ich die Kraft dieser Worte. Louise hatte wieder den Glauben an mein Können geweckt.
Gäbe es einen Preis fürs Zweifeln, ich würde ihn immer wieder aufs Neue gewinnen, die Preise fürs Vermeiden und Aufschieben gleich dazu. Nur noch vier Wochen Zeit, um den Roman abzugeben? Na wunderbar, dann kann ich ja vorher noch die Wohnung renovieren! Picobello aufgeräumt ist sie sowieso, das mache ich, anstatt zu plotten, immer in der Anfangsphase – wenn der Abgabetermin noch Lichtjahre entfernt ist. Kein Wunder, dass kurz vor Abgabe alles im Chaos versinkt, dass Termine gestrichen und Telefone ausgeschaltet werden.
Wäre nicht Louise am anderen Ende der Republik, und würde sie nicht ebenso nachsichtig wie geduldig anschieben, wer weiß, ob ich jemals einen Roman fertig geschrieben hätte?
Nach jedem Roman schwöre ich Stein und Bein: Beim nächsten Mal wird alles anders – bis wieder der Abgabetermin steht und ich anfange, die Wohnung zu putzen …
Bis vor einiger Zeit war ich davon überzeugt, der einzige Mensch mit diesem Problem zu sein. Wenn ich mir aber die zahlreichen Internetforen und Schreibratgeber ansehe, dann scheinen außer mir noch ein paar andere Autoren an Aufschieberitis zu leiden. Dabei bin ich stets bestens vorbereitet: Das Treatment ist ausgearbeitet, die Figuren sind festgelegt, sogar das erste Kapitel steht – an Fleiß mangelt es mir nicht.
Warum ich trotzdem nicht anfangen kann? Weil ich Angst habe. Es ist nicht leicht, diesem Gefühl auf die Schliche zu kommen. Um nicht entdeckt zu werden, täuscht sie mich, die Angst, gibt sich als Faulheit aus oder versteckt sich in dringenden Vorhaben wie Aufräumen müssen, Blumen gießen und E-Mails schreiben.
Um die Angst zu entdecken, muss ich aufmerksam in mich hineinhorchen. Dann höre ich, wie die Stimme des Zweifels mir einflüstert: „Du kannst das nicht. Du bist nicht gut genug. Du schaffst das nicht.“ Die meisten Autoren kennen ihn, den gefürchteten Zensor, der verhindern will, dass man schreibt, sich damit blamiert, sich dafür schämt.
Insofern ist meine Angst berechtigt. Sie will verhindern, dass ich mich bloßstelle. Nur reagiert sie die meiste Zeit völlig hysterisch.
Es dauerte viele Jahre, bis ich das begriff und dabei erkannte, dass meine Schreibangst einen tiefen Sinn hat. Sie sorgt dafür, dass ich erst anfange, wenn ich mir vertraue und mich sicher fühle. Dann habe ich den Mut, mich dem Schreibfluss hinzugeben, meiner Eingebung zu folgen und überrascht zu sein, wohin sich meine Figuren entwickeln. Doch solange ich noch mühsam nach der richtigen Formulierung suche, krampfhaft nach Einfällen fahnde und ungefähr einen Satz pro Stunde schaffe, hat mich noch die Angst im Griff.
Das Gegenteil von Angst ist Mut. Wer sich traut, seinen Text in die Öffentlichkeit zu tragen, sich dem Urteil vieler Leser auszuliefern, muss über innere Stärke verfügen. Mir kommt es so vor, als hätte ich mir diese innere Stärke herbeigeschrieben, als hätte mich jeder Entwurf, jede Rohfassung selbstsicherer gemacht.
Bis zum veröffentlichten Roman war es ein langer Weg. Das Ziel, ein Buch zu schreiben, habe ich dabei oft aus den Augen verloren und bin Umwege gegangen, die mich viel Zeit gekostet haben. Dass ich dabei wichtige Erfahrungen gesammelt habe, ist mir erst später bewusst geworden.
Es war eine Reise zu mir selbst, zu mehr Stärke und Selbstbewusstsein. Ich habe unterwegs Möglichkeiten entdeckt, mit dem Schreiben mein Geld zu verdienen – und wunderbare Menschen wie Louise getroffen, die mir sagen: „Vertraue dir“, wenn ich nicht vorwärtskomme.
Auch wenn ich nun meinen Weg kenne – meine Schreibreise ist noch lange nicht zu Ende.
Auf der Erde leben 7.059.573.625 Menschen, zumindest in genau dem Moment, in dem diese Zeilen entstehen. Und sekündlich wächst die Zahl um zwei Komma fünf.
Das sind mehr als sieben Milliarden Menschen, mehr als sieben Milliarden Lebensläufe, mehr als sieben Milliarden Schicksale. Das Leben eines jedes Einzelnen nimmt seinen ganz persönlichen Verlauf, zeichnet individuelle Höhen und Tiefen.
