Fay Ellison

Experiment Ella


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Hast du eine Vorstellung davon, was wir gemeinsam erreichen können? Sei stolz darauf, ein Teil davon zu sein.“

      Ella war alles andere als stolz darauf, ein Teil dieses Versuchs zu sein, stattdessen ging ihr durch den Kopf, ihm ein langes, scharfes Messer in die Brust zu rammen. „Sie sind doch krank!“ Noch verzweifelter riss sie an den Fesseln. Fassungslos begann sie um Hilfe zu rufen. Sauers genervter Gesichtsausdruck entging ihr dennoch nicht.

      „Beruhige dich.“

      Aber sie wollte sich nicht beruhigen. Lediglich die Erkenntnis, dass dieser Kampf zu nichts führte, brachte sie vorerst zur Kapitulation. Dann beschloss sie, Sauer mit Fragen zu löchern. Je mehr sie über sich und diesen Spinner herausfand, desto mehr hätte sie gegen ihn in der Hand, wenn sie ihn den Behörden übergab. „Wer hat Ihnen das von meinen Träumen erzählt?“

      „Deine Eltern haben uns immer über deine Entwicklung auf dem Laufenden gehalten. Es stellte einen wesentlichen Teil unserer Vereinbarung dar.“

      Sie war wie vor den Kopf gestoßen. Auf einen Schlag hatte sie alles verloren, was sie geliebt hatte: Familie, Job und die Freiheit. Egal, wie das hier ausging, ihr Herz bestand nur noch aus Fetzen und könnte nie wieder heilen. Und selbst wenn, würde immer ein klaffendes Loch zurückbleiben.

      Eigentlich hatte sie eine Verabredung mit ihrer Familie. Ihre Mutter wollte ihr Lieblingsessen kochen. Im Anschluss daran wollten sie eine Partie Rommé spielen. Helmut, ihr Vater, hatte in einer Woche Geburtstag, sein Geschenk lag schon bei ihr zu Hause im Schrank. Wie konnten sie nur? Ella fühlte sich verkauft, wie ein Stück Vieh, das man gemästet beizeiten zur Schlachtbank geführt hatte. Oder bestand vielleicht doch die Möglichkeit, dass sie von den Machenschaften nichts ahnten? Waren sie selbst Opfer und vermissten ihr Mädchen schmerzlich? Will er sie nur glauben machen, dass ihre Familie mit drin hing? War das sein perverser Plan, damit sie die Hoffnung begrub und sich dem ihr zugedachten Schicksal einfach ergab? Liebe kann man nicht vorgaukeln. Jedenfalls nicht über Jahre hinweg. Ihre Eltern hatten sie bedingungslos geliebt, da war sie sich sicher. Sie waren immer für Ella dagewesen, hatten ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sauer war ein mieses Schwein und wollte sie manipulieren.

      „Ich glaube Ihnen kein Wort! Was haben Sie jetzt mit mir vor?“ Kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn und sammelte sich zwischen den Brüsten. Eigentlich kannte Ella die Antwort bereits, wollte sie nur nicht wahrhaben. Sie wollte endlich aufwachen und in Hamburg landen. Doch natürlich passierte das nicht. Sie drehte den Kopf in seine Richtung und wartete auf eine Reaktion. Die Ungewissheit quälte sie, machte sie madig und ließ sie schwanken zwischen Glauben und Unglauben.

      „Fragst du mich das wirklich? Die Antwort habe ich dir bereits gegeben. Stell dich nicht dumm.“ Er rollte mit den Augen, dann strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sie ernst an. „Heute werde ich dir den Vater deiner zukünftigen Kinder vorstellen. Es ist an der Zeit, dass du deine Bestimmung erfüllst.“

      Das Undenkbare manifestierte sich in ihrem Kopf. Und legte einen Schalter um, der es trotz der unglaublichen Offenbarungen und des damit verbundenen Schreckens, der sie eigentlich lähmen müsste, ermöglichte, zu widersprechen. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mich als Brutstätte für das neue Superwesen zur Verfügung stelle?“

