Onora O'Neill

Gerechtigkeit über Grenzen


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auflösen oder unterminieren würden. Also ging ich etwas vorsichtiger zu Werk.

      Kapitel 4, „Gerechtigkeit und Grenzen“, nimmt die Frage auf, ob der Anspruch auf universelle Gültigkeit der Gerechtigkeitsprinzipien genug Substanz bietet, um zu zeigen, dass Letztere sich tatsächlich über alle Grenzen hinweg erstrecken sollten. Meine Schlussfolgerung war, dass auch dieser Ansatz wenig überzeugend war, denn universelle Form und universelle Reichweite sind zwei verschiedene Dinge. Die Tatsache, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit formal universell sind, liefert keine Aussagen über ihre Reichweite oder über die Vorzüge bzw. Mängel der verschiedenen Formen von institutionalisiertem Kosmopolitismus. In Kapitel 5, „Ethische Überlegungen und ideologischer Pluralismus“, setze ich mich mit Problemen auseinander, die entstehen, wenn sich die Glaubensformen und intellektuellen Fähigkeiten jener Menschen unterscheiden, die von den verschiedensten Grenzen getrennt werden, was zur Folge hätte, dass sie Dingen und abweichenden Meinungen, die den anderen jenseits der Grenze völlig vertraut sind, nicht folgen können oder sich von ihnen nicht durch vernünftige Argumente überzeugen lassen. Kapitel 6, „Begrenzte und kosmopolitische Gerechtigkeit“, spinnt diese Überlegungen fort und vergleicht kommunitaristische Rechtfertigungen, die innerhalb gewisser Grenzen (oder „Sphären“) offensichtlich funktionieren, weshalb man diese auch als Grenzen der Gerechtigkeit betrachten müsse, mit den „semi-kosmopolitischen“ Positionen, die auf die Vorstellung der menschlichen Vernunft abzielen, wie sie John Rawls und viele andere vorgetragen haben.

      Das letzte Kapitel in Teil II, „Pluralismus, Positivismus und die Rechtfertigung der Menschenrechte“, untersucht die Möglichkeit der Rechtfertigung der Menschenrechte, wie sie in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg erklärt und weitgehend akzeptiert wurden. Die Menschenrechte sind ja nur eine Version der Idee, dass menschliche Wesen Rechte haben: eine einzigartig erfolgreiche und wirkmächtige Version, die jedoch nicht erhaben ist über philosophische Reflexion, Kritik oder (wenn möglich) Rechtfertigung. Eine Reihe herausragender politischer Philosophen haben umfassende Arbeit im Hinblick auf die Rechtfertigung der Menschenrechte geleistet, vor allem nach der Jahrtausendwende. Doch ein viel zu großer Teil dieser Diskussion bzw. der Verteidigung der Menschenrechte wird immer noch von einer Autoritätsperspektive aus geführt (und akzeptiert). Die Übereinkunft der Staaten, der internationalen Gemeinschaft, der Wohlmeinenden, wird häufig als ausreichend betrachtet, selbst von jenen, die eine autoritative Argumentation in vielen anderen Kontexten ablehnen würden. Hier versuche ich einen Weg aufzuzeigen, die aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte abgeleiteten Rechte zu verteidigen, ohne kontroverse metaphysische oder theoretische Forderungen zu stellen.

       Teil III: Grenzüberschreitendes Handeln

      Die Kapitel in Teil III wenden sich von den Argumenten für bestimmte Rechte ab und hin zu den Vorbedingungen für die Achtung und Verwirklichung von Rechten. Die Unbestimmtheit von Rechten – wie die Unbestimmtheit anderer ethischer Prinzipien – ist ganz wesentlich, wenn personelle und institutionelle Akteure unter den verschiedensten Umständen den Pflichten der Gerechtigkeit gehorchen sollen. Viele der Probleme, die entstehen, weil die Rechte angeblich „zu abstrakt“ sind, spiegeln nichts anderes wider als unhaltbare Ansichten zur Abstraktion und dazu, wie eine Beachtung solcher Rechte aussehen könnte. In diesen Kapiteln geht es um eine Reihe von Überlegungen, die von Bedeutung sind, wenn Rechte respektiert und verwirklicht werden sollen. Dazu gehört die notwendige Zuordnung der Pflichten des Gegenparts, die Fähigkeiten (Handlungsmöglichkeiten) der Akteure, auf die diese Zuordnung entfällt, und die Umstände, unter denen diese tätig werden können. Und auch hier beschäftigt sich das letzte Kapitel mit Fragen der Durchsetzung von Menschenrechten.

