Jork Steffen Negelen

Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)


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des alten Gemäuers aufgefallen. Das wollte er ausnutzen. Er verzichtete auf seinen Kletterhaken mit der Schnur und stieg an der Wand nur mit Händen und Füßen hoch. Wenige Minuten später war er schon auf dem Dach des Pferdestalls angekommen. Doch weiter kam er nicht. Mitten auf dem Festungshof brannte ein großes Feuer. An diesem entzündeten die Wachen ihre Fackeln. Durch eine Dachluke schaute Vagho in den Stall hinein. In der Mitte war ein Gang, rechts und links die Pferdeboxen. In jeder stand ein Pferd. An der einen Seite war der Eingang, an der anderen stand eine große Futterkiste. Mitten im Stall hing eine Laterne. Ihr trübes Licht erhellte das Ganze nur mäßig. Das Dach war Vagho zu unsicher. Darum wollte er lieber im Schatten der Futterkiste noch ein wenig warten. Er seilte sich durch die Dachluke ab und schlich zur Kiste. Dort hockte er sich in den Schatten. Der Stall roch nach Pferdefutter und Stroh.

      Doch noch ein weiterer Geruch drang dem Schattenalp in die Nase. Es roch nach frischem Brot und Braten. Wo konnte das nur herkommen? Vagho sah sich aufmerksam um. Dann kratzte er sich am Kopf und murmelte vor sich hin: »Merkwürdig, geh’ ich von der Kiste weg, so lässt der Geruch nach.« Er öffnete leise die Futterkiste. Doch darin befand sich nur der Hafer für die Pferde. Vagho beschloss, die Kiste beiseite zu verschieben. Sie erwies sich als ziemlich schwer. Nicht einen Fingerbreit gab sie nach. Jetzt rieb sich Vagho beim Grübeln mit der einen Hand das Kinn und hielt sich mit der anderen an einem Fackelhalter fest. Als er sich so ein wenig auf ihn stützte, gab der Fackelhalter nach und die Futterkiste rückte zur Seite.

      Erschrocken wich der Schattenalp zurück. Doch er verdrängte schnell sein Staunen. Dort, wo eben noch die Kiste stand, war jetzt ein Loch. Die Kiste begann schon, sich von selbst zurück zu bewegen, da sprang Vagho schnell noch in das Loch hinuner. Er landete in einem kurzen Gang, der ihn bis zur Küche führte. Die Rückwand eines Schrankes versperrte ihm den Weg hinein. Von der Küche drangen das Klappern von Geschirr und die Anweisungen eines Mannes zu Vagho. Offenbar wurde hier das Abendmahl für die Wachen zubereitet. Die Küchengehilfen sollten das Essen zu den Unterkünften der Wachsoldaten bringen. Bestimmt hatten die Stallburschen diesen geheimen Gang angelegt, um sich nachts etwas Essen und Wein zu besorgen. Vagho fand ihn auch für sich sehr nützlich. Er wollte warten, bis sich die Köche und ihre Gehilfen zu Bett begaben. In der Zwischenzeit belauschte er ihre Gespräche. Doch das brachte ihn zunächst nicht weiter. Erst als jemand erwähnte, dass es einen Aufzug für Geschirr und Essen in der Herrschaftsküche gab, wurde Vagho plötzlich sehr aufmerksam. So ein Hinweis konnte nützlich sein. Eine Stunde später, die Menschen in der Küche waren gegangen, hatte der Schattenalp einen Hebel an der Wand neben dem Schrank gefunden. Dieser sprang hervor, als Vagho an ihm zog, der Schrank rückte zur Seite und Vagho trat ein. Dann schwang der Schrank wieder zurück. Lautlos schlich Vagho durch die Küche. Er horchte an der Tür und öffnete sie. Die Luft war rein. Er schlich durch einen dunklen Gang und kam an eine gewundene Steintreppe. Die führte hoch zu den Unterkünften der Soldaten. Die meisten schliefen in ihren Betten und schnarchten so laut, dass Vagho verächtlich seinen Kopf schüttelte. Einige saßen allerdings an einem Tisch und spielten Karten. Vagho schlich unbehelligt die Treppe weiter nach oben. Erfahrungsgemäß lagen die Wertsachen in einem großen Haus immer in den oberen Stockwerken. Allerdings waren dort auch meist die zuverlässigsten Wachen eingeteilt.

      Es war schon nach Mitternacht, als Vagho endlich die privaten Räume des Königs fand. Ein breiter Flur führte zum Arbeitskabinett und zum Schlafgemach daneben. Doch vor beiden Türen standen wieder je zwei Wachsoldaten herum. Sie mussten hier schon einige Zeit stehen, denn sie sahen nicht sehr wach aus. Das nutzte Vagho aus. Der Flur war stellenweise nur spärlich beleuchtet. So huschte er von einer dunklen Ecke zur anderen. Er suchte und fand einen Weg.

