und sah auf seine Uhr. Das konnte sie schon sein, wenn sie sich beeilt hätte. Er kletterte vorsichtig von seinem präparierten Fundort hinauf auf den kleinen Felsvorsprung, von dem aus man die Straße überschauen konnte. Ein Kleinwagen näherte sich der Haarnadelkurve und Gernot Hübner, der sich am Telefon als Häusler vorgestellt hatte, griff in seine Jackentasche. Hier befand sich ein Opernglas, womit er das ankommende Auto unter die Lupe nehmen wollte. Das Opernglas hatte sich in der engen Tasche verklemmt und Gernot zerrte wütend und ruckartig daran herum. Zu ruckartig für den vorgeschobenen, Jahrtausende alten Teil der Felsplatte, wie sich unmittelbar darauf herausstellte.
„Verdammt“, fluchte der ehemalige Stasi-Offizier und polterte zusammen mit mehreren Zentnern lockeren Gesteins den Steilhang hinunter. Es war der letzte Fluch, der ihm in seinem siebenundvierzigjährigen Leben vergönnt war.
Sabrina erreichte keuchend vom steilen Aufstieg den Punkt, den ihr der Anrufer beschrieben hatte. In einer kleinen Mulde lag tatsächlich ein großer Hammer oder ein Beil. Es war alles so, wie es der Mann am Telefon beschrieben hatte. Nur von dem Anrufer selbst war weit und breit nichts zu sehen. Sie hatte ihren Elektroschocker in der Hand, die in der rechten Manteltasche steckte. Wenn sie hier einer austricksen wollte oder noch Schlimmeres mit ihr vorhätte, dann würde er sich wundern.
Nach einer Stunde Wartens war Sabrina dann klar, dass der mysteriöse Anrufer nicht nur mal eben für kleine Jungs hinter die Büsche gegangen war. Sie nahm ihr Handy und rief in der Redaktion an.
„Wo bist du, Schätzchen?“, fragte Henriette gelassen. „Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.“
Sabrina erzählte ihr die ganze Geschichte und Henriette fing an zu lachen.
„Da hat dich aber einer hochleben lassen, Sabrina“, prustete sie in den Hörer. „Die untere Denkmalschutzbehörde macht doch nie und nimmer hobbymäßige Ausgrabungen. Und selbst wenn, dann würden sie bei einem interessanten Fund sonst wen anrufen, aber nicht uns.“
„Ich verstehe nicht“, sagte Sabrina, die sich darüber ärgerte, dass sie von Henriette ausgelacht wurde. „Der Hammer liegt aber hier vor mir, das wenigstens wirst du mir doch glauben?“, schimpfte sie in ihr Mobiltelefon.
„Sei nicht sauer, Schätzchen“, sagte Henriette jetzt aus Sabrinas Hörer.
„Ich will dich nicht beleidigen. Wenn ich es mir recht überlege, ist es das Beste, wenn du sofort von dort verschwindest. Wer weiß, was für ein Verrückter dir da einen Streich spielen will.“
Henriette klang plötzlich wirklich besorgt und Sabrina wurde mit einem Schlag ihre heikle Situation bewusst. Ganz allein stand sie auf einem einsamen Felsvorsprung in menschenverlassener Gegend. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie beeilte sich zu sagen: „Du hast völlig recht, Henriette, ich haue hier ab. Bis gleich!“
„Bring die Axt mit, Sabrina!“
„Wir haben es eben erst erfahren, dass der Donnerhammer verschwunden ist, während du hier schliefst. Huginn sah ihn, als er das Kyffhäusergebirge überflog. Und wie du weißt, irrt er sich nie. Ich glaube aber, Mjöllnir ist diesmal in nicht so großer Gefahr wie damals bei Thrym, dem Eisriesen. Vermutlich hat ihn ein Sterblicher, der doch ohnehin nichts mit ihm beginnen kann und sehr wahrscheinlich einer von denen, die du hier empfangen hast.“
Odin saß auf einem Felsvorsprung und Huginn flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Thor war die ganze Geschichte sichtlich peinlich und er dachte angestrengt nach, was zu tun sei, ohne allerdings dabei irgendein brauchbares Ergebnis zu erzielen.
„Dann werde ich ausziehen und ihn zurückholen wie einstens, da ich als junges Weib verkleidet den Riesen narrte“, warf er sich schließlich in die Brust, weil er fest daran glaubte, dass Angriff die beste Verteidigung sei. „Wie ein Sturmwind werde ich über die Sterblichen hinwegfegen und alle töten, die sich mir entgegenstellen“, legte er in heroischem Tonfall nach, als er sah, dass sein Vater nicht reagierte und angestrengt schwieg.
