieser Stellung und starrte in die Flammen. Dann erhob er sich, ohne auf den Protest seiner eingeschlafenen Glieder zu achten, und entfernte sich mit durchgebogenem Rücken. Auf dem Weg zur Burg sah er keinen Menschen, obwohl es auf und um den Hügel von ihnen nur so wimmelte. Er holte sein Pferd, das unwillig über die nächtliche Ruhestörung schnaubte, saß auf und ritt davon.

      Sobald er sich auf ebenem Gelände befand, ließ er den Hengst ausholen. In fliegender Hast ging es den steinigen Weg entlang, was in der Dunkelheit riskant war. Nach einer Weile wich Hagen von der Römerstraße ab. Er sah nicht, wohin er ritt, und es interessierte ihn auch nicht. Das Tier raste in halsbrecherischem Tempo durch Sträucher und Dornbüsche, über Wurzeln und Steine. Unbarmherzig schlug der Waffenmeister auf das Pferd ein und trieb es zu noch schnellerem Galopp an. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, ein- oder zweimal strauchelte der Hengst; es war ihm egal. Leicht konnte er sich bei diesem wahnwitzigen Ritt das Genick brechen; auch das war ihm egal. In ihm tobte ein Dämon, der danach verlangte, befreit zu werden, und Hagen konnte oder wollte sich ihm nicht widersetzen.

      Die Götter mussten wohl Pläne mit ihm haben, denn er lebte noch, als der Morgen graute. Irgendwie hatte sein Pferd einen ausgetretenen Pfad gefunden, dem es folgte. Hagen wusste weder wie lange er geritten war, noch wo er sich befand. Längst hatte er Tolbiacum und den unmittelbaren Herrschaftsbereich der Niflungen hinter sich gelassen, und noch immer fand er keine Ruhe. Der Hengst war schweißnass und zitterte von dem Gewaltritt. Im blassen Licht des beginnenden Tages konnte der Waffenmeister allmählich Einzelheiten seiner Umgebung ausmachen. Er gelangte an eine Brücke über einen Bach. Müde trottete das erschöpfte Pferd über die Holzplanken.

      Plötzlich wurde sein Weg von zwei Reitern versperrt. Der eine war von gedrungener Statur, besaß keine Zähne mehr, und seine Haut war voll hässlicher dunkler Flecken. Der zweite war groß und hager und vollkommen kahl. Er schien der Anführer zu sein, denn der andere wartete offenbar auf einen Befehl von ihm. Beide trugen abgewetzte Kleidung. Ihre Pferde waren vermutlich gestohlen.

      Brutal riss Hagen an den Zügeln. Schmerzvoll wiehernd kam sein Hengst auf der Brücke zum Stehen. Ein Instinkt veranlasste den Waffenmeister, den Kopf zu drehen. Hinter ihm kam ein dritter Reiter aus dem Gebüsch und schnitt ihm den Fluchtweg ab. Eine Unmenge Narben entstellten sein vielleicht einmal hübsches Gesicht.

      Mit schiefem Grinsen beobachteten ihn die drei.

      »Ein schönes Tier«, sagte der Kahlköpfige.

      »Und sieh dir seine kostbare Kleidung an«, bemerkte der Zahnlose an seiner Seite. »Das lohnt sich ja richtig.«

      Der Anführer der Wegelagerer sah den Waffenmeister an. »Steigt einfach ab und zieht Euch aus, vielleicht lassen wir Euch am Leben.«

      Hagen sagte kein Wort. Er studierte die Männer. Sie besaßen die Haltung von Kriegern, die das Kämpfen gewohnt waren. Ihre Schwerter waren einfach, aber das zerkratzte Eisen und die Scharten in den Schneiden verrieten, dass sie nicht nur als Schmuck dienten. Und er selbst hatte bei der kopflosen Flucht aus Tolbiacum versäumt, sein Schwert mitzunehmen.

      Kaltes Feuer erfüllte Hagen, als er seine Chancen abwägte. Etwas in ihm freute sich auf den bevorstehenden Kampf, sehnte ihn sogar herbei. Mit einer zärtlichen Bewegung zog er seinen Dolch, eine Damaszenerklinge. Der römische Händler hatte ein Vermögen dafür verlangt, aber die Waffe war jedes Goldstück wert.

      Die Wegelagerer lachten. »Er zieht seinen Dolch«, wieherte der Anführer, »wir sollten fliehen, solange wir noch können.«

      »Zu spät«, sagte Hagen und griff an. Mit einem Satz war er von der Brücke und drängte sein Pferd zwischen die beiden Krieger vor ihm. Die Verblüffung stand noch auf dem Gesicht des Zahnlosen, als ihm der Dolch mitten ins Herz fuhr. Er wollte etwas sagen und seiner Verwunderung Ausdruck geben, aber er war schon tot, noch ehe sein lebloser Körper den Boden berührte.