      Kapitel 8, „Von Edmund Burke zu Menschenrechten im 21. Jahrhundert“, setzt sich mit Edmund Burkes klassischer Kritik an der Abstraktion auseinander. Es geht davon aus, dass Burkes Denken auf die Möglichkeit der Institutionalisierung abstrakter Rechte weder abzielt noch sie unterminiert, sondern vielmehr erst möglich macht, dass sie unter den verschiedensten Umständen verwirklicht werden. Für Burke war Abstraktion weder vermeidbar noch fatal, sondern unverzichtbar, aber eben nicht ausreichend.

      Kapitel 9, „Von einer staatsorientierten bis zu einer globalen Konzeption von Gerechtigkeit“, tritt dafür ein, dass die praktischen Aufgaben der Umsetzung und Sicherung der Gerechtigkeit nicht an bestimmten Grenzen festgemacht werden sollten, sondern sich vielmehr auf die Handlungsmöglichkeiten (Fähigkeiten) der personellen und institutionellen Akteure konzentrieren sollten, die diese Gerechtigkeitsgrundsätze beachten und verwirklichen müssen. Im Besonderen muss ein praxisorientierter Ansatz des Nachdenkens über Rechte die speziellen Fähigkeiten und die Verschiedenheit nicht-staatlicher Akteure berücksichtigen, die keineswegs immer auf ein bestimmtes Territorium festgelegt sind und deren Aktivitäten häufig über Staats- und andere Grenzen hinwegreichen. Kapitel 10, „Globale Gerechtigkeit: Pflichten in der globalisierten Welt“, nimmt sich des Themas an, dass Rechte nicht ernst genommen werden können, wenn sie nicht in einer realistischen Konzeption der Fähigkeiten und Schwächen jener personellen und institutionellen Akteure verankert sind, die sie beachten sollen. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die höchst variable Natur von Grenzen und Begrenzungen zu legen und auf die spezifischen Formen des Ein- und Ausschlusses, die sie etablieren.

      Kapitel 11, „Akteure der Gerechtigkeit“, beschäftigt sich mit der versteckten Staatsorientierung vieler Theorien im Hinblick auf die praktischen Implikationen von Rechten und sondiert Möglichkeiten, wie ein breiteres Spektrum nicht-staatlicher Akteure ebenfalls zur Gerechtigkeit beitragen kann.

      Das letzte Kapitel in diesem Teil widmet sich, genau wie in Teil II, speziell den Menschenrechten. In Kapitel 12, „Die dunkle Seite der Menschenrechte“, wird untersucht, wie die Tatsache, dass die Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte in erster Linie Staaten zugewiesen wurde, die Debatte über deren Verwirklichung geprägt hat und welche Probleme entstehen, wenn man die Menschenrechte zu eng an staatliche Akteure bindet. Es ist nicht klar, wie weit die Reichweite der Gerechtigkeit ausgedehnt werden kann, wenn die Verpflichtungen, Rechte zu respektieren und zu realisieren, in erster Linie anti-kosmopolitischen Institutionen überantwortet werden.

       Teil IV: Grenzüberschreitende Gesundheit

      Die Aufsätze im letzten Teil präsentieren Überlegungen zu bestimmten Fragen im Zusammenhang mit Gesundheit und Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt. Gesundheit ist einer von mehreren Bereichen (das Klima und der technologische Wandel sind die anderen), in denen die Rolle von Staatsgrenzen bei der Festlegung der Reichweite der Gerechtigkeit besonders problematisch sein kann. Meiner Ansicht nach hat ein großer Teil der Arbeiten über Bioethik diese Realität zu wenig berücksichtigt. Gewöhnlich liegt das gerade nicht daran, dass diese sich offen nur an staatliche Akteure wenden würden (diese Prämisse bleibt häufig implizit),