      „Siehst du, und das ist auch ein Irrglaube, denn dein Einverständnis habe ich gar nicht vorausgesetzt.“ Sauer beugte sich herab und flüsterte gefährlich leise: „Du wirst deine Bestimmung erfüllen. Dafür werde ich sorgen.“ Die Worte trafen sie wie eine Ohrfeige. Ohne weitere Erklärungen stand er auf und verließ den Raum. „Kommen Sie zurück, Sie Scheißkerl! Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen!“ Die gute Kinderstube hatte sie nun vollends über den Haufen geworfen. Es fielen ihr noch ganz andere Schimpfwörter ein und jedes wäre treffend, aber keines könnte an ihrer Situation etwas ändern. Die Tür krachte ins Schloss und sie war mit ihrer Angst allein. Sie lag wie ein Häufchen Elend auf der Pritsche und hätte sich gerne zusammengekauert, die Arme um die Beine geschlungen, um sich selbst zu trösten. So aber lag sie ausgestreckt wie ans Kreuz genagelt und konnte nichts tun, als sich von der Verzweiflung in einen tiefen Abgrund reißen zu lassen. Als sie keine Tränen mehr hatte und sich einigermaßen beruhigte, übernahm die Wut wieder Oberhand. Das war zu viel, das war ein Scherz, das konnte er doch nicht wirklich erwarten? Wenn er glaubte, sie würde mitspielen, hatte er sich getäuscht. Niemals würde sie diesen Befehl ausführen, und wenn er sich auf den Kopf stellte. Es war immer noch ihr Körper und sie ließ sich nicht zu einem willenlosen Gefäß degradieren. In ihrem Kopf überschlugen sich die Erinnerungen. Da war erst vor kurzem dieser sich immer wiederholende Traum von einem unbekannten Mann. Die Angst, die sie dabei empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu dem Grauen, das sie in diesem Moment ereilte. Der Unterschied war frappierend, denn aus dem Traum war sie schweißgebadet erwacht. Das hier war die Realität, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für ein schnelles und erfreuliches Ende minimierte. Es dämmerte Ella, dass sie leicht, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwinden könnte. Das Experiment würden sie wegen einer Einzelnen sicher nicht in Gefahr bringen. Und wieder dachte sie an ihre Eltern, der Schmerz in ihrer Brust war bohrend und schien sich bis in ihre Eingeweide auszubreiten. Erneut musste sie sich übergeben.

      In diesem Moment öffnete sich die Tür. Wer den Raum betrat, konnte sie wegen der Tränen nicht erkennen. Als die Fesseln gelöst wurden und sie sich endlich wieder bewegen konnte, wollte sie am liebsten von der Trage springen und davonlaufen. Der Blick, den sie auffing, ließ sie innehalten. Der Mann, der sie von den Fesseln befreit hatte, erinnerte sie spontan an einen Pavian. Er war fast so breit wie groß. Seine muskelbepackten Arme hielt er verschränkt vor der Brust. Seine Glatze glänzte vor Schweiß. Kleine, zusammengekniffene Augen funkelten sie herausfordernd an. Er hatte ihr Vorhaben wohl an ihrem Blick abgelesen.

      „Schätzchen, denk nicht mal daran, du hast keine Chance! Vergiss es einfach und komm mit.“

      Das kittelartige Etwas, das sie trug, schlotterte um ihre perfekt geformten Hüften. Von ihrer Kleidung und ihren persönlichen Sachen gab es weit und breit keine Spur. Auf wackeligen Beinen schritt sie neben dem Pavian her. In ihrem Kopf breitete sich ein Gedanke aus: Flucht. Der ganze Körper war in Alarmzustand versetzt. Sie versuchte, sich kurz zu orientieren, um einen Weg hinaus zu finden. Wie weit könnte sie kommen? Sollte sie es jetzt wagen oder auf eine günstigere Gelegenheit hoffen? Wer wusste, ob sich je eine bessere ergab? Es waren Bruchteile von Sekunden, die sie dazu bewogen, doch einen Fluchtversuch zu unternehmen. Schnell drehte sie sich um und lief in die andere Richtung davon, floh vor diesem schrecklichen Typen. Sie hörte ihn hinter sich fluchen und sein Schnaufen erinnerte Ella an eine Dampflok. Der Abstand zu ihr musste minimal sein, reichte aber aus, um Hoffnung aufkeimen zu lassen. Da war endlich die als Fluchtweg gekennzeichnete Tür, nach der sie Ausschau gehalten hatte. Sie riss die Brandschutztür auf und erklomm die ersten Stufen in Richtung Freiheit. Hinter ihr polterte der Pavian. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend zog sie sich am Geländer empor.

      Die Flucht wurde jäh beendet, denn die Tür über ihr wurde aufgestoßen und in dem Moment, als sie in die hässliche Visage starrte, wurde ihr erneut der Boden unter den Füßen weggezogen. Das war das Pockenface. Der Typ aus dem Flieger, der sie mit seiner widerlichen Art gemustert hatte, als wäre sie eine appetitanregende Auslage eines Delikatessengeschäfts. Langsam setzten sich die Puzzleteile zusammen. Hilflosigkeit war etwas, das sie nicht ertrug. Es gab immer einen Ausweg, auch wenn alle Zeichen ungünstig standen, und obwohl sie wie ein Kaninchen in der Falle saß, wollte sie nicht aufgeben. Bevor er sie ergreifen konnte, trat sie ihm mit voller Wucht zwischen die Beine. Er sackte vornüber und schrie vor Schmerzen. Noch bevor sie sich an dem zusammengekauerten Mann vorbeidrücken konnte, hatte der andere sie um die Taille gepackt und drehte ihr den Arm schmerzhaft auf den Rücken. Der Schweißgeruch, der von ihm aufstieg, ließ sie würgen. Gut, dann müsste sie halt warten, bis sich eine andere Gelegenheit bot, dachte sie und biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Er zwang Ella die Stufen wieder hinab und ging nicht zimperlich mit ihr um. Er ließ sie spüren, wie wütend er auf sie war, indem er grober mit ihr umsprang, als es notwendig gewesen wäre.

      „Ich hätte nicht übel Lust, dir den Arm zu brechen, mein Täubchen, aber leider stehst du unter Schutz und darfst nicht beschädigt werden. Treib es nur nicht zu weit, sonst kann ich mich irgendwann nicht