      Die Wegelagerer waren es gewohnt, dass ihre Opfer flohen, und brauchten einen Augenblick, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. Der Hagere fing sich als Erster, er war der gefährlichste der Männer. Mit wutverzerrtem Gesicht hieb er auf den Waffenmeister ein. Die Todesgefahr missachtend brachte Hagen sein Pferd näher an das des Gegners. Auf kurze Distanz war das Schwert wertlos. Hart bedrängt suchte der Hagere, dem mörderischen Blutdurst des Waffenmeisters zu entgehen. Sein überlegenes Grinsen war verschwunden; zum ersten Mal empfand er Angst angesichts dessen, was er im verschleierten Auge seiner vermeintlichen Beute erblickte.

      Der dritte Mann galoppierte über die Brücke, um seinen Kameraden zu Hilfe zu eilen, und näherte sich Hagen von hinten. Der warf sich zur Seite, um dem tödlichen Hieb zu entgehen. Das Schwert glitt ab und traf das Pferd, das einknickte und vor Schmerzen wieherte. Geschickt rollte sich Hagen ab und kam sofort wieder auf die Beine. Er wartete nicht, bis die Wegelagerer erneut angriffen. Mit einem Satz sprang er hinter dem Narbengesicht auf das Pferd und schnitt ihm die Kehle durch. Blut sprudelte in hohem Bogen hervor und besudelte den Waffenmeister, er beachtete es nicht. Seine Instinkte hatten die Herrschaft übernommen, und er überließ sich ihnen freudig. In ihm loderte die Flamme der Kampfekstase, er war erfüllt von einer dunklen, tödlichen Art von Jubel.

      Der Anführer der Wegelagerer nutzte die Gelegenheit und drang auf ihn ein, während Hagen den Leichnam des Narbigen vom Pferd kippte. Das Tier scheute, als es den Blutgeruch wahrnahm, diese Bewegung rettete ihm das Leben. Er wurde abgeworfen, der Stoß des Kahlköpfigen ging fehl. Wie der Blitz war Hagen auf den Beinen und stach nach dem Arm des Mannes, verfehlte ihn jedoch. Der Hagere hatte noch nie solch einen Dämon kämpfen sehen. Er wollte sein Pferd wenden und fliehen, aber der Waffenmeister stach dem Tier rücksichtslos den Dolch in den Leib, dass es ächzend zusammenbrach. Panisch befreite sich der Kahlkopf von dem Kadaver und schlug unkontrolliert nach seinem Gegner, doch sein Schicksal war bereits besiegelt gewesen, als er Hagens Weg gekreuzt hatte. Das Schwert fuhr in den Oberschenkel des Waffenmeisters, der es nicht einmal bemerkte. Mit Wucht rammte er dem Kahlkopf seinen Dolch in den Bauch, schlitzte ihn von oben bis unten auf, tobte und raste, bis er endlich registrierte, dass kein Leben mehr in dem zuckenden Bündel Fleisch war.

      Keuchend hielt er inne, sein Auge wurde wieder klar. Hagen erwachte aus seinem Blutrausch. Nur ungern ließ er das heiße Gefühl gehen, das ihn erfüllt und ihm für eine kleine Weile Wärme gespendet hatte. Nur ungern ließ er Kälte und Dunkelheit wieder in sich hinein. Er betrachtete das Blutbad, das er angerichtet hatte, und stöhnte. Es war viele Jahre her, dass er sich das letzte Mal der Berserkerwut überlassen hatte, und damals nur nach gründlicher Vorbereitung. Noch nie war die Verwandlung ungerufen über ihn gekommen. Hagen barg sein Gesicht in den blutigen Händen. Er hatte von dem Fluch gehört, der die ergriff, die sich zu oft in einen Mannwolf verwandelten. Die Grenze zwischen Mensch und Tier wurde kleiner, das Tier erlangte nach und nach die Herrschaft, bis der Berserker vergaß, dass er einst ein Mensch gewesen war. Er hatte solche gesehen, die den Weg zurück nicht mehr fanden. Sie mussten abgeschlachtet werden wie räudige Hunde, denn sie waren eine Gefahr für die menschliche Gemeinschaft. Der Waffenmeister stöhnte noch einmal. Er wollte nicht enden wie sie!

      Es hatte eine Zeit gegeben, da er nicht über die Folgen nachdachte. Damals war er stolz