      Eine kleine Treppe führte ein Stockwerk höher zu einem offenen Studierzimmer. Das war mit Regalen, einem Tisch mit Stuhl und allerhand Büchern vollgestellt. Hier gab es keine wertvollen Dinge zu erbeuten. Nur ein kleines Fenster gab dem Raum am Tage Licht. Und dieses Fenster reichte Vagho schon. Er konnte hinaus auf das Dach klettern und zum Dachboden wieder hinein. So gelangte Vagho über das Arbeitskabinett des Königs. Jetzt war ihm der Inhalt eines kleinen Fläschchens behilflich. Er goss die Flüssigkeit auf den Boden und sah, was geschah. Zischend fraß sie ein Loch in den Boden. Es war groß genug, um den Schattenalp durchzulassen. Mit seiner Schnur und dem Haken war es für ihn ein Leichtes, in das Arbeitskabinett des Königs zu klettern. Dort nahm er sich gleich eine kleine Schatulle vor. Das Öffnen des Schlosses war mit seinen Dietrichen ein Kinderspiel. Ein Säckchen mit Goldmünzen kam zum Vorschein. Ein gemeines Grinsen lag im Gesicht des Schattenalps. Die Anstrengungen hatten sich also doch noch gelohnt. Der Zufall und das Glück hatten ihm geholfen. Vagho sah sich noch ein wenig um. Eine Tür rückte jetzt in den Mittelpunkt seines Interesses. Dahinter lag das Schlafgemach von König Harold.

      Er lauschte angestrengt. Doch er konnte keinen Laut vernehmen. Sollte der König noch nicht in seinem Gemach sein? Vagho überlegte nicht lang. Das Loch in der Decke würde früher oder später jemandem auffallen. Dann würde man sofort wieder nach ihm suchen. Das wollte sich Vagho nun ersparen. Es würde sich schon noch ein passender Zeitpunkt für einen Giftanschlag ergeben.

      Jetzt fiel ihm auch der Esel wieder ein. Ihn hatte er in einem Wäldchen vor der Stadt zurückgelassen. Zu dem konnte er bestimmt nicht wieder zurück. Vagho wollte gerade im Loch in der Decke verschwinden, da hörte er deutlich vom Schlafgemach her ein Geräusch. Es klang als ob jemand einen Stuhl rückte. Dann waren die Stimmen der Wachen zu hören. Sie wünschten dem König eine gute Nacht. Vagho verharrte regungslos am Loch. War nun etwa doch ein günstiger Zeitpunkt für ihn gekommen? Es wäre nicht das erste Mal, dass Vagho einen Feind im Schlaf überraschte und ihn mit Hilfe seines Ringes ein wenig Gift verabreichte. Bei dem Gedanken schlug dem Schattenalp das Herz bis zum Halse. Ein zweiter Gedanke schoss ihm durch den Kopf und er flüsterte ihn leise vor sich hin. »Jetzt wirst du, König Harold, für die Taten deiner Ahnen büßen müssen. Deine Stunde ist gekommen.« Lautlos schlich Vagho zur Tür.

       Die Flamme des Krieges

      Im Hafen von Krell liefen in besseren Zeiten zu fast jeder Stunde die Schiffe reicher Kaufleute aus allen Teilen der Welt ein. Doch jetzt, da alles auf einen Krieg hinauslief, kamen immer weniger Schiffe. Umso genauer konnten die Hafenwachen ihre Kontrollen durchführen. Manche Schiffe waren von feindlichen Obinarern angegriffen und beschädigt worden. Auch das wurde dem König nun jedes Mal gemeldet. Schon vor Tagen ließ deshalb König Core von Avanura seinen Bruder Harold eine geheime Botschaft zukommen.

      Darin teilte er ihm mit, dass er nicht länger warten konnte. Er wollte in den nächsten Tagen mit seiner Flotte einen Angriff gegen die Obinarer wagen. Gerade war Core im Hafen mit der Besichtigung einer neuen Galeere beschäftigt, da ereilte ihn die Nachricht, dass alle seine Boten von den Obinarern abgefangen worden waren. Ein Spähtrupp hatte die Toten gefunden und beerdigt. Die Botschaft selbst fehlte.

      Der Unterführer des Spähtrupps hatte zum Beweis die leere Tasche des Boten mitgebracht. An ihr klebte noch das Blut des tapferen Mannes. Wütend stand der König auf dem Deck der Galeere und starrte auf die Tasche. Dann drehte er sich zu seinem Admiral um. Gohtas von Albog war genau das, was man getrost einen alten Seebären nennen konnte. Mit seiner nicht mehr ganz neuen Rüstung, dem grauen Bart und den langen Haaren sah er Respekt einflössend aus.

      Der König machte einen Schritt auf den Admiral zu und drückte ihm die Tasche in die Hand. »Da haben wir extra zum Schutz des Boten zwanzig unserer besten Soldaten mitgeschickt und nun sind sie alle auf unserem eigenen Gebiet getötet worden. Die nächste Botschaft wird mein königlicher Bruder aber ganz bestimmt erhalten. Seine eigenen Späher werden ihm schon berichten, dass wir die Obinarer angreifen. Ich kann jetzt nicht länger warten.« Der Admiral sah sich die Tasche kurz an und gab sie dem Unterführer zurück. Mit einem Wink ließ er ihn gehen.

      »Mein König, wann soll die Flotte auslaufen? Wir sind schon längst bereit für den Krieg. Sagt mir also, wie lauten Eure Befehle?«

      Core sah in das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht seines Admirals. Jede Furche im Gesicht dieses kräftigen Mannes verriet sein abenteuerliches Leben auf dem Meer. Gohtas war nicht nur der erste Admiral des Königs. Er war vielmehr ein väterlicher Freund und Ratgeber. Core zeigte hinüber zum Leuchtturm des Hafens.

      »Lasst