sind, ist häufig Gegenstand von Diskussionen. Das Problem dabei ist nicht (oder nicht nur), dass kompensatorische Abmachungen schwer umzusetzen sind. Schließlich könnten Institutionen geschaffen werden, die Entschädigungen für „geschädigte Personen“ für vergangene Rechtsverstöße (bzw. Aspekte solcher Verstöße) vorsehen, ja selbst für Schäden, die nicht durch Rechtsverstöße verursacht werden. Man könnte auch Möglichkeiten finden, das Maß des angerichteten Schadens zu beziffern und festzustellen, wer wem geschadet hat. Dann würde man berechnen, wie viel Entschädigung wer bekommt und würde die entsprechenden Lasten verteilen.
Das Problem der Entschädigung für vergangene Taten ist auch nicht reduzierbar auf Nozicks Schwierigkeit, einen solchen Bewertungsmaßstab mit einer Theorie fundamentaler Rechte zu verknüpfen. Man könnte Entschädigungen für vergangene Verstöße (in Locke’scher Manier) auffassen als Ausgleich für Schäden, die einzig auf Rechtsverstöße zurückgehen (wofür man dann ein Äquivalent finden könnte) – und nicht als Weg, solche Rechtsverstöße zulässig zu machen. Doch selbst wenn man eine Entschädigung nur für solche Fälle vorsähe, denen eine Rechtsverletzung zugrunde liegt, müsste ein Anspruch auf Entschädigung doch klar vortragen, dass der frühere Verstoß immer noch Schäden nach sich zieht. Das ist eben häufig unmöglich, wenn der Schaden weit in der Vergangenheit liegt oder an geografisch weit entfernten Orten angerichtet wurde.
Es ist also nicht überraschend, dass viele Diskussionen über Entschädigungsrechte für vergangenes Unrecht sich auf Vorfälle konzentrieren, die weder in weit entfernten Ländern noch in weit zurückliegender Vergangenheit stattgefunden haben. Dazu gehören zum Beispiel anhaltende oder jüngere Verletzungen des Rechts auf Gleichbehandlung, die man dann durch Mittel wie Vorzugsbehandlung in der Ausbildung oder bei der Einstellungspraxis von Unternehmen auszugleichen versuchte. Doch soll Gerechtigkeit über Grenzen hinweg gelten, dann müssen wir uns auch in früherer Zeit oder weit entfernt geschehenen Rechtsverstößen zuwenden, was die Dinge erschwert. Das Unrecht des Kolonialismus und der Sklaverei wirft verstörende Fragen auf, die extrem schwer zu beantworten sind. Ist jeder Nachfahre eines einstigen Opfers von Sklaverei oder Kolonialherrschaft immer noch geschädigt durch diese mittlerweile alten und fernen Untaten? Und besteht eine solche Schädigung, können wir mit Bestimmtheit sagen, was sie verursacht hat, um eine angemessene Entschädigung festzusetzen? Können wir auch aufzeigen, wer für diese Entschädigung verantwortlich gemacht werden sollte?
Es besteht keinerlei Zweifel, dass jenen Menschen, die während der europäischen Expansion versklavt, überfallen und ihres Besitzes beraubt wurden, ein Unrecht geschah, das echte Schäden nach sich zog. Jeder würde dieses Unrecht als groben Verstoß gegen Rechte betrachten. Den Afrikanern, die man in die Sklaverei der Neuen Welt sandte, geschah Unrecht. Ebenso wie den indigenen Völkern in den USA, die man von ihrem Land vertrieb, auf dem sie vormals gejagt oder ihre Herden geweidet hatten. Aber auch jenen, deren Führer eine Souveränität an andere Mächte abtraten, von der sie nicht einmal eine Vorstellung hatten. Obwohl die europäische Invasion der nicht-europäischen Welt unter dem Deckmäntelchen wirtschaftlicher und politischer Transaktionen erfolgte, wurden dabei viele Rechte verletzt, wie so häufig in Zeiten massiven historischen Wandels.
Würden diese Untaten heute geschehen, würden sie als schwerwiegende Verbrechen betrachtet und die Forderung nach Strafe für die Täter und Entschädigung für die Opfer nach sich ziehen. Doch mit zunehmendem zeitlichen Abstand lassen sich ursächliche Verbindungen kaum noch ermitteln. Es ist mehr als ein Jahrhundert her, dass Joseph Conrad seinen Roman Herz der Finsternis schrieb, und wenig mehr als ein halbes Jahrhundert, dass die Kolonialreiche sich auflösten. Doch die Täter wie auch die Opfer der meisten dieser Untaten sind tot, und die Auswirkungen, die sie auf die kommenden Generationen hatten, zeigen komplexe Verästelungen.