„Und was wirst du tun, wenn sich dir gar kein Sterblicher entgegenstellt?“, hakte Odin ein. Thor meinte, einen leicht aggressiven Unterton aus der Replik seines Vaters herausgehört zu haben und beschloss, lieber nicht nach Widerworten zu suchen.
„Es hat keinen Sinn, wild um sich zu schlagen und Wut bringt uns hier nicht weiter“, fuhr der Göttervater unbeirrt fort. „Ganz im Gegenteil müssen wir listig vorgehen. Ich habe schon deine Söhne Magni und Modi in Bewegung gesetzt und unweit der Stelle, an der wir hier sprechen, operiert Freya inkognito.“
„Sie tut was?“, fragte Thor bestürzt.
„Sie ermittelt im Verborgenen!“
„Oh, da bin ich aber beruhigt“, atmete Thor auf.
„Du wirst dich ebenfalls in diese Stadt Nordhausen begeben, wo wir den großen Donnerhammer vermuten. Ihr holt ihn auf die gleiche Weise wie damals zurück. Verkleidet euch und erregt möglichst wenig Aufsehen. Das können wir momentan nicht gebrauchen und es darf aus dieser Aktion nicht das Ragnarök, die Götterdämmerung, entstehen.“
Thor stand da wie ein mit verdorbenem Met begossener Bär und brummte zustimmend.
„Du weißt, dass der Zeitfaden an einem Spinnrad der drei Nornen entsteht. Manchmal kann er sich verhaken und dann kann es passieren, dass sich bereits geschehene Ereignisse wiederholen. So ist es nun mit dem Raub Mjöllnirs passiert. Ich hoffe nur, die Heimholung Mjöllnirs gehörte nicht zu den ewig zyklisch wiederkehrenden Dingen“, seufzte der oberste Gott.
Der tiefschwarze Rabe Huginn setzte sich wieder auf Odins rechte Schulter und steckte den Kopf ins Gefieder, wie es sein Artgenosse Munnin schon seit einer ganzen Weile auf der linken tat. Thor erahnte, dass ihr Gespräch damit beendet war und ihm eine anstrengende und aufregende Zeit bevorstand. Er griff sich seine eisernen Handschuhe und beeilte sich, seinem Vater aus der Höhle zu folgen.
Frieda glaubte anfänglich, das Gewand sei nicht in ihrer Größe vorrätig gewesen und sie müsse deshalb ein so kurzes Teil anziehen. Die Haarschneiderin nannte es erst Minikleid und später, recht anzüglich grinsend, „das kleine Schwarze“. So konnte Frieda nun nicht nur ihre eigenen Knie sehen, sondern auch einen Großteil ihrer Oberschenkel. Aber, so stellte sie wohlwollend fest, die konnten es mit allen anderen Frauenbeinen, die hier in der Vorhalle des Theaters herumliefen, ohne weiteres aufnehmen. Ihr blieben die bewundernden Blicke vieler Männer nicht verborgen. Auch nicht die neidvollen und hasserfüllten von deren Eheweibern. Neben ihr schwitzte Lothar Lehmann in einem hochgeschlossenen, schwarzen Zweireiher. Er hatte eine rote Fliege um seinen fetten Hals gewürgt und trug ein schneeweißes Oberhemd. Allerdings roch er schon jetzt entsetzlich nach Schweiß und Frieda mochte nicht daran denken, wie das später im prall gefüllten Zuschauerraum sein würde. Die Friseurin hatte ihr den ganzen Ablauf und alle Räume wahrhaft haarklein beschrieben, sodass Frieda sich nur wundern konnte, wie exakt alles stimmte. Jetzt bogen sie in den Saal ein und hier staunte Frieda über die imposante Bühne, die von einem schweren, samtroten Vorhang verhüllt war, auf dem verschiedenfarbige Scheinwerfer faszinierende Lichtspiele zauberten. Die Bühnenportale waren in schlichtem Grau gehalten und ragten hoch in den Raum. Zwei Ränge überdachten das Parkett zur Hälfte und in der Mitte der Saaldecke prangte ein beeindruckender, gläserner Kronleuchter. Die Sitzreihen waren mit ebenfalls samtigen, in bordeauxrot gehaltenen Sesseln versehen, die man nach unten klappen musste, wenn man darauf sitzen wollte. Von allen Seiten strömten Menschen in festlicher Garderobe zu ihren Plätzen. Der Raum war erfüllt von Getuschel und Gewisper, hin und wieder erklang ein lautes Lachen.
„Im ersten Teil kann sich Wotan also am Ende dank Loges Hilfe gegen Alberich durchsetzen und sie kehren mit ihm zurück auf ihre Burg. Hier nehmen sie Alberich alles wieder ab; den Nibelungenhort, den Tarnhelm und am Ende den Ring. Jetzt verflucht Alberich den Ring und steigt hinab nach Nibelheim“, dozierte Lehmann