Wolfgang Machreich

360° um die Welt


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dicke Luft lässt den Handel mit skurrilen „Lungentees“ und „Sauerstoffcocktails“ boomen. Die WHO empfiehlt statt diesen teuren Placebos die schmutzigen Kohleöfen durch sauberere Alternativen zu ersetzen. 2017 gab Regierungschef Ukhnaa Khurelsukh stattdessen die Verteilung von Luftreinigern im Wert von 1,3 Millionen Euro an allen Schulen in Auftrag. Viele sehen darin eher eine Quersubventionierung von Unternehmen und weniger eine Maßnahme zur Verbesserung der Luftqualität. Umwelt-Aktivist Tumendalai Davaadalai ist sicher recht zu geben, wenn er meint: „Luftreiniger geben keinen Sauerstoff ab wie Pflanzen.“

       Berühmt, berüchtigt, beneidet für:

      „Tau Tau“ sind nach dem Abbild eines Verstorbenen geschnitzte Holzfiguren. Sie werden vom Volk der Toraja auf der Insel Sulawesi vor den Gräbern aufgestellt. Berufe in der „Tau Tau“-Fertigung dürfen nur von bestimmten Menschen ausgeübt werden.

Fläche: 1.904.569 Quadratkilometer, dreimal so groß wie Frankreich
Einwohner: 255.461.700, viermal so viele wie Frankreich

      Dampfwalzen-Islam

      Indonesien ist ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen. Das Land besteht aus rund 17.000 Inseln und ist mit mehr als 190 Millionen Wählern die drittgrößte Demokratie der Welt. Knapp neunzig Prozent der Indonesier sind Muslime. Indonesien ist damit das bevölkerungsreichste muslimische Land und bekannt für seine moderate Form des Islams. Sowie als Beispiel, dass Islam und Demokratie durchaus miteinander vereinbar sind. Seit einiger Zeit gewinnen jedoch radikale Kräfte an Einfluss.

      In einer öffentlichkeitswirksamen Aktion in Jakarta rollte während des islamischen Fastenmonats Ramadan im Frühjahr 2019 eine Dampfwalze über rund 18.000 Flaschen illegal hergestellten Alkohols: „Die Aufgabe der Gemeinschaft ist es, die Nachfrage zu senken“, kommentierte Bürgermeister Anies Baswedan die Aktion. Während des Ramadans stellen die Behörden regelmäßig die Zerstörung großer Mengen Alkohol zur Schau, um Muslime vom Trinken während des Fastenmonats abzuhalten. Der Alkoholkonsum wäre Muslimen eigentlich ganzjährig verboten. Die meisten indonesischen Muslime leben aber eine tolerantere Auslegung ihres Glaubens. Alkohol ist zudem in Bars und Nachtclubs der größeren Städte sowie in Touristengegenden wie Bali verfügbar.

      Der Nikab ist in Indonesien umstritten.

      Neben dem Alkohol ist der Gesichtsschleier ein umstrittenes Thema in Indonesien, berichtet „ dpa“-Korrespondent Ahmad Pathoni. Vor zehn Jahren, schreibt er, war der Nikab, der schwarzen Schleier, der von einem Frauengesicht nur den Augenschlitz freilässt, noch die große Ausnahme. Muslimische Frauen in Indonesien tragen üblicherweise ein Kopftuch, das die Haare, nicht aber das Gesicht bedeckt. Inzwischen ist aber auch in Indonesien eine kleine, jedoch wachsende Minderheit Frauen dazu übergangen, nur noch mit Nikab auf die Straße zu gehen „Heute erntet man kaum noch verdächtige Blicke“, sagt Nikab-Trägerin Juanita Vyatri, die in ihrem Beruf Apps für Mobiltelefone entwickelt: „Ich glaube, dass das die Leute hier inzwischen akzeptieren.“

