Renate Sültz

Spannende Kurzgeschichten für unterwegs


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war der Sohn des Bestsellerautors Stan Wenesh. Wer erinnert sich nicht gern an die Kriminalgeschichten mit Inspector Drabens, auch an die Romane „Untergang der Westburns“ und „Der letzte Held“. Robert war immer im Hintertreffen, er verdiente sein Geld als Redakteur, schrieb Gedichte, Kurzgeschichten und Liebesgeschichten. Es hätte aber auch anders kommen können, völlig anders.

      In jungen Jahren, Robert war fünfzehn, schrieb er all die Gräueltaten auf, die sein Vater Stan ihm und seiner Mutter Lydia antat. Robert entwickelte eine gewaltige Fantasie. Jeden Abend überlegte er, wie er den Vater zur Rechenschaft ziehen könnte. In seinen Tagebüchern entstand der Killer Drab. Robert sah sich selbst als Killer. Unendliche Geschichten und verschiedenste Mordarten entwickelten sich. Tagsüber – aus Angst vor dem Vater – der Musterschüler, abends der Killer. Robert sah die Qualen seiner Mutter, Schläge, Vergewaltigung, Betrügereien. Die ganze Palette übte der angeblich so saubere Stan Wenesh aus.

      Damals war Stan noch ein Nichts, ein kleiner Angestellter der New Day Post. Irgendwann fand er das Tagebuch. Raffiniert, wie er war, kopierte er die Seiten und veröffentlichte sie in etwas geänderter Form in der Zeitung. Der Verlag DDST wurde aufmerksam und wollte ein Buch daraus veröffentlichen, aber nicht aus der Sicht des Killers, sondern eines Inspektors. So entstand Inspector Drabens.

      Das Buch wurde ein Bestseller. Je mehr Bücher verkauft wurden, desto gemeiner wurde Stan zu seiner Familie. Immer mehr schrieb Robert, immer spannender wurden die Morde. Stan hielt ihn und seine Mutter an der ganz kurzen Leine. Er hatte Freundinnen, den teuersten Wagen und die modernste Technik. Heimlich nahm er alles in seiner Familie Gesprochene auf, auch bei den Treffen der Autoren, er war einfach immer über alles informiert.

      1964 kaufte er eine dieser neuen Errungenschaften, die Kompaktkassette. Es war fast wie ein Agentenkrimi. Stan nahm alles auf, wirklich alles. In seinem Aktenkoffer hatte er stets den Kassettenrekorder zur Aufnahme bereit. Oft ließ er ihn, sozusagen aus Versehen, in Büros stehen. Danach hatte er häufig Buchtitel und Inhalte spioniert. Daher wurden auch seine anderen Bücher Erfolge, denn das Buch „Der Untergang der Westburns“ hieß im Original von Mike Dewenger „Der Untergang einer Dynastie in Dallas“. Nur war Stan mit einer ähnlichen, aber eben gestohlenen Geschichte schneller auf dem Markt. Stan wurde geliebt und gehasst, als Genie bezeichnet. 1968 trennte er sich von seiner Familie.

      Auf dem Höhepunkt seiner Karriere verunglückte er mit seinem Sportwagen. Ein Genie war tot, so schrieb man es. Wie viele Konkurrenten und Freunde er aber betrogen hatte, das stand auf einem anderen Blatt Papier.

      Dort fanden sich auch Robert und seine Mutter wieder. Sie kämpften zu Stans Lebzeiten nicht um eine große Abfindung, sie waren mit den 1.800 Dollar zufrieden, Hauptsache, sie hatten ihre Freiheit und waren weit weg von diesem Tyrannen.

      Robert löste das Büro seines Vaters auf. Er stieß auf die Kassetten, rechnete mit guter Musik. Als er sie kontrollierte hatte, war er wie versteinert. Das Denkmal Stan Wenesh brach zusammen. Der Skandal wuchs. Fairerweise überließ Robert alle Einnahmen der gestohlenen Werke den eigentlichen Eigentümern.

      Der Verlag kam auf Robert zu und wollte, dass er alle Bücher neu verfasste, nun aus Sicht des Killers. Die Bücher wurden Robert aus der Hand gerissen, aber auch seine Gedichte. Das wahre Genie war geboren, Robert S. Wenesh.

      BITTERE KÄLTE IN KANADA

      Es war Dezember. In Kanada lag der Schnee meterhoch. Die Holzfäller-Familie Jack und Helen Smith saß in ihrem Holzhaus fest, das sie sich mit viel Liebe vor Jahren aufgebaut hatte. Es war bitterkalt in diesem Winter und die erbarmungslose Kälte griff um sich. Trotz Ofen und anderer Möglichkeiten, sich warmzuhalten, gelang es ihnen nicht, der Kälte zu entrinnen.

