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Winter – Weihnacht – Wunderbares


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Gleichgewicht verlor und der Länge nach hintenüber fiel.

      Der Bann war gebrochen. Die Kinder kreischten vor Vergnügen, während ich mir vom Engel aufhelfen ließ und das erste Geschenk in die Hände gedrückt bekam. Ich drehte den Kopf hin und her, um die Aufschrift entziffern zu können und rief schließlich den Namen des Kindes in den Saal. Ein Steppke von höchstens dreieinhalb Jahren kam auf mich zu gerannt, riss mir das Paket (das größte von allen) aus den Händen und eilte von dannen. Die belustigten Erwachsenen honorierten es mit Applaus, während mir mein Engel schnell ein weiteres Päckchen zuschob und selbst den nächsten Namen aufrief. Der zu Beschenkende war zwar mindestens doppelt so alt wie der Knirps, schien jedoch ebenfalls kurz angebunden zu sein – immerhin murmelte er ein „Danke“, bevor er es seinem Vorgänger gleich tat und mit seiner Beute flüchtete.

      Gut, dachte ich belustigt, je eher du fertig bist, desto besser. Ich schwitzte bereits aus allen Poren – und das nicht nur vor Aufregung. Der gute Vorsatz, jedem Kind ein Gedicht, Lied oder Versprechen abzuverlangen, war nun dahin. Mein Weihnachtsengel und ich fertigten unsere Kunden im Rekordtempo ab – mit einer Ausnahme:

      Die Oma eines Geschwisterpaares hatte mir im Vorfeld einen Notizzettel zugesteckt, dessen Inhalt ich auf jeden Fall den beiden unter die Nase reiben sollte; das wäre wohl auch im Sinne der Eltern, die an diesem Tag leider verhindert waren. Ich versprach, es zu tun, merkte mir die Namen und holte nun besagte Zwillinge gleichzeitig nach vorn. Die Geschenke zu meinen Füßen, zog ich den Zettel hervor und begann, den Knirpsen die Leviten zu lesen. Sie wussten wohl, dass die Päckchen auf dem Boden früher oder später für sie bestimmt waren. Aber sie hörten sich meine Predigt an, wenngleich die Geschichte für beide ziemlich peinlich sein musste und ihnen am Ende das Versprechen abgenötigt wurde, das Meerschwein nicht mehr im Aquarium schwimmen zu lassen und auch besser darauf zu verzichten, ein zweites Mal ein Indianer-Lagerfeuer auf dem Wohnzimmerteppich zu entfachen.

      Als ich den beiden die Geschenke übergeben wollte und mich dazu bücken musste, lief mir der Schweiß, der sich zuvor im Maskenkinn angesammelt hatte, in dünnen Strahlen aus den Plastik-Nasenlöchern. Sicherlich kein schöner Anblick. Die Zwillinge hatten sich – ihre Geschenke geistesgegenwärtig an sich reißend – schnell in die Obhut der Oma begeben, bevor es dem Alten einfallen konnte, auch noch Dampfschwaden auszustoßen oder gar Feuer zu speien.

      Nach und nach wurde es im Saal immer unruhiger. Der Großteil der bereits beschenkten Kinder ignorierte den sich nach allen Regeln der Kunst abmühenden Alten und widmete seine Aufmerksamkeit ausschließlich den ausgepackten Gaben. Ich beschleunigte die Fließbandabfertigung angesichts solcher Respektlosigkeit, bis das letzte Geschenk verteilt war und raunte, völlig entkräftet, den Kindern ein „Frohes Fest und guten Rutsch ins neue Jahr“ zu. Doch hätte ich mich jetzt ebenso gut nackt ausziehen und mit den Ohren oder sonst etwas wackeln können; längst nahm mich niemand mehr wahr und so schlich ich, von meinem Engel gefolgt, sowohl desillusioniert als auch erleichtert, aus dem Saal in der Hoffnung, dass mich ein eventueller Herzinfarkt erst draußen ereilen möge …

      Später berichteten mir viele Eltern, die Weihnachtsfeier sei ein großer Erfolg gewesen und hätte den Kindern gefallen. Insbesondere der Auftritt des „komischen“ Weihnachtsmanns!

      Ich nahm es als Kompliment und Motivation, hatte mir doch der Vorsitzende unserer Gewerkschaft ein Weihnachtsmannmandat für die nächsten Jahre in Aussicht gestellt. Es wurden insgesamt noch etwa sechzehn derartige Events, bevor aus Gründen der Nachwuchsproblematik – unser Bediensteten-Bestand alterte unaufhaltsam vor sich hin – die wenigen Voranmeldungen keine weiteren Kinderweihnachtsfeiern mehr zustande kommen ließen.

      Schade eigentlich …

Eveline Hoffmann

      Viele jener Menschen, die damals im Bergarbeiterkrankenhaus Erlabrunn lagen, hatten sehr tief geschürft: tief im Innern des Berges nach Kohle oder Erz. Im Winterhalbjahr waren sie am Morgen im Dunkeln eingefahren und am Abend im Dunkeln wieder herausgekommen. Vor Sehnsucht nach dem Licht der Sonne, das sie nur die Hälfte des Jahres beim Ausfahren sehen konnten, hatten sie jedes Mal zu Weihnachten, als sie die Mettenschicht begannen, den Eingang des Stollens mit ihren Grubenlampen behängt. Aus dieser Tradition heraus war schließlich der geschnitzte Lichterbogen entstanden, der heutzutage in dieser Gegend zur Weihnachtszeit aus vielen Fenstern in die Nacht leuchtet.

