Pierre Dietz

King Artus und das Geheimnis von Avalon


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       Juli 1996

      Seit Tagen fällt nachmittags zum Gezeitenwechsel langfädiger Regen. Marcel langweilt sich, da Sonnenbaden ausfällt. Nach dem Mittagessen legt sich Tante Louane auf die Couch, um ihrem »Augentraining« nachzugehen. Kurz darauf wechselt ihr Atmen zu gleichmäßigem Schnarchen über. Auf der Suche nach einer Beschäftigung durchstöbert Marcel den Keller. Die Werkstatt seines verstorbenen Onkels birgt kleine Schätze an Metallen, Hölzern, Gips, Farben, Nägeln und Schrauben, aus denen sich eine Landschaft für seine Modelle herstellen lässt. Gleich beim Betreten des verstaubten und mit Spinnweben durchzogenen Kellergewölbes fällt ihm die seit Jahren ungenutzte Angelausrüstung ins Auge. Manche Teile sind mit Flugrost überzogen. Insgesamt sind Ruten verschiedener Längen, Rollen unterschiedlicher Durchmesser und Schnurstärken sowie weiteres Zubehör in einwandlosem Zustand vorhanden. Mit ein wenig Kriechöl glänzen die oxidierten Stellen wieder. Die Spulen benötigen Fett und funktionieren wieder einwandfrei. Marcel packt das Jagdfieber und rüstet sich mit der längsten Angel, einer mittleren Rolle, der Reuse und einem Werkzeugkasten, der allerlei Haken, Bleikügelchen und Werkzeuge enthält, aus. Marcel zieht aufgeregt seine Regenjacke an, da wacht seine Tante auf.

      „Heute Abend essen wir Fisch!“

      „Ich habe schon alles für das Abendessen eingekauft“, murmelt Louane schlaftrunken.

      „Das essen wir morgen! Ein frisch gefangener Fisch schmeckt anders als das Zeug aus dem Supermarkt.“

      „Der Regen fällt in Strömen! Bei diesem Wetter bleibst du lieber im Haus. Ich bin jetzt wach.“

      „Bei Regen beißen die Fische am besten, habe ich mal gelesen.“

      „Lass uns Domino spielen.“

      „Ich brauche frische Luft!“

      „Enge ich dich ein?“

      „Ich denke nach. Hat nichts mit dir zu tun.“

      „Habe ich ein falsches Wort gesagt?“

      „Du hast geschlafen.“

      „Wäre ich deiner Meinung nach besser wach geblieben? Bist du sauer, weil ich geschlafen habe?“

      „Das ist absurd! Die Geschichte mit dem Glatzkopf belastet mich! Vielleicht kehre ich besser erst einmal nicht nach Paris zurück. Dieser Typ aus dem Zug weiß mit Sicherheit, wo ich wohne, und lauert mir am Ende vor meiner Haustür auf.“

      „Studiere in Brest! So bist du in meiner Nähe und kommst mich häufiger besuchen.“

      „In Brest? Was bitte, studiere ich in Brest? U-Boot-Technik? Meeresbiologie? Oder noch besser: bretonische Mythen.“

      „Was ist am Studium unserer Sagen auszusetzen?“

      „Wovon lebe ich später einmal? »Merlinplatte« mit »Artusmus« an

      »Vivianesoße« mit »Hinkelstein« garniert?“

      „Das ist nicht komisch! Eines Tages hast du den Lehrstuhl für bretonische Geschichte inne und lebst von den Büchern, die du zu dem Thema verfasst.“

      „Ich vergaß! Der Verkauf deiner Bücher hat dich zu einer wohlhabenden Frau gemacht, die zum Glück eine Witwenrente hat, weil die berühmte Schriftstellerin sonst längst verhungert wäre!“

      „Du frecher Lümmel! Gehe angeln! Und vor heute Abend brauchst du nicht wiederkommen! Ich fahre nach Quimper zum Schoppen – meine Witwenrente auf den Kopf hauen!“

      „Ich brauche einen Köder! Wo bekomme ich ein paar Würmer her?“

      „Bevor du mir den Garten umpflügst, fahre ich dich zum Hafen. Und danach an eine Stelle, wo du garantiert ein paar Fische fängst. Dein Ableben wegen Fischmangels wäre unverantwortlich. Für die Crêperie reichen meine bescheidenen Einnahmen aus den Buchverkäufen leider vorne und hinten nicht aus!“