Niemand bezweifelt, dass verschiedene Aspekte der Untaten von einst heute noch nachwirken, aber dieses Wissen allein genügt nicht, wenn wir herausfinden wollen, wer wem wofür Entschädigung leisten soll. Die internationale Ordnung der Gegenwart und die Lebensformen sowohl in der europäischen als auch der nicht-europäischen Welt wären auf kaum vorstellbare Weise anders, hätte die europäische Expansion nicht stattgefunden. Wir können einigermaßen sicher sein, dass kein Mensch der Gegenwart existieren würde, hätte es die massiven Bevölkerungsbewegungen und den ebenso umfassenden Wandel der Lebensverhältnisse im Rahmen dieser Expansion nicht gegeben. Die Menschen dieser möglichen Welt, in der jeder an seinem Ort geblieben wäre, wurden nie geboren. Würde ohne die europäische Expansion niemand von uns existieren, für welchen durch diese Expansion verursachten Verlust würde dann wer von uns Entschädigung erhalten oder leisten müssen?39 Könnte es nicht sein, dass einige der Nachkommen jener Menschen, denen Unrecht geschah, durch diese Entwicklung nun Vorteile genießen? Und dass manche, deren Ahnen Unrecht getan haben, heute Nachteile erleiden? Entschädigung ist erforderlich für aktuelle Schäden, die durch frühere Untaten entstanden sind, nicht einfach für aktuelle Nachteile, deren Ursache nicht zählt. Wenn wir diese kausalen Verbindungen nicht nachziehen können, können wir nicht angeben, wer von altem Unrecht profitiert hat und deshalb heute die Kosten der Entschädigung für jene tragen sollte, deren aktuelle Benachteiligung auf das alte Unrecht zurückgeht.
Es könnte daher für Liberale – aller Couleur – plausibler sein, für eine distributive – oder redistributive – Gerechtigkeit einzutreten, die zu handeln erfordert, um aktuelle Nachteile auszugleichen, auf welche Ursachen diese auch zurückgehen mögen. Wenn es unmöglich ist festzustellen, wer als Resultat welcher Untat zu leiden hatte, dann sind die Vorzüge des kompensatorischen Ansatzes begrenzt. Wenn wir heute nicht mit Sicherheit sagen können, welcher Personenkreis Nachteile erleidet, weil seine Ahnen Opfer vergangener Rechtsverstöße waren, und wer aus anderen Gründen Nachteile hinnehmen muss, dann ist ein Recht auf Entschädigung vielleicht nicht ganz so nützlich, wie seine Parteigänger annehmen.
Ein Seitenblick auf Rechte, Opfer und Entschädigung
Die Auseinandersetzungen zwischen Laissez-faire-Liberalen und Wohlfahrts- oder Sozialliberalen sind in der zeitgenössischen politischen und öffentlichen Debatte Alltag geworden. Sie werden auf jeder Ebene geführt, ob es nun um komplexe theoretische Begründungen geht oder um die Boulevardpresse bzw. das Gericht. Ich plädiere hier eher für ein Heraustreten aus dem Rampenlicht als für eine Lösung. Ich werde dafür drei Gründe nennen und dann versuchen, das Thema aus einem anderen Blickwinkel anzugehen, um zu sehen, ob sich da vielleicht Fortschritte erzielen lassen.
Der erste Grund, warum wir uns ein wenig im Hintergrund halten sollten, ist schlichte Vorsicht. Viel der bis dato beschrittenen Wege sind matschig und weisen zahlreiche Stolperfallen auf. Der zweite Grund ist meine Vermutung, dass der tieferliegende Grund für die Debatten zwischen Laissez-faire- und Sozialliberalen in ihren unterschiedlichen Konzepten von menschlicher Natur und Freiheit zu suchen ist. Diese Konzepte sind aber weit unterhalb der Ebene, über die in den Debatten verhandelt wird, angesiedelt, und die bestehenden Differenzen können im Rahmen einer Diskussion über angebliche Rechte auf Entschädigung auch nicht gelöst werden. Der dritte Grund ist, dass ich der Auffassung bin, es könnte an diesem speziellen Punkt wichtiger sein, was die zeitgenössischen Liberalen aller Lager verbindet. Das gilt im Besonderen für die Gründe, warum ein eigentlich wenig bedeutendes Thema wie das Recht auf Entschädigungen für beide Seiten so wichtig ist und was der eigentlich strittige Punkt in vielen ihrer Debatten ist.
Eine Theorie der Rechte stellt nicht nur die einzige ethische und politische Position dar, die Handlungsprinzipien für grundlegend erklärt und die Ansicht verwirft, dass man irgendetwas gegen einen wie auch immer gearteten Vorteil eintauschen könnte. Auch eine Theorie der Pflichten betrachtet Handlungsprinzipien als Gebote, die nicht um irgendwelcher Nützlichkeitserwägungen willen durchbrochen werden können. Doch viele liberale Diskussionen tun so, als wäre die Entscheidung für Rechte bzw. Pflichten als grundlegendem Element bloß eine Vorliebe für eine von zwei äquivalenten Ausdrucksweisen. Doch die Einforderung eines Rechts bleibt rein rhetorisch, wenn niemand die entsprechende Verpflichtung übernimmt. Schließlich ließen sich die Vorbehalte der Laissez-faire-Partei gegenüber Entschädigungsrechten für die Nachkommen von Sklaven und indigenen Völkern auch so zusammenfassen: Es kann ein solches