Fay Ellison

Experiment Ella


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wenn es doch so wäre, dann könnte sie sich jetzt in ihrem Schneckenhaus verkriechen und wäre sicher vor der bösen Welt da draußen.

      Endlich setzte er sich wieder. Irgendwer servierte das Dessert. Kurz sah sie auf den süßen Berg vor sich, dann wieder in seine Augen. Am besten, sie schaufelte dieses Zeug in sich hinein, das würde diese peinliche Stille überbrücken. Aber der Stein in ihrem Magen machte es unmöglich, auch nur noch einen Bissen hinunter zu bringen. Eigentlich dachte sie gerade jetzt an etwas Härteres. Sie brauchte unbedingt einen Magenbitter oder Ähnliches. Auch wenn sie wusste, dass der nicht wirklich half, aber der Gedanke, etwas gegen die aufsteigende Übelkeit zu unternehmen, machte alles ein wenig erträglicher. „Ich brauch einen Schnaps.“

      John nickte. „Ich auch.“ Er rief den Kellner, oder was immer dieser in Wirklichkeit war, und bestellte zwei Aquavit. Ella lächelte dankbar und erlangte langsam ihre Fassung zurück.

      „Ich komme mir vor, als wäre ich in einem falschen Film.“

      „Jep, ich weiß, was du meinst. Ich versuche auch schon seit ein paar Tagen aufzuwachen.“ Er erhob das Glas und prostete ihr zu.

      Einen Trinkspruch verkniff er sich. Was hätte er auch sagen sollen? Auf uns oder auf die Freiheit oder etwas so Abwegiges wie auf die Liebe? Das Zeug brannte in der Kehle und plumpste direkt in den Magen, in dem sich wohlige Wärme ausbreitete. „Grauenhaftes Zeug.“ Sie verzog den Mund, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

      Die Zeit war wie im Fluge verronnen. Ein Blick auf die Uhr ließ ihre Nackenhärchen aufstellen. Wie lange blieb ihnen wohl noch, bis es ans Eingemachte ging? Was, wenn es schon heute Nacht dazu kommen sollte? Ihr wurde heiß und kalt. Der Tisch wurde abgeräumt, und wie auf Knopfdruck erschienen die beiden Paviane am Tisch. Hinter ihnen kam Sauer zum Vorschein. Beinahe hätte sie ihn übersehen, da er schmächtig neben den beiden Hünen wirkte. Sein schmallippiges Grinsen hätte sie ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen.

      „Wie es aussieht, habt ihr den Abend genossen.“ Seine kalten Augen leuchteten. „Wenn man euch Turteltäubchen zusieht, könnte man meinen, dass ihr es gar nicht erwarten könnt, übereinander herzufallen.“

      Wäre ihr nicht so elend zumute, hätte sie erst laut aufgelacht und ihm anschließend die Augen ausgekratzt. Das Ganze glich einer Schmierenkomödie. Sie wusste genau, warum er dieses Essen inszeniert hatte. Er war ein kleiner perverser Typ, der sich an dem hier aufgeilte. Sie konnte es an seinem geifernden Blick erkennen. Kleine Männer mussten ihre Körpergröße durch Machtspielchen ausgleichen. Vermutlich hatte er das Essen mit irgendwelchen Mittelchen manipuliert. Sie hatte schon von solchen Sexdrogen gelesen, aber sicher hatte er viel bessere Medikamente. Plötzlich wusste sie, an wen er sie erinnerte. Rumpelstilzchen. Dieser Vergleich war gleich doppelt zutreffend, denn auch er wollte ihr Kind.

      „Es wird Zeit, in eure Quartiere zu wechseln. Oder soll ich euch gleich in das Schlafzimmer bringen?“

      Sein Lachen war anzüglich und unpassend und ließ ihr Herz in die Hose rutschen. Sie überlegte hin und her und wog die Möglichkeiten ab. Wenn sie jetzt getrennt würden, wie sollten sie sich über Fluchtpläne unterhalten? Gab es dafür in den nächsten Tagen noch Gelegenheit? Was, wenn sie keine Minute mehr allein sein würden? Unter ständiger Beobachtung stehend konnte man schlecht solche Pläne schmieden. Oder war das nur ein Test? Was, wenn sie darauf bestand, mit ihm untergebracht zu werden? Wie würde John darauf reagieren? Vermutlich dachte er, sie wäre scharf auf ihn. Sie stand unsicher auf. Mit den Händen krallte sie sich am Tisch fest, damit sie nicht umfiel.