      „Jetzt bist du zynisch!“

      „Dein Onkel ist statt mit Fischen immer mit einer Fahne zurückgekommen. So konnten wir nicht einmal mehr essen gehen!“

      „Unterstellst du mir, das Angeln als Vorwand für übermäßigen Alkoholkonsums vorzugeben?“

      Der Regen plätschert monoton aus dem grauen Himmel herab. Die Tropfen springen nach dem Aufschlagen munter in die Höhe. Marcel steht auf einem durch einen Sturm schwerbeschädigten Fischkutter, der schon lange ausgedient hat. Der Ladekran ist gebrochen und durch die offenen Luken ist das Gluckern eingedrungenem Wassers zu hören. Der Standort ist ideal, da der Angler bei Flut über tiefem Grund steht. Der Regen ist warm und der Wind weht sanft durch die Bucht. Der neon-orangene Schwimmer treibt munter tänzelnd auf dem trüben Wasser.

      Die Uferstraße ist menschenleer, und doch wähnt sich Marcel beobachtet. Ein alter Mann mit einer gelben Allwettermütze schlurft in hohen Gummistiefeln die Straße entlang. Deshalb erkennt Marcel weder die Größe der Ohren noch das Vorhandensein von Haaren. Der Greis watet neben dem Anlegesteg durchs Wasser und zieht über eine von Algen überwucherte Leine ein seeuntüchtiges Holzboot herbei. Die Farbe ist schon lange abgeblättert. Dennoch sind Reste hellblauer und weißer Flächen zu erkennen. Innerhalb der morschen Bordwände türmen sich undefinierbare Gerätschaften, die dort ihre Zeit als Treibgut beendet haben.

      Der alte Fischer zieht den Strick, der ihm als Gürtel dient, enger, rudert bis zur Mitte der Bucht und versenkt dort statt einem Anker, ein an einem zerschlissenen Tau seemännisch verknoteten Stein. Angeekelt nimmt Marcel zur Kenntnis, wie der Alte einen Wurm zwischen seinen Lippen hält. Der alte Seebär beißt ein Stück des wirbellosen Tieres ab und schiebt das sich windende Fleisch auf einen rostigen Haken. Marcel überkommt ein heftiger Würgereiz. Die Angelschnur ist auf einem Stück Holz aufgewickelt und gleitet über die lederne Hand des Alten ins Wasser. Der dunkelblaue Schwimmer aus Vorkriegszeiten kommt kurz unter der Wasseroberfläche zum Stehen. Kurze Zeit später landet der erste Fisch im Kahn. Mit einem großen Stock terminiert der erfahrene Angler das Leben seines Fangs durch einen gezielten Schlag auf den Kopf. Seine Zähne beißen dem Wurm ein weiteres Stück ab. Schnell schaut Marcel in eine andere Richtung. Innerhalb kürzester Zeit beenden drei dicke Fische auf ähnliche Art ihr Leben. Marcels grell leuchtende Pose tänzelt im Wasser nur munter auf und ab. Fische haben ein Faible für den Speichel alter Männer, mutmaßt der Glücklose. Umgehend verwirft Marcel angewidert den Gedanken, den Außenseiter nachzuahmen.

      Endlich verschwindet sein Bissanzeiger in der Tiefe. Bis sein Hirn die Veränderung registriert, vergeht eine Weile. Mit einem übertrieben heftigen Ruck reißt der Anfänger seine Angel in die Höhe und seine zitternden Hände rollen den leeren Haken herauf. Der Betagte lichtet seinen »Anker« und rudert gemächlich, als existiere die Zeit für ihn nicht, gegen die einsetzende Ebbe zum Ufer zurück. Dort vertäut der Alte sein Boot mit einer blau-weißen Kordel aus Kunststoff, an einem rostigen Ring an der Mole. Dann schlurft der Weißhaarige in aller Ruhe zu Marcel.

      „Beißen die Fische?“

      „Meine Würmer jedenfalls nicht!“

      „Zeige mir deinen Köder!“

      Marcel öffnet die Weißblechdose, in der sich seine Mehlwürmer winden.

      „Der Händler hat dich reingelegt! Das sind die Falschen! Nimm in Zukunft die breiten Sandwürmer! Ich gebe dir ein paar von meinen. Mit ihnen hast du mehr Glück!“

      „Vielen Dank! Herr …“

      „Nenne mich Père Albert! Im Ort kennt mich jeder unter diesem Namen. Du bist nicht aus »La Forêt«?“

      „Ich lebe in Paris, aber meine Mutter stammt aus der Gegend.“

      „Du