Olaf Schulze

Götterhämmerung & Walkürentritt


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sie eine eigene Familie planen. Je mehr sie aber über diesen, ihren Lebensplan nachdachte, desto unsicherer wurde sie, ob er tatsächlich so perfekt war, wie er ihr noch vor wenigen Jahren beim Studium erschienen war. Inzwischen entließen die großen Verlage und Zeitungen reihenweise ihre Redakteure. Und das waren keine schlechten Vertreter ihrer Zunft, die sich nun um die verbliebenen Plätze an der printmedialen Futterkrippe balgten. Manchmal dachte sie, es wäre besser gewesen, sie hätte damals zur Paläographie gewechselt und würde nun in einer heimeligen Forscherstube eines renommierten Museums sitzen und alte Schriftzeichen des Mittelalters entziffern. Stattdessen lief sie jeden Tag in die langweilige Redaktion der einzigen Tageszeitung vor Ort und wertete Polizei- und Feuerwehrberichte aus. Die Masse der Nachrichten beinhaltete Pressemeldung der Stadtverwaltung mit dem Inhalt, wann welche Straße voraussichtlich für wie lange wegen Bauarbeiten vom Straßenverkehr ausgeschlossen sein würde. Die von ihr zu erfassenden Leserbriefe drehten sich inhaltlich um Hundekot auf öffentlichen Plätzen oder Beschwerden darüber, dass die Sperrung einzelner Straßen nicht pünktlich genug in der Zeitung angekündigt worden war.

      Ihr gegenüber saßen ihre Kollegin Henriette Wildt und der junge Fotograf Enrico Neumeister, ebenfalls auf ihren Drehstühlen, und versuchten die morgige Lokalausgabe mit brauchbaren Beiträgen und Fotos zu füllen. Henriette hatte gerade einen Leser am Telefon, der sich offenbar über die schlechte kulturelle Grundversorgung im gesamten Landkreis unter besonderer Berücksichtigung der viel zu dünn gesäten Volksmusikveranstaltungen im Gegensatz zum ewigen Bumbum-Geratter der jungen Generation in diesen grässlich lauten Diskotheken erregte. Am Beginn des Anrufes, der schon einige Minuten zurücklag, hatte Henriette immer laut die wilden Anschuldigungen des Anrufers wiederholt, damit die beiden anderen in der engen Redaktionsstube auch etwas zu lachen hatten. Aber solcherlei Scherze sind kurzlebig und auch Henriettes Gesicht deutete inzwischen nicht mehr auf irgendeine Form von Vergnügen hin. Sabrina sah zum Fenster hinaus, genauer gesagt spähte sie durch einen Schlitz der fast geschlossenen Jalousie und dachte an gar nichts. Ein Zustand, der sich immer dann bei ihr einstellte, wenn sie den Polizeibericht bearbeiten musste. Wie aus weiter Ferne hörte sie Henriette sagen: „Ich bin ganz Ihrer Meinung, das ist wirklich bedauerlich. Ich werde Ihre Anregungen mit in die Redaktionskonferenz nehmen und ganz bestimmt darüber schreiben. Ja, wenn ich es Ihnen doch sage. Verlassen Sie sich auf mich. Nichts zu danken. Wiederhören. Idiot.“

      Sie hatte den Hörer auf die Gabel geknallt und stand ruckartig auf.

      „Was man sich hier alles bieten lassen muss! Was denkt sich denn dieser Blödmann, was wir hier den ganzen Tag über machen? Er hat doch allen Ernstes behauptet, wir würden absichtlich nichts über Volksmusik bringen, weil wir Absprachen mit den örtlichen Diskotheken hätten und uns von denen bezahlen ließen.“

      Henriette war richtiggehend aufgebracht, was ihr nicht oft passierte, denn sie hatte einen eher ausgeglichenen Charakter. Böse Zungen bezeichneten sie als phlegmatisch, ein noch geringerer Teil der Einwohnerschaft hielt sie für schlichtweg faul und desinteressiert. Diese wenigen Leute unterstellten ihr, sie würde in den Redaktionsstuben des Kreisanzeigers nur auf die nahende Rente warten, die in überschaubarer Zeit ihrem journalistischen Treiben ein Ende setzen sollte. So drückte es jedenfalls Henriette selbst aus und wurde nicht müde, ihren baldigen Ruhestand immer wieder ins Gespräch zu bringen. Das hatte zur Folge, dass sie auch in der Redaktion mit keinen großen Sonderaufgaben mehr betraut wurde. Denn sie ging ja ohnehin bald in Rente. Wann genau das war, wusste außer ihr kaum jemand.

      Sabrina konnte Henriette gut leiden, ihr gefiel die bedachte, nichts überstürzende Art der älteren Kollegin und ihr Scharfsinn, wenn es um Falschmeldungen ging. Henriette Wildt ließ sich so leicht nichts vormachen. Sie konnte wunderbar im Stile der Yellow-Press schwadronieren und sich über Nebensächlichkeiten unendlich ausbreiten. Sie sagte dann für gewöhnlich: „Nur immer her mit der Nachricht, auch wenn sie noch so unbedeutend ist. Ich blase sie auf, bis sie platzt.“

      Aber sie setzte keine Falschmeldungen in die Welt. Für Sabrina war sie eine Arbeitskollegin, von der sie etwas lernen konnte. Und viel konnte sie bei diesem kleinen Wurstblatt nicht lernen. Henriette streifte sich ihren Mantel über und verabschiedete sich zu einer Pressekonferenz im Landratsamt. Auch Enrico nutzte diesen Termin, um aus dem muffigen Büro zu entkommen.