Ich bin nur einer von ihnen, ein einziger, ein völlig unbedeutender Bruchteil vom großen Ganzen – wenn man es mathematisch betrachtet.
Wie nichtig muss es angesichts der vielen Menschen, die Hunger leiden, die todkrank sind, die geprügelt oder vergewaltigt werden, die gerade einen geliebten Menschen verlieren, wie nichtig muss es sein, dass ich in diesem Augenblick das Gefühl habe, rein gar nichts zustande zu bringen? Dass ich an mir zweifle, dass ich mein Spiegelbild hasse und mich am liebsten so lange verkriechen würde, bis jemand kommt, mich in den Arm nimmt und sagt, dass alles wieder gut wird?
Von wegen nichtig! Und was interessieren mich die sieben Milliarden anderen, wenn es mir schlecht geht?
Ich will meine Ruhe, und damit basta!
* * *
Mensch Mädchen! Ist es so weit? Hast du wieder deine „Keiner hat mich lieb“-Phase? Ich dachte, du wüsstest es inzwischen besser. Aber nein, du sitzt da wie ein Häufchen Elend, und die ganze Welt ist schuld.
Wie kannst du nur alles so negativ sehen?
Oh ja, natürlich. Alle haben sich gegen dich verschworen, klar! Familie, Freunde, Kollegen – alle!
Recht hast du: Keiner hat dich lieb und hässlich bist du obendrein. Potthässlich!
Ja, da guckst du, was? Endlich mal einer, der dir die Wahrheit ins Gesicht sagt.
So, hast du dich nun wieder beruhigt? Komm mal her, Kleine! Komm zu mir. Hier, schau in den Spiegel. Das bist du, die dich mit verheulten Augen anschaut.
Da, hast du es gesehen? Ein kleines, wenn auch verunglücktes Lächeln hat sich in dein Gesicht geschlichen, ich hab’s genau gesehen.
Na also, es ist gar nicht so schlimm, nicht wahr? Kein Grund, gleich alles hinzuschmeißen und auf Tauchstation zu gehen.
Ist denn wirklich alles so schlimm?
Du willst mir erzählen, dass dich Menschen aus deinem näheren Umfeld bis aufs Blut reizen? Deine Kollegen spielen dir übel mit und verbreiten in der Firma infame Lügen über dich. Dein Chef hat es ebenfalls auf dich abgesehen und nörgelt ständig an deiner Arbeit herum. Angeblich traut er dir nichts zu, deshalb ist die Beförderung, die er dir neulich versprochen hat, in weite Ferne gerückt. Aha, und ich dachte, bei dir im Büro herrscht so ein gutes Arbeitsklima und die Arbeit macht sich wie von selbst. Wohl doch nicht. Ach, und Susi, deine beste Freundin, wendet sich von dir ab und lässt dich nicht mehr an ihrem Leben teilhaben. Du bist enttäuscht und fällst ins Bodenlose, als du es bemerkst. Hast du jemals mit ihr darüber geredet? Was steht zwischen euch, weißt du das eigentlich? Und schließlich „Schatzi“, dein Mann, dein Dauerproblem: Er will auf jeden Fall verhindern, dass du noch mehr Zeit in dein Hobby investierst. Gekonnt beeinflusst er dich so, dass du entnervt zu Hause bleibst, statt deinen Kreativkurs zu besuchen. Dies und all das andere macht dich so fertig, dass dir nichts von dem gelingt, was du anpackst.
Wenn ich es recht betrachte: Du bist doch selbst schuld! Mit deinem ständig griesgrämigen Gesicht steuerst du dein Leben ohne das Zutun der anderen ins falsche Gleis. Du hältst die Demütigungen, die aus diesen oder anderen Situationen erwachsen, tatenlos aus und schluckst alles anstandslos. Mach nur weiter so, niemand wird dich davon abhalten.
Aber willst du das? Willst du immer nur das tun, was irgendwer dir vorschreibt? Willst du sein, wie andere dich sehen wollen? Willst du all deinen Stolz mit Füßen treten und dich, das einmalige Individuum, aufgeben und lebenslänglich begraben?
Aha, das willst du also nicht. Ich sehe es dir doch an. Deine Augen funkeln vor Zorn – oder ist es Kampfgeist, den du gerade ausgräbst und in dein Gesicht zementierst?
Das sieht gut aus! Komm, du kannst viel überzeugender zeigen, dass mit dir noch zu rechnen ist. Genau, es gibt, ebenso wie all die Miesmacher, die dich in den Sumpf ziehen, auch Menschen, die dich voranbringen. Sie ebnen dir den Weg, helfen dir und unterstützen dich. Frag einfach und lächle dabei – und schon öffnen sich Türen. Natürlich ist das kein Patentrezept, doch was ich sagen will: Gehe positiv auf die Menschen zu und sie werden dir positiv begegnen. Ein