Jork Steffen Negelen

Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)


Скачать книгу

hatte und die Tür von außen verschlossen war, wartete Vagho noch ein paar Minuten ab. Dann begann er eine der Glasplatten der Kuppel mit einem Messer aus dem eisernen Rahmen zu lösen. Behutsam legte er sie beiseite. Danach befestigte er den Haken mit der Schnur am Rahmen und kletterte zum Kartentisch hinunter. Durch die Fenster im Kartensaal drang der helle Schein des Mondes hinein. Für den Schattenalp war das hell genug, um die Karten und Dokumente zu studieren und alles genau zu notieren. Er ließ sich damit Zeit bis zum Morgengrauen. Dann erst kletterte er zum Dachboden hoch und setzte die Scheibe wieder ein. Am Tage war es wenig sinnvoll, sich in diesem Raum aufzuhalten. Er wollte die nächste Nacht für eine kleine Diebestour nutzen und beim ersten Hahnenschrei die Stadt verlassen. Im Kartensaal würde er damit beginnen. Dort lagen der Ehrendolch des Königs und ein goldenes Siegel. Das war als Beute schon sehr verlockend. Wenn er erst einmal bei Alsacan war und ihm seinen Erfolg präsentieren konnte, dann wäre die Aufgabe vollbracht. Jetzt wollte er sich auf dem Dachboden ausruhen. Dazu zog er sich in eine finstere Ecke zurück und rollte sich in seinem Mantel ein.

      Pünktlich bei Einbruch der Nacht war er wieder wach. Sein Magen knurrte und so aß er ein Stück Brot und trank einen Schluck Wasser. Dann schlich er leise zur Kuppel. Der Mond schien wieder wie in der Nacht zuvor. Im Saal unter ihm war niemand. Vorsichtig nahm er erneut das Glas aus dem Rahmen und stieg hinab. Auf dem Kartentisch lagen noch immer der Dolch und das Siegel. Vagho steckte beides ein und kletterte wieder nach oben. Er war bei allen seinen Raubzügen bisher immer absolut darauf bedacht gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Deshalb setzte er auch jetzt wieder das Glas ein. Kaum hatte er das getan, da war unter ihm Lärm zu hören. Die Tür wurde laut aufgestoßen, der helle Schein einer Fackel war zu sehen und die Stimmen von König Harold und seinem Sohn Gerold waren zu hören. Da sie beide zugleich redeten, konnte man kaum etwas verstehen. Doch plötzlich war Stille. Vagho konnte sich denken, dass jetzt etwas nicht stimmte. Er schaute durch die Kuppel nach unten und sah, dass er einen schweren Fehler gemacht hatte. Der König hielt ein Stück Pergament in beiden Händen und betrachtete es gerade. Darauf war ganz genau der staubige Schuhabdruck des Schattenalps zu sehen. Die Worte des Prinzen konnte Vagho nun auch vernehmen.

      »Mein Vater, ich sagte es Euch doch heute Morgen schon. Ohle mit Laterne hatte gestern zu Beginn unserer Besprechung für einen Augenblick das Gefühl, als könne er einen dunklen Elfen wittern. Wahrscheinlich sogar einen Alp. Ich sagte Euch auch, dass seine Nase die feinste weit und breit ist. Ohle hat sich noch nie geirrt. Soll ich die Wachen alarmieren, während Ihr nachschaut, ob etwas gestohlen wurde?«

      Der König legte das Pergament auf den Tisch und nickte. Sofort gab der Prinz Alarm. Das bedeutete für Vagho, das er jetzt handeln musste. Ihm blieb nicht viel Zeit. Der Dachboden hatte direkt unter dem Dach eine Balkenkonstruktion.

      Vagho kletterte auf einen der Querbalken und kam so an die Dachziegel heran. Er schob einige übereinander und kletterte aufs Dach. Schon hörte er Stimmen und das Rasseln von Schlüsseln. Im letzten Augenblick schob er die Dachziegel wieder an ihre richtige Lage und verharrte regungslos.

      Auf dem Dachboden stürmten mindestens zehn Wachsoldaten. Sie schauten in jede Ecke. Doch sie fanden nichts. Die Spuren im Staub des Bodens entgingen ihnen allerdings. Als sie wieder abgezogen waren, kletterte Vagho bis zu einem Schornstein. Der Schattenalp prüfte, ob er kalt war, dann kletterte er an ihm hoch. Im Inneren des Schornsteins war wohl schon lange kein Rauch mehr aufgestiegen. Vagho konnte ihn ohne große Mühe hinunter klettern und landete in einem Kamin. Er fand sich in einem der unbewohnten Gästezimmer wieder. Ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett, ein Schrank und eine Waschschale, das war schon alles. Laute Geräusche von Türen und Soldatenstiefeln drangen zum Schattenalp. Das kleine Fenster war für eine Flucht nicht geeignet. Als er es öffnete und hinaussah, schlug neben ihm im Fensterrahmen ein Pfeil ein und blieb stecken. Jetzt bekam es Vagho mit der Angst zu tun. Leise fluchte er los.

      »So ein Mist, erst dieser Fußabdruck und jetzt schießen die auf mich. Ich brauche ein Versteck.« Das Rasseln eines Schlüsselbundes und laute Rufe waren zu hören. Vagho kletterte den Schornstein des Kamins wieder hoch. Dann sah er sich kurz um. Noch zwei weitere Schornsteine waren zu sehen. Geschickt sprang er auf das Dach zurück und rannte zum nächsten. Doch da konnte er nicht hineinklettern. Rauch stieg auf und er fühlte sich sehr warm an. Auch beim dritten Schornstein wurde geheizt. Dazu kam der kräftige Geruch von Essen zur Nase des Schattenalps. Das war wohl der Schornstein einer Küche. Hinter sich vernahm er wieder Geräusche. Jemand versuchte auf das Dach zu klettern.