      Sabrina hatte den Aufbruch der beiden kaum registriert und starrte immer noch aus dem Fenster, als ihr Telefon klingelte. „Kreisanzeiger, Donath, guten Tag“, sagte sie freundlich. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Mein Name ist Häusler und ich bin Mitarbeiter der unteren Denkmalbehörde im Landratsamt Nordhausen. Wir sind gerade bei einer hobbymäßigen, archäologischen Untersuchung im Kyffhäuser und haben dort eine bemerkenswerte, offensichtlich sehr alte Streitaxt gefunden. Genauer gesagt sieht das Ding aus wie ein Hammer. Sind Sie daran interessiert?“

      Sabrina war auf dem besten Weg in die Hörmuschel zu kriechen, sie hegte mehr Interesse an dieser möglichen Story, als sie für einen Sechser im Lotto gezeigt hätte. Dennoch bemühte sie sich eine routinierte Professionalität auszustrahlen und antwortete so kühl und nüchtern sie nur konnte: „Das klingt interessant. Wann und wo kann ich den Fund sehen?“

      „Wie wäre es mit sofort?“, fragte der Denkmalpfleger Häusler zurück.

      „Das passt mir prächtig“, sprudelte Sabrina viel zu schnell hervor. „Ich bin auf dem Weg. Wo finde ich Sie?“

      Am anderen Ende entstand eine Pause, die Sabrina im Bereich einer jungen Unendlichkeit ansiedelte, aber in Wahrheit nicht länger als fünf Sekunden währte. Dann hörte sie klare, detaillierte Instruktionen, wo sie sich einfinden sollte.

      Gernot Hübner schaltete sein Handy aus. Er war zufrieden. Schon viele Jahre hatte er seit dem Umsturz der Konterrevolution und dem damit verbundenen Untergang der DDR mit sich gerungen, was er mit dieser merkwürdigen Axt anfangen sollte. Seitdem er sie Anfang der Achtzigerjahre von dem Spezialauftrag aus der Höhle im Kyffhäusergebirge mitgebracht hatte, drängte es ihn regelrecht physisch, sie wieder los zu werden. Dabei würde er immer noch seine gesamte Ordensammlung hergeben, wenn er erfahren könnte, was damals in dieser stürmischen Oktobernacht eigentlich passiert war. Gemeinsam mit zwei anderen Genossen hatte er einem anonymen Hinweis aus der Bevölkerung nachgehen sollen, nachdem sich in den Bergen ein Mann verbarg, der wie der rotbärtige Kaiser Barbarossa aussah und sich verdächtig benahm. Sie hatten tatsächlich einen versteckten Höhleneingang gefunden und waren hinein gegangen. Seine nächste Erinnerung war, wie er wieder in der Einsatzzentrale stand und sein höchst zufriedener Oberstleutnant ihn auszeichnete für die ehrenhafte Ausführung seines Auftrages. Als er schließlich nach Hause gekommen war, hatte er diese riesige Axt auf dem Rücksitz seines Moskwitschs gefunden. Er hatte sie in einem alten Öllappen im Garten vergraben, doch über die Jahre wurde um diese Stelle das Terrain immer größer, auf dem einfach nichts wachsen wollte. So hatte er das Ding schließlich an einem alten, stillgelegten Kiesschacht nahe der Kreisstadt Nordhausen vergraben, wo ohnehin nichts wuchs.

      Als die Westdeutschen dann wie die Vandalen über seine sozialistische Heimat herfielen, begann sein eigentlicher, innerer Kampf. Gernot wusste wohl, dass er das Gerät gewinnbringend verkaufen könnte. Nein, nicht an die Holländer, die alles mit sich schleppten, was über dreißig Jahre alt war und dafür nur ein Spottgeld bezahlen wollten. Er würde auf die passende Gelegenheit warten, beschloss er. Lieber schlug er sich noch einige Jahre so schlecht und recht durch. Dieses garantiert sehr wertvolle, alte Stück sollte seine Rentenversicherung sein. Schließlich hatte er seine Knochen immer hingehalten zu DDR-Zeiten und niemand hatte es ihm gedankt.

      Aber die Gelegenheit kam nicht und die Jahre vergingen. Gernot wurde immer verbitterter. Sozialhilfeempfänger war er und seine geheimen Reserven neigten sich schon bedrohlich dem Ende entgegen. Da war ihm die Idee gekommen, so zu tun, als hätte er die Axt eben erst gefunden. Dann würde sich herausstellen, wer sich mit wie viel Geld dafür interessierte. Die kleine Redakteurin, die er da gerade an der Strippe hatte, war sofort auf seine Geschichte angesprungen und nun musste er sie nur überreden, das wahrscheinlich frühmittelalterliche Teil zu fotografieren. Er würde ganz ruhig abwarten, welche Reaktionen die Veröffentlichung auslösen würde. Notfalls