      Korrespondent Pathoni widerspricht: „Die Frage, ob Frauen in der Öffentlichkeit ihr Gesicht verhüllen dürfen oder nicht, sorgt immer wieder für Debatten.“ Indonesien versteht sich als ein säkularer Staat. Unter anderem der Nikab ist jedoch ein Indiz, dass religiöse Fundamentalisten an Einfluss gewinnen. „Das scheint harmlos zu sein. Aber wir sollten uns darüber bewusst werden, welches Gedankengut damit verbreitet wird“, sagt der Schüler Yahya Cholil Staquf in dem dpa“-Bericht. Deshalb sollte der Nikab im öffentlichen Raum verboten werden: „Man muss die Leute erkennen können.“ Nikab-Trägerinnen setzen sich stattdessen offen zur Wehr, dass sie zum Symbol für eine vermeintliche Radikalisierung des Landes gemacht werden. Staatspräsident Joko Widodo ist um Beruhigung bemüht und versichert: „Der Islam war in Indonesien stets friedlich und tolerant. Daran wird sich nichts ändern. Pluralismus gehört zu unserer DNA.“ Die Ernennung eines konservativen Geistlichen zu seinem Vizepräsidenten war dann wohl eine Genmanipulation

      Gräber geschmückt mit Tau-Tau-Holzfiguren

       Berühmt, berüchtigt, beneidet für:

      Der Ho-Chi-Minh-Pfad, nach dem nordvietnamesischen Präsidenten benannt, war während des Indochinakrieges und des Vietnamkrieges ein wichtiges Wegenetz. Um die Wege von der Luft aus zu erkennen, wurde zur Entlaubung „Agent Orange“ gesprüht.

Fläche: 331.690 Quadratkilometer, vergleichbar mit Finnland
Einwohner: 95.415.000, mehr als 17-mal so viele wie Finnland

      Atheismus light

      Vietnam ist ein wundervolles Land mit wundervollen Menschen, denen auch Jahrzehnte des Kommunismus ihre religiösen Traditionen und Bräuche nicht austreiben konnte. So ziehen Vietnamesen jeden Alters kurz vor „Tet Nguyen Dan“ dem Fest des neuen Jahres nach dem Mondkalender, zu den Brücken ihres Landes und werfen Goldfische in die Flüsse. „Wir glauben, dass der Küchengott die Fische nach oben in den Himmel bringt“, erklärte eine 17-Jährige den Brauch der Deutschen Presse- Agentur: „Deshalb kauft sich jede Familie ein paar Goldfische und lässt sie im Fluss frei. Damit sie im neuen Jahr Glück hat.“ Das Aussetzen der Fische ist nur eines von vielen Ritualen – erstaunlich für ein Land, das mit Religion offiziell nur wenig anzufangen weiß, wundert sich der Auslandskorrespondent.

      Vietnamesische Neujahrstradition: Goldfische aussetzen

      Offiziell firmiert der kommunistische Einparteienstaat unter den Ländern mit dem geringsten Anteil gläubiger Menschen. Achtzig Prozent gehören keiner Religion an, elf Millionen sind Buddhisten, sechs Millionen Katholiken, eine Million Protestanten. Das hält die Vietnamesen aber nicht davon ab, in den Tagen vor Tet die alten Bräuche zu pflegen. Dazu gehört auch, kleine Pfirsich- und Mandarinenbäumchen zu kaufen. Ihre Blüten sollen „blühende Zeiten“ bescheren; die Mandarinen stehen wiederum für Fruchtbarkeit. Ein Grund dafür, sie gerne an junge Paare zu verschenken.

      Pfirsichblüten sollen blühende Zeiten bringen.

      Nguyen Minh Thuyet, früherer Vorsitzender des Kultur-Ausschusses der Nationalversammlung, sagte im dpa-Gespräch: „Die Vietnamesen glauben immer noch an die Rituale von Tet. Und zwar mehr noch als früher.“ Ob jemand gläubig ist oder nicht, spiele keine Rolle: „Das ist ein gemeinschaftliches Ereignis für alle.“ Die Kommunistische Partei toleriert mittlerweile die alten Praktiken, die sie früher abschaffen wollte. Thuyet sieht die Rituale nicht nur positiv. Für ihn sind die Bräuche Ausdrucksmittel eines zunehmenden Materialismus im neuen Wirtschafts-Tigerstaat: „Früher haben die Leute für ihre Gesundheit gebetet. Jetzt beten sie auch für mehr Geld und für ihre Karriere.“

      Oder für einen Ehepartner. Im konservativen Vietnam entwickeln sich Schein-Hochzeiten zum boomenden Geschäft: Unverheiratete