      Die schwere Arbeit unter Tage hatte die Männer krank gemacht. Der Staub beim Heraushämmern der Kohle hatte nicht nur ihre Gesichter geschwärzt, sondern sich auch in ihren Lungen abgesetzt, so dass ihnen das Atmen zunehmend schwerer geworden war und oft durch Sauerstoff aus Maschinen unterstützt werden musste. Oder die Strahlen aus dem Erz waren in ihre Körper eingedrungen und ließen in ihren Organen oder in ihrem Blut ungesunde Zellen wuchern. Nicht wenige von ihnen starben – an Staublunge, Krebs oder Leukämie.

      Warum nur hatten sie sich das angetan?

      Die Kohle, die sie aus dem Berg holten, wurde für uns zu Wärme und Licht. Das Erz, das sie förderten, gab seine Strahlung für Energie von nie gekannter Stärke frei – auch für Wärme und Licht in unseren Behausungen oder für Schiffe, die vermeintlich undurchdringliches Eis zu brechen vermochten und damit neue Wege über die Meere bahnten. Die todbringenden Waffen, für die das Erz dem unterirdischen Gestein auf so gefährliche Weise auch entrissen wurde, ist zum Glück bei uns in Europa noch nie eingesetzt worden, und wir können nur hoffen, dass dies auch weiterhin so bleibt.

      Inzwischen ist das ehemalige Bergarbeiterkrankenhaus ein modernes Klinikum zur Behandlung vieler verschiedener Erkrankungen. Diejenigen, die heute von ihren Ärzten in die psychosomatische Klinik eingewiesen werden, schürfen auch wieder sehr tief: In den Tiefen ihrer Seele, in den fast vergessenen, weit verzweigten Stollen ihrer Vergangenheit suchen sie nach den Ursachen ihrer Leiden. Sie schürfen entweder jeder einzeln, aus eigener Kraft und auf eigene Art und Weise oder sie tun es gemeinsam, einer den anderen unterstützend. Oft haben sie dabei das Gefühl, dass diese Arbeit ebenso schwer und zerstörerisch ist wie das Herausbrechen der staubigen Kohle oder des Erzes mit der gefährlichen Strahlung aus dem Innern des Berges. Auch der Schmerz der Seele kann sich, so, wie der Kohlenstaub in den Lungen, in den Organen festsetzen oder ihre Gliedmaßen bis zur Handlungsunfähigkeit lähmen. Diese gefühlte Ohnmacht gegenüber der Krankheit ist oft kaum noch auszuhalten. Sobald einer darüber hinaus die Lasten des Anderen mittragen und ihm beim Abbauen helfen will, kann er auch selbst neue Verletzungen erleiden. Nicht wenige von ihnen möchten dann am liebsten aufgeben und es bedarf unsäglicher Anstrengungen, es doch nicht zu tun. Der Preis, den diese Menschen bezahlen, um Nutzbares aus dem dunklen Stollen zu fördern, ist sehr hoch – einen leichten, schmerzfreien Weg gibt es nicht.

      Warum also tun sie sich das an? Warum nehmen sie einen so langen Aufenthalt unter Tage auf sich – trotz der Schmerzen und der Erschöpfung?

      Das Wissen um die Ursachen ihrer Leiden, so hoffen sie – und ein Fünkchen Hoffnung ist immer gegenwärtig, selbst wenn es manchmal gar nicht als solches zu sehen ist –, kann ihnen eines Tages helfen, aus all ihren Leiden wieder herauszufinden. Dann werden sie sich nicht mehr selbst die Schuld für die Verwundung ihrer Seelen geben, sondern sie den wirklich Schuldigen zuschreiben. Dadurch wird in ihnen das Gefühl wachsen, dass sie fähig sind, dem Dunkel wieder zu entkommen. Dieses Gefühl wird ihnen zum Licht werden, das nicht mehr nur die düstere Vergangenheit beleuchtet, sondern ihnen auf ihrem weiteren Lebensweg eine Richtung zeigt – oder vielleicht auch mehrere mögliche –, in die sie gehen können. Indem sie die Lasten ihrer Leidensgefährten mittragen, können sie auch selbst neue Kraft gewinnen, um ein Vielfaches verstärkt durch die gemeinsame Anstrengung, so wie die Energie aus der Strahlung des Erzes. Diese Wärme und Stärke aus der Geborgenheit der Gemeinschaft wird ihnen auch dann, wenn sie dieses besondere Bergwerk längst verlassen haben, Kraftquell und Stütze sein.

      Deshalb lohnt sich der lange Aufenthalt unter Tage letztendlich doch. Nach unendlich erscheinender Finsternis fahren sie wieder hinauf ans Licht und wenn sie sich mit dem traditionellen Bergmannsgruß „GLÜCK AUF!“ voneinander verabschieden, klingt daraus auch der Stolz auf die von ihnen