könnte. Entweder gab es dort Fenster und somit einen Weg in die Freiheit oder dort wartete das Bett, in dem die Paarung stattfinden sollte. Am liebsten wäre sie losgehechtet und hätte die Schals heruntergerissen um sich zu vergewissern. Es war fast so, als würden die Vorhänge den Raum mit ihrer Schwere erdrücken und jegliche Luft daraus verbannen. Wenn dahinter Fenster verborgen lagen, dann musste sie sich mit aller Vernunft und Kraft dazu zwingen, nicht aufzuspringen, um diese zu öffnen. Dieser Sauer sollte nichts von ihrer Panik mitbekommen.
Kerzenschein und romantische Musik sollten wohl für eine angenehme Paarungs-Atmosphäre sorgen, verliehen dieser übertrieben kitschigen Einrichtung allerdings nur einen muffig angestaubten Charakter, der ziemlich genau zu dem Eindruck passte, den sie von Sauer hatte. Gut konnte sie sich vorstellen, dass er für diese Geschmacklosigkeit verantwortlich war. Was sollte das hier alles? Wozu machte er sich die Mühe, dass sie den Typen bei einem gemütlichen Essen kennenlernen sollte? Entweder hatte er eine perverse Neigung und weidete sich an ihrem Unbehagen, oder er glaubte wirklich, dass es ihre Entscheidung positiv beeinflussen könnte. Vielleicht besänftigte er sein schlechtes Gewissen damit und bildete sich ein, dass er ihnen einen Gefallen tat. Ella war zum Heulen zumute, und sie hatte Angst, dass ein weiterer Pavian ihr Zuchthengst sein könnte.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand er vor ihr. Sein markantes Gesicht und die Augen waren ihr vertraut. Sie erinnerte sich an vergangene Nächte und die damit verbundenen Albträume. Schweißüberströmt war sie daraus erwacht. Sie war mit ihm Hand in Hand durch die Nacht gerannt. Es war nicht das erste Mal gewesen. Dieser Traum hatte sie bereits einige Nächte in Atem gehalten. Ihm jetzt gegenüberzustehen hatte etwas Groteskes, und am liebsten hätte sie geschrien. Wieder einmal war einer ihrer Träume Realität geworden.
Er setzte sich ihr gegenüber und fixierte sie mit seinen faszinierenden Augen, was ihre Haut zum Prickeln brachte. Offensichtlich war er in eine Schlägerei verwickelt gewesen, denn über seinem Auge verheilte eine kleine Platzwunde und das Auge darunter schimmerte in verblassendem Grün. Seine rechte Hand steckte in einem Verband. Wenn sie eins und eins zusammenzählte, hatte er sich seinem Schicksal auch nicht freiwillig ergeben. Wenigstens war er kein Weichei. Ob das für ihre Pläne, von hier zu verschwinden, gut oder schlecht war, würde sich erst noch herausstellen müssen. Einerseits war es schlecht, weil er sich sicher nicht von ihr einschüchtern ließ und sie ihn wohl nicht problemlos für ihre Pläne gewinnen könnte. Andererseits könnte er zuschlagen, wenn es hart auf hart käme und er Widersacher aus dem Verkehr ziehen müsste. Sie hoffte, er wäre für ihre Überredungskünste empfänglich und nicht auch emotional verroht.
Er war ihrem Blick gefolgt und lächelte sie gequält an. Ella hoffte darauf, dass sie ihn noch nicht gebrochen hatten und er auch weiterhin für seine Freiheit kämpfen würde. Denn so konnte sie auf einen Verbündeten hoffen. War es das, was der Traum bedeutete? Dass sie in all der Dunkelheit einen Freund hatte, der genau wie sie aus diesem Irrenhaus ausbrechen wollte und bereit war, mit ihr das Risiko einer Flucht zu teilen?
Was aber, wenn er gar nicht daran dachte zu fliehen, weil ihm der Gedanke, mit ihr zu schlafen, nicht unangenehm war? Sie versuchte, daran zu denken, was man mit ihnen vorhatte. Konzentriere dich auf die Flucht, alles andere ist irrelevant, rief sie sich zur Ordnung, denn wenn sie ihn als weiteren Feind ansah, müsste sie auch noch gegen ihn ankämpfen. Okay, sie würde ihren Sparringspartner erst näher betrachten. Vielleicht sollte sie das Spiel vorerst mitspielen, bis sich eine günstigere Gelegenheit bot. Könnte sie sich wirklich von ihm verführen lassen? Der Mann war heiß, eigentlich sollte es ihr nicht schwerfallen, denn er war optisch genau ihr Typ. Ihr Gehirn sandte diesbezüglich eindeutige Signale in ihren Körper.
„John“, stellte er sich vor. „Bedauerlich, dass es nicht erfreulichere Umstände sind, unter denen wir uns kennenlernen dürfen.“ Seine raue, tiefe Stimme richtete ihre Härchen auf und schickte heiße Flammen bis in ihr Zentrum.
Dass er sie seinerseits unverhohlen musterte, entging ihr nicht. Ella hätte ihm am liebsten deutlich zu verstehen gegeben, dass sie an Sex mit ihm nicht interessiert war. Aber erstens wäre es gelogen und zweitens würde sie ihre Chancen, ihn auf ihre Seite zu ziehen, gleich verspielen. Allerdings könnte ein wenig Sarkasmus nicht schaden, er müsste ja nicht gleich mitbekommen, dass sie ihn attraktiv fand.
„Ella“, sie sah ihn provozierend an. Sein sexy Aussehen machte es ihr schwer, ihn nicht anzustarren. „Und? Gefällt dir, was du siehst? Schließlich will ich mich nicht umsonst für unser Rendezvous aufgebrezelt haben“, sagte sie leicht gereizt.
„Wer hat behauptet, dass es ein Date ist?“, konterte er und tat desinteressiert.
Ihr Herz klopfte wild. Könnte er nicht wenigstens so tun, als fände er sie anziehend? Nur mit Mühe gelang es ihr, die Serviette auseinanderzufalten und über die Beine zu legen.
„Schön, dann haben wir das geklärt“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Er hatte die Frechheit, sie mit einem amüsierten Blick zu mustern. Wenn er glaubte, das hier war eine einfache Nummer, hatte er sich gewaltig getäuscht. Wenn sie ihr Bauchgefühl, niemandem zu vertrauen, in den Wind schoss, nur weil sie ihn attraktiv fand, war sie nicht nur naiv, sondern eine komplette Idiotin. Außerdem konnte er sich noch als komplettes Arschloch entpuppen.
Sein Gesicht wurde plötzlich ernster und er sah sie prüfend an. Und wie aus heiterem Himmel tat er genau das Gegenteil von dem, was sie von ihm erwartet hätte. Er zeigte Mitgefühl und war alles andere als ein ungehobelter Klotz.
„Wir wollen das hier beide nicht. Ich fühle mich genauso unwohl wie du. Ich wollte nur, dass du das weißt. Aber bevor wir so tun, als würden wir dieses arrangierte Mahl genießen, möchte ich wissen, ob sie dir wehgetan haben?“
Es war eine Achterbahn der Gefühle. Eben noch wollte sie ihm den Rest des Abends distanziert zu verstehen geben, dass er sie kalt ließ und nun fühlte sie sich ihm so vertraut, dass sie versucht war, ihm ihr Herz auszuschütten. Bevor sie antworten konnte, nahm sie einen großen Schluck Rotwein. „Nein, ich war betäubt.“
„Das ist gut. Wenn sie dich geschlagen hätten, dann hätte ich nur noch einen weiteren Grund, mit diesen Schweinen irgendwann abzurechnen.“
Sie war immer noch unsicher, was sie von ihm halten sollte und so verdammt wütend, weil man sie einfach aus ihrem Leben gerissen hatte.
„Gar nichts ist gut“, entfuhr es ihr viel zu laut und schlug mit den Fäusten auf die Tischplatte. Sie war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Wie konnte er nur so ruhig mit ihr hier sitzen und so tun, als wäre alles okay, als hätten sie eine freiwillige Verabredung und nicht eine Zwangsverkupplung vor sich?
Sein Blick war stechend und durchdringend und sie kam nicht umhin, sich für einen Moment unwohl zu fühlen. Es dauerte Sekunden, da stand der Pavian hinter ihr und fragte, ob es ein Problem gäbe. John beschwichtigte und der Typ zog sich unwillig auf seinen Posten neben dem Aufzug zurück. Leicht beugte er sich über den Tisch und funkelte sie an.
„Hör zu Ella, wenn du jetzt ausflippst, weiß ich nicht, wie und wo wir uns wiederfinden. Tu uns einen Gefallen: Iss und warte ab.“
Er prostete ihr zu und lächelte verkrampft, als bereitete es ihm Schmerzen, und vermutlich war es auch so, denn wenn sein Gesicht und seine Hand schon derartige Spuren aufwiesen, war sein restlicher Körper sicher auch nicht ohne Blessuren davongekommen. Es sei denn, es gehörte alles zu einem abgekarteten Spiel. Vielleicht wollten sie sie nur glauben machen, dass er nicht freiwillig hier war.
Wenn sie aber wirklich im gleichen Boot saßen und in entgegengesetzte Richtungen ruderten, kamen sie nicht vom Fleck. Falls sie ihm weiterhin misstraute, so wie sie es normalerweise getan hätte, dann war ihre Chance, hier rauszukommen, sicher gleich null. Sie konnte ihre Situation eigentlich ganz gut einschätzen. Hatte ihr Traum nicht genau diese Bedeutung? Darin hatte sie ihm die Hand gereicht. Ihr Bauchgefühl sagte, sie solle es versuchen. Langsam nahm sie das Glas, führte es erneut an die Lippen und nippte daran. Ein mulmiges Gefühl blieb. Was, wenn Sauer ihnen irgendetwas ins Essen gemischt hatte …? Sie verwarf den Gedanken, denn wenn Sauer vorhatte, sie unter Drogen zu setzen, hätte er ihr auch einfach eine Injektion setzen können.
„Okay,