und das erleichterte sie so sehr, dass sie das Gefühl hatte, ihr wäre ein Stein vom Herzen gefallen. Sie hatte nur zwei Möglichkeiten, und die Option, ihm Vertrauen zu schenken, schien ihr momentan am richtigsten. Sie konnte jede Hilfe gegen diesen überlegenen Feind gebrauchen.
Er hielt ihr den Brotkorb entgegen. Jetzt erlaubte sie sich endlich, ihr Gegenüber zu mustern. Er war eine klassische Schönheit und besaß das gewisse Etwas, das eine Frau dazu brachte, sich nach ihm umzudrehen, um einen weiteren Blick zu riskieren. Besonders hatten es ihr seine fast schon unnatürlich blau wirkenden Augen angetan. Die Iris hatte eine derartige Farbintensität, wie sie sonst nur Kontaktlinsen zaubern konnten. Sein volles dunkelbraunes Haar trug er etwas länger. Sobald er sich nach vorn beugte, fiel es ihm leicht ins Gesicht. Der Dreitagebart wirkte beabsichtigt und verlieh seiner Erscheinung etwas Verwegenes. Körperhaltung und Gesichtszüge strahlten Entschlossenheit aus, er war kein gebrochener Mann. Und sie war sicher, dass er trotz der vielen bereits verblassten Kampfspuren nicht unüberlegt handelte. Vermutlich war er ihr in dieser Beziehung überlegen. Nun musste sie schmunzeln. Verdammt, sie wollte ihm vertrauen. Wenn sie sich auf diesen Mann und seine unbeschreibliche Anziehungskraft einließ, war sie vermutlich schneller verloren, als sie es gedacht hatte. Okay, sie würde aufmerksam und vorsichtig sein. Auch wenn sie gerade entschieden hatte, John zu vertrauen, so hieß es doch nicht, blind hinter ihm herzutrotten. Auf einen Versuch wollte sie es ankommen lassen, und falls sich herausstellen sollte, dass sie sich wirklich getäuscht hatte, würde sie einen anderen Ausweg finden. Auch wenn sich ihr dieser gerade nicht erschloss.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nun an ihr lag, die Konversation in Gang zu bringen. „Tut es noch weh?“
Verwirrt sah er vom Teller auf. Schaute auf seine verbundene Hand und machte eine wegwischende Geste. „Nein, halb so schlimm. Aber normalerweise brauche ich meine Fäuste nicht, um mich zu verteidigen.“
„Soso, und was tust du stattdessen? Starrst du die Gegner zu Boden?“ Das war Ella versehentlich rausgerutscht. Und im gleichen Moment durchzuckte sie diese Erkenntnis heiß. Seine Augen waren daran schuld. Noch immer blickte er sie mit dieser unheimlichen Intensität an, als wollte er sie durchbohren.
„So ähnlich.“ Er lächelte auf eine Art und Weise, die sie nicht zu deuten wusste. „Aber dank der Beruhigungsmittel scheidet das zurzeit aus.“
„Du meinst … sie geben dir etwas ins Essen?“
„Nein, sie spritzen mir ein Sedativum, das nur meine Fähigkeiten blockiert. Sie haben Angst vor mir.“
Ella beobachtete, wie sich seine Hand viel zu fest um das Glas schloss, das unter der Kraft plötzlich nachgab und in Scherben zerbarst. Der rote Wein ergoss sich wie Blut über seine Finger und verteilte sich auf dem Tischtuch. Schnell nahm sie die Serviette vom Schoß und hielt sie ihm entgegen. Ihr war Johns Blick nicht entgangen, als sie unbemerkt eine der Scherben darin einwickelte. Für sie gab es keine Möglichkeit, diese in ein sicheres Versteck gleiten zu lassen, und viel zu schnell war der Pavian am Tisch. Er hatte jede ihrer Bewegungen beobachtet. Er umschloss ihre Hand und entwand ihr vorsichtig die Serviette nebst Inhalt.
„Netter Versuch, Schätzchen. Mach das noch einmal, und ich bin gespannt, welche fiesen Bestrafungen der Chef für dich bereithält. Vielleicht darf ich ja dann persönlich Hand anlegen.“ Der Pavian legte jede der Scherben wie ein Puzzle auf ein Tablett.
Als sie an seine Drohung dachte, wurde ihr mulmig. Alleine der Gedanke, er könnte seine widerlichen fleischigen Hände auf ihr verewigen, schickte ihr einen Schauer über die Haut. Sie suchte in Johns Augen Halt und Hilfe. Doch in diesen spiegelte sich lediglich blanker Hass und unterdrückte Wut. Ob er seine Selbstbeherrschung gleich vollends verlor? Mit seiner sauberen Serviette wischte John sich den Wein von der Haut. Sie musste sich irgendwie ablenken und starrte auf Johns Hände. Schöne gepflegte Fingernägel und schlanke lange Finger, stellte sie fest. Soweit sie es beurteilen konnte, waren diese Hände keine harte körperliche Arbeit gewohnt. Und da war er, der Gedanke, der so abwegig war, dass es fast lächerlich schien: Wie es wohl wäre, wenn er sie damit streichelte.
„Ella, alles okay?“, fragte er sie, und riss sie aus ihren Gedanken.
„Äh, ja … mir geht’s gut. Alles okay. Alles ganz toll.“ Oh Mann, lass ihn nicht so eine Gabe wie Gedankenlesen besitzen, betete sie vor sich hin. Sie wollte nun endlich wissen, ob und welche Fähigkeit er besaß. Ella hatte den Verdacht, vergeblich darauf zu warten, dass er sein Geheimnis ungefragt offenbaren würde. Außerdem musste sie diesen peinlichen Moment vertreiben. „Welche besondere Fähigkeit hast du denn?“
Erneut beugte er sich ihr ein wenig entgegen, sodass sie glaubte, in seinen Augen kleine goldene Sprenkel erkennen zu können. „Ist das alles, was du wissen willst?“
Versuchte er etwa, mit ihr zu flirten? Ella zwang sich, nicht laut aufzulachen. Das war jetzt nicht sein Ernst. Sie versuchte hier irgendwie ein vernünftiges Gespräch zu führen, um diese bescheuerte Situation einigermaßen erträglich hinter sich zu bringen, und er baggerte sie an? Der hatte vielleicht Nerven. Na warte, was du kannst, kann ich schon lange. „Nein, natürlich nicht.“ Sie leckte sich lasziv über die Lippen und sah ihn mit einem verführerischen Blick an. „Natürlich will ich wissen, was du alles kannst. Schließlich will ich nicht mit einem Loser, du weißt schon.“
Er lachte auf, dann antwortete er mit einem Zwinkern: „Hypnose“.
Irritiert wich sie ein wenig zurück. Wollte er sie auf den Arm nehmen? Hypnotiseure? Gab es die nicht an jeder Straßenecke? Warum sollten die ihn deshalb in das Zuchtprogramm aufnehmen? Irgendwie glaubte sie nicht daran, dass er ihr die ganze Wahrheit erzählte. Andererseits, warum sollte er sie belügen? Was hatte sie Besonderes vorzuweisen? Ein paar lächerliche Träume, und damit konnte sie rein gar nichts gegen Sauer ausrichten. Ella griff nach der nächsten Weinbergschnecke und wünschte sich stattdessen ein saftiges Steak.
„Die Schnecken sind gut. Dir schmecken sie wohl nicht sonderlich?“ John steckte sich bereits eine weitere in den Mund. „Oder hat dir meine Offenbarung den Appetit verdorben?“
„Dass du auf Schnecken stehst, ist beruhigend. Meist sind die hübschen Männer schwul.“ Sie lächelte süffisant. „Hypnose ist ja eher unspektakulär, so etwas verdirbt mir nicht den Appetit.“
„Einige Schnecken nehmen den Mund besonders voll. Sind überaus reizend und pfeffrig. Ich mag es scharf und ich liebe das Außergewöhnliche, allerdings gehört schwul sein nicht dazu.“
„Achtung, einige sind ungenießbar und sogar extrem giftig“, konterte sie. Dass es zwischen ihnen knisterte, während sie sich diesen kleinen Schlagabtausch lieferten, konnte sie nicht von der Hand weisen. Er war amüsant und nicht auf den Mund gefallen. Und wenn er sie so ansah, brachte er sie mehr als nur aus der Fassung. Sie war nun wirklich neugierig auf mehr. Ella stand nicht auf Langweiler. John schien ihr ebenbürtig zu sein.
Amüsiert zog er eine Braue in die Höhe und sah sie provozierend an. Sie wusste nicht recht, wie sie ihn einschätzen sollte. War es Galgenhumor, der ihm derartige Äußerungen entlockte? Wieder trafen sich ihre Blicke, und obwohl sie ihn eigentlich weiterhin necken wollte, verflog dieses Gefühl in demselben Moment, in dem sie in seine Augen eintauchte. An einem seiner Mundwinkel hatte Weißweinsoße eine Spur hinterlassen, und als ihr Blick kurz daran verharrte und dann weiter über seine geschwungenen Lippen wanderte, musste sie schlucken. Beim Anblick seines Mundes blieb Ella die Spucke weg. Egal, was er für eine Nummer abzog, sie beschloss, auf alles gefasst zu sein und es ihm nicht zu leicht zu machen. Endlich hatte Ella ihre Fassung wiedererlangt.
„Und? Hypnotisierst du mich jetzt?“, fragte sie plötzlich.
„Möchtest du das?“ Er kräuselte die Lippen und nahm noch einen Schluck aus dem neuen Glas, das frisch gefüllt vor ihm stand.
„Nein danke, ich brauche keinen Therapeuten. Ich rauche nicht und mit meinem Gewicht ist auch alles in Ordnung. Du siehst, deine Fähigkeiten werden nicht benötigt.“ Irgendwie bereitete ihr der Gedanke, er könnte sie so gefügig machen, Unwohlsein.
„Konnte ich mir auch nicht vorstellen. Ich schätze dich eher so ein, dass du jeden Augenblick