      Jack hatte vor vielen Jahren damit angefangen, in den Wäldern von Kanada selbstständig zu arbeiten und Holz zu schlagen. Er musste dann mit den entsprechenden Gerätschaften die Stämme zur nahe gelegenen Holzverarbeitungsfirma bringen. Das war stets mit vielen Risiken verbunden, denn wenn die Maschinen nicht mehr funktionierten, konnte er kein Geld verdienen. Dies war in der Vergangenheit sehr häufig der Fall gewesen. Die teuren Reparaturen konnten sie sich nicht immer leisten. Sie lebten quasi von der Hand in den Mund und nichts konnte zur Seite gelegt werden. Ganz schlimm war, dass sie sich kaum Vorräte für die Versorgung angeschafft hatten.

      Fast alles in ihrem Leben war bis dahin schiefgelaufen. Auch Jacks Vater übte diesen Beruf aus und hatte damals seine Familie sehr gut davon ernähren können. Helens Eltern besaßen einen riesigen Holzvertrieb, den sie aber wegen der schweren Krankheit des Vaters verkaufen mussten. In diesem Betrieb lernte sie Jack kennen, der dort als Schreiner arbeitete. Sie nahmen sich vor, in Ottawa zu heiraten und dort sesshaft zu werden. Nur kam alles ganz anders.

      Nun hingen sie in den tiefsten Wäldern Kanadas fest und standen kurz vor dem Erfrieren. Um ihren Magen zu füllen, tranken sie warmes Wasser. Jack und Helen waren der Verzweiflung nahe und glaubten, ihren Verstand zu verlieren. Nein, sie wollten nicht aufgeben.

      Die Schneestürme fegten über das instabile Dach. Ein Fenster zersprang und noch mehr Kälte kam herein. Helen Smith, die eigentlich aus den kritischsten Situationen immer noch das Beste herausholen konnte, kapitulierte. Sie kauerten eng zusammen.

      Jack war ein guter Schütze und konnte immer für genügend Fleisch sorgen. Nun aber bestand keine Möglichkeit, etwas zu erlegen. Bei dieser Kälte hielten die meisten Tiere ihren Winterschlaf oder verkrochen sich in ihre Höhlen. An Nahrung war nicht zu denken.

      Die Kälte wurde immer extremer. Zusätzlich kam Schnee durchs kaputte Fenster herein. Was sollten sie nur tun? Kaum, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnten, brach schon der erste Dachbalken ein. Tagelang ging das schon so. Sie hungerten und ihre Glieder waren blau angelaufen. Die Kräfte waren am Ende.

      Jack erinnerte sich daran, dass er noch ein altes Funkgerät im Kellerraum hatte. Es musste nur wieder funktionieren. „Bitte, Gott, hilf uns!“ So könnten sie eine Chance bekommen, lebend aus der schrecklichen Situation herauszukommen. Wenn nicht, waren sie für immer verloren.

      Da seine Glieder schon fast starr und taub vor Kälte waren, kroch er auf allen Vieren zur Klappe des Kellerraumes. Sie war sehr schwer und er musste seine übrig gebliebene Kraft dafür aufwenden.

      Helen schrie: „Bitte beeil dich, ich kann nicht mehr!“

      Jack fand das alte, verstaubte Funkgerät. Es musste nur, wenigstens dieses eine Mal noch, seinen Dienst aufnehmen.

      Die Stürme wurden immer stärker und der Schnee lag meterhoch auf dem Haus und vor dem Eingang. Sie würden nicht mehr hinausgelangen.

      Helen verlor das Bewusstsein. Hunger und Kälte hatten ihr arg zugesetzt. Währenddessen versuchte Jack sein Bestes, um das Gerät wieder in Gang zu setzen. Er schickte ein Funksignal mit der Bitte um Hilfe. Es tat sich nichts und Jack gab auf. Auch er schloss mit dem Leben endgültig ab.

      Gerade, als er versuchte, wieder nach oben zu klettern, vernahm er ein Piepsen. Noch sehr unklar, aber man konnte es verstehen.

      „Hallo, hallo. Was gibt es?“

      Er traute seinen Ohren nicht. Was war das? Doch eine Rückmeldung auf seine Hilferufe? Also funktionierte es noch.

      Er meldete sich und gab den ungefähren Standort seines Hauses durch. Eigentlich war das Holzhaus schlecht zu finden, denn aufgrund der damaligen Arbeitslage mussten sie in der Nähe von Jacks Arbeitsplatz bauen.

      Wieder bekam er Antwort: „Wir tun unser Bestes. Haltet durch. Wir fliegen mit dem Helikopter die Gegend ab. Versprechen können wir allerdings nicht, ob es klappt, denn das Wetter ist sehr schlecht.“

      Helen kam wieder zu sich und rief nach ihrem Mann, der kurz vor der Bewusstlosigkeit stand. Der Erfrierungstod stand beiden ins Gesicht geschrieben. Warme Decken und ein Ofen, der eigentlich immer das ganze Haus erwärmt hatte, halfen nicht mehr. Ein zweiter Balken knallte auf den Dachboden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der mit Schnee gefüllte Dachboden durchbrechen würde.