      Vagho huschte ganz schnell bis zum Ende und sah nach unten. Die Hauswand lag in schattiger Dunkelheit und bot somit die Möglichkeit, nach unten zu kommen, ohne gleich entdeckt zu werden. Er war dann allerdings im Innenhof der Festung. Doch er hatte jetzt keine Wahl mehr. Die ersten Wachsoldaten versuchten schon mit Fackeln zu ihm zu kommen. Schnell kletterte Vagho die grobe Hauswand nach unten. Dann drückte er sich in den Schatten. Einer der Soldaten warf vom Dach aus seine Fackel dem Schattenalp direkt vor die Füße.

      Vagho hüpfte beiseite und rannte los. Mitten im Lauf sprang er auf einen Haufen von Fässern und Strohballen und kam so auf das Holzdach des Pferdestalls. Auf der anderen Seite konnte er über die Festungsmauer nach unten klettern und in die dunklen Gassen der Stadt entkommen. Auf dem Dachboden eines prunkvollen Bürgerhauses fand er hinter Kisten und Säcken fürs erste ein Versteck. Lange würde er wohl auch da nicht sicher sein, denn die Soldaten würden die ganze Stadt nach ihm durchsuchen. Er hatte ja immer noch den Ehrendolch und das Siegel des Königs bei sich.

      Doch für eine Verschnaufpause würde es noch reichen. Er aß ein Stück von seinem Brot und trank einen Schluck Wasser dazu. Das gab ihm wieder Kraft. Dann wartete er ab. Da er von außen durch ein offenes Bodenfenster hinein gekommen war, hatte ihn von den Menschen im Haus bestimmt niemand bemerkt. Hoffentlich waren die nicht so aufmerksam wie die Festungswachen. Als der Morgen graute, wurde das ganze Viertel von Soldaten durchsucht. Durch das Bodenfenster sah Vagho, wie die Bewohner des Hauses auf die Straße getrieben wurden und die Durchsuchung über sich ergehen lassen mussten. Es gab keinen Ausweg mehr. Dieses Mal hatten die Soldaten alles abgeriegelt. Der Schattenalp sah sich entsetzt um. Irgendwo musste doch noch ein Versteck sein. Über der Bodentür war ein Balken. Er war in der Dunkelheit kaum zu sehen, sodass Vagho sich auf diesem Balken verstecken wollte und sich auf ihn schwang. Er versuchte es mit seinem alten Trick, sich die Schatten so zunutze zu machen, dass ihn niemand sehen konnte. Die Tür flog mit einem Ruck auf und ein stämmiger Soldat trat schnaufend ein. Sein Atem rasselte so laut in seinem Hals, dass er das Knarren der Bodenbretter beinah übertönte. Vagho dachte unwillkürlich an den Dolch des Königs. Er würde ihn bei seiner Entdeckung einsetzen. Doch der Soldat schaute sich nur kurz um. Er hatte mit dem Staub zu kämpfen, der ihm das Atmen erschwerte. Außerdem war seine Fackel fast am Erlöschen, sodass er den ganz in seinen Mantel gehüllten Vagho über der Tür nicht sehen konnte. Er entfernte sich wieder und fing an zu husten. Dann hörte Vagho, wie ein anderer Soldat die Bewohner laut belehrte. »Was heißt hier Schikane, wir machen auch nur unsere Arbeit. Wir suchen einen verdächtigen dunklen Elfen. Wenn ihr ihn seht, müsst ihr das sofort melden. Er hat das königliche Siegel und den Dolch von unserem König gestohlen. Also macht gefälligst die Augen auf.«

      Laut meckernd und schimpfend gingen die Bewohner wieder in ihr Haus zurück. An ihrer Tür brachten die Soldaten mit Kreide ein Kreuz an. Damit sollte wohl eine doppelte Durchsuchung vermieden werden.

      Vagho ließ sich vom Balken gleiten und atmete erleichtert auf. Jetzt war er wirklich für eine Weile sicher. Hinter einer großen Kiste versuchte er ein wenig auszuruhen. Er war doch ziemlich müde. Da ein Schattenalp nur mit einem Auge schlief, entging ihm der Lärm des täglichen Lebens in diesem Haus und davor auf der Straße nicht ganz. Am späten Nachmittag erwachte Vagho wieder und sah vorsichtig durch das Bodenfenster. Auf der Straße boten mehrere Kaufleute ihre Waren an, das laute Streiten um den Preis war deutlich zu hören. Erst mit Einbruch der Nacht kam vor dem Haus wieder Ruhe auf. Doch ab und zu war das Trapsen von Soldatenstiefeln zu hören. Ganz bestimmt waren für die Nacht die Wachen verstärkt worden. Deshalb beschloss Vagho, dieses Mal mit noch mehr Vorsicht ans Werk zu gehen. Er prüfte die Luft mit seiner Nase und ließ sich dann aus dem Bodenfenster gleiten. Geschickt nutzte er einzelne Spalten im Mauerwerk aus und kletterte lautlos die Hauswand hinunter. Nachdem er sich mehrmals vor Soldaten und verspäteten Wirtshauszechern verstecken musste, kam er wieder an der Festungsmauer