      Warten

      Bis zu Ellas empfänglicher Phase dauerte es noch ein paar Tage. So konnten die zwei sich noch ein wenig beschnuppern. Je mehr sie sich zueinander hingezogen fühlten, desto besser war die Aussicht auf einen baldigen Züchtungserfolg. Falls sie sich innerlich dagegen wehrte … Er wusste, wozu ein weiblicher Körper fähig war. Die verabreichten Pheromone zeigten erste Wirkung, denn er selbst fühlte sich zu Ella hingezogen. Das Zeug hatte nichts mit dem billigen Spray aus den Sexshops gemein. Bis zur vollen Entfaltung dauerte es nicht mehr lange. Egal, wie sehr sie sich dagegen wehrten, am Ende war John die Motte und Ella das Licht. Unmöglich, voneinander zu lassen. Ihre Nähe brächte jeden Mann um den Verstand. Und auch sie würde mehr als empfänglich für männliche Nähe sein. Das Timing war perfekt. Sauer hatte die beiden per Monitor aus dem angrenzenden Zimmer überwacht. Das Zeug wirkte schon jetzt, da war er sicher. Die beiden flirteten eindeutig. Vermutlich hatte John bereits einen Dauerständer und konnte an nichts anderes denken, als Ella zu beglücken. Auch Ella reagierte wie erwünscht. Er dachte an die vorangegangenen Versuche und er erinnerte sich nur zu gut, wie auch er den geimpften Frauen erlag. Als wenn ein Rüde eine läufige Hündin wittert. Die hohe Erfolgsaussicht war wissenschaftlich fundiert und es gab nur wenige Männer, die nicht dafür empfänglich waren. Für diese Ausnahmen gab es andere Mittel, aber das wäre erst der zweite Schritt.

      Natürlich könnte er ihnen einfach Eizellen und Sperma abzapfen, aber warum sollte er weiterhin fremde Leute für das Austragen und die Aufzucht der Kinder bezahlen? Sollten sich die Probanden doch selbst um ihre Brut kümmern. Bezugspersonen waren immer schon ein wichtiger Teil in diesem Experiment, und leibliche Eltern waren die besten Aufpasser. Die Fluchtgefahr würde dadurch auch auf ein minimales Maß herabsinken. Die wenigsten Eltern würden ohne ihr Kind eine Flucht in Erwägung ziehen. Durch verschiedenste Experimente hatten sie die bestmöglichen Partner ausgesucht. Die Wahrscheinlichkeit, dass daraus außergewöhnliche Früchte hervorgingen, betrug neunzig Prozent. Außerdem hatte er überall Kameras installiert, insgeheim freute er sich bereits, die Aufnahmen auszuwerten. Bei diesen beiden Exemplaren brauchte er sich anscheinend keine Gedanken mehr zu machen, denn die Blicke, die sie sich am Tisch zugeworfen hatten, sprachen Bände. Ella sah blass aus. Offensichtlich nahm sie das Ganze mehr mit, als er es erwartet hatte. Vielleicht waren es aber lediglich die Nachwirkungen des Betäubungsmittels.

      Heute war er zufrieden, alles entwickelte sich nach seinen Vorstellungen. Er war ein Kämpfer. Klein, aber oho, und am Ende hätte er es allen gezeigt. Seiner Familie, die ihn immer müde belächelte. Seinen damaligen Mitstudenten, die meinten, ihn auf seine Körpergröße reduzieren zu müssen. Und den Miststücken von Frauen, die ihn nie eines Blickes gewürdigt hatten. Allen wollte er beweisen, wie groß er in Wirklichkeit war. Nur Marie hatte es vom ersten Augenblick erkannt. Er lächelte, wandte sich vom Monitor ab und ging hinaus. Nun dauerte es nicht mehr lange. Die Wissenschaftler würden weltweites Ansehen mit der neuen Herrenrasse erlangen. Die über Jahre gesammelten Forschungsergebnisse könnte man profitabel an den Mann bringen. Und er stünde endlich über all den beschränkten Kleingeistern seiner Vergangenheit. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

      *

      Als er bemerkte, wie Ella zu schwanken begann, war John schnell bei ihr und fing sie im letzten Moment auf. Besorgt sah er die schlaffe Gestalt in seinen Armen an. Als sie endlich die Augen aufschlug, blickte sie verwundert zu ihm auf.

      „Der Schnaps hat dich glatt aus den Schuhen gehauen.“ Verdammt, er versuchte, der Situation eine komische Note zu verleihen, sie sollte nicht merken, dass Ella ihm einen Heidenschreck eingejagt hatte. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre mit dem Kopf aufgeschlagen. Langsam kehrte die Farbe in Ellas bleiches Gesicht zurück. So gut konnte keiner schauspielern. Bis eben war er sich nicht sicher, ob sie auf Sauers Seite war und zu seiner Truppe gehörte. Ein weiterer seiner Tests. Aber das hier wäre beinahe schiefgegangen. Ella war wie ein gefällter Baum umgekippt. Entweder war sie wütend über seine taktlose Bemerkung oder zu durcheinander, um etwas zu erwidern. Er brauchte Zeit und eine Möglichkeit mit ihr zu reden, ohne dass einer mithören konnte. Natürlich könnte er erneut versuchen, von hier zu verschwinden. Ohne ihn, was hätte sie da für eine Chance? Sie war viel zu schwach und zart, um sich auch nur gegen einen dieser Kerle auflehnen zu können. Außerdem hatte sie etwas an sich, das ihn neugierig machte. Sie war ungewöhnlich, und irgendwie fand er sie niedlich. Nein, das traf es nicht wirklich. Er fand sie interessant. Ob das bereits die Wirkung auf eines der verabreichten Medikamente war? Sauer hatte irgendwann einmal erwähnt, dass sie genügend Mittel zur Verfügung hatten, um ihn gefügig zu machen. Eigentlich hatte er in diesem Zusammenhang nur an das Ruhigstellen gedacht. Mittlerweile war er sich da nicht